Georg Ehring: Die digitale Infrastruktur wächst zweifelsohne in enormem Tempo und die Frage ist nur, ob der Bedarf vielleicht noch schneller zunimmt. Die Natur dagegen ist seit Jahren auf dem Rückzug. Knapp vier Prozent der Landesfläche in Deutschland sind Naturschutzgebiete und außerhalb dieser kleinen Bereiche nehmen intensive Landwirtschaft, wachsende Städte und neue Straßen immer mehr Raum ein. Viele Tier- und Pflanzenarten werden seltener. In den vergangenen Monaten hat insbesondere das Insektensterben Schlagzeilen gemacht.
Die künftige Bundesregierung verspricht, ausweislich ihres Koalitionsvertrages, mit einem Aktionsprogramm Insektenschutz gegenzusteuern. Am Telefon in Berlin ist jetzt Florian Schöne, der Geschäftsführer des Deutschen Naturschutzrings. Guten Tag, Herr Schöne!
Florian Schöne: Hallo, Herr Ehring.
Ehring: Herr Schöne, kommen jetzt bessere Zeiten auf Insekten und andere bedrohte Arten zu?
Schöne: Na ja. Das Problem ist zumindest erkannt. Das muss man so deutlich sagen. Das haben beide Koalitionspartner sehr deutlich betont, dass wir hier nachsteuern müssen. Aber, um es mit Goethe zu sagen: Allein mir fehlt der Glaube noch ein bisschen, ob dann das Regierungshandeln auch danach ausgerichtet wird.
Ehring: Die künftige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat ja gesagt, man sollte Pestizide auch im Ökolandbau zulassen. Was sagt das über die neue Amtsinhaberin?
Schöne: Ja das war natürlich ein ziemlicher peinlicher Ausrutscher, auch vor dem Hintergrund, dass eigentlich alle designierten Kabinettsmitglieder erst mal gesagt haben, wir enthalten uns jeglicher politischer Kommentare, solange wir noch gar nicht im Amt sind. Aber ich würde das auch nicht als Menetekel betrachten. Ich habe jetzt erst mal die Hoffnung, dass die künftige Landwirtschaftsministerin da sehr offen auch auf die Probleme und die riesigen Herausforderungen schaut, die der Landwirtschaftssektor hat. Tierwohl, Gesundheitsschutz, Antibiotika-Rückstände, Naturschutz, Grundwasser – das sind ja riesige dicke Bretter, die zu bohren sind, und da haben wir zunächst mal die Hoffnung, dass die neue Ministerin da auch sehr offen in den Dialog einsteigen wird.
Ehring: Könnte die Ministerin denn die Pestizide überhaupt zulassen, oder ist das an ganz anderer Stelle zu regeln?
Schöne: Nein, das muss in Brüssel geregelt werden. Dafür gibt es die EU-Ökoverordnung, und die werden den Teufel tun, das Thema aufzumachen. Nachdem die Revision jetzt gerade gelaufen ist, gibt es überhaupt keinen Grund. Böse Zungen sagen auch, das war eine perfide Strategie, um den Ökolandbau ein bisschen in eine Industrialisierungsdebatte zu schieben und damit auch das Premium-Niveau, das der Ökolandbau zurecht bei den Verbrauchern hat, zu verbessern. Darauf darf sich niemand einlassen. Ich hoffe wirklich, dass das eine völlige Einmalaktion war, die auch in der Legislaturperiode überhaupt kein Echo finden wird.
"Die Zulassung für Pflanzenschutzmittel muss man auf den Prüfstand stellen"
Ehring: Es gibt ja die Debatte über ein Verbot von Pestiziden wie Glyphosat. Da will die Bundesregierung ja aussteigen. Oder auch von Neonicotinoiden, die für Insekten besonders schädlich sind. Hier sieht der Koalitionsvertrag auch Restriktionen vor. Glauben Sie, dass das kommt?
Schöne: Ja, da kommt Bewegung rein im Augenblick, und das ist ein schönes Ergebnis, und da muss man auch wirklich sagen, auch die Union kommt da gerade richtig in Bewegung, dass man feststellt, wir haben ein Problem. Denn die Pflanzenschutzmittel-Mengen bedrohen zunehmend die biologische Vielfalt. Was wir hören ist, gerade beim Thema Glyphosat wird schon in einer Arbeitsgruppe darüber diskutiert, wie kriegt man eine Minimierungsstrategie mit dem Ziel eines endgültigen Verbots auf die Beine gestellt. Die Neonicotinoide, da hat ja gerade die Lebensmittel-Sicherheitsagentur EFSA bestätigt, dass da ein Problem besteht. Das ist nur noch eine Frage der Zeit, bis das verboten wird. Spannend wird vor allem die im Koalitionsvertrag erwähnte Ackerbau-Strategie und das von Ihnen eben angesprochene Aktionsprogramm Insektenschutz, weil wenn man dieses Thema ernst nehmen möchte, dann muss man die Zulassung für Pflanzenschutzmittel auf den Prüfstand stellen, biologische Vielfalt stärker berücksichtigen und dementsprechend weitere Mittel auch mal reduzieren oder ganz aus dem Verkehr ziehen.
Ehring: Die Bundesregierung hat ja das Ziel 20 Prozent Ökolandbau bis 2030. Kommt das und hilft es der Natur?
Schöne: Ja, das ist auch durchaus ein Verhandlungserfolg, mit dem wir gar nicht so gerechnet hatten. Bisher war das ja immer nicht terminiert und dann hilft uns dieses Ziel nicht. 20 Prozent Ökolandbau bis wann denn, bitte schön? Das ist ehrgeizig, aber machbar, und das hängt die Latte hoch, auch was das Förderrecht anbelangt. Ich glaube, das ist wichtig, dass man dann weiß, wir brauchen Zuwachsraten von, ich glaube, irgendwie fünf, sechs, sieben Prozent im Jahr, damit wir das Ziel auch erreichen können, und das hilft, das hilft auch der Umwelt. Das trägt maßgeblich zur Umweltentlastung bei, gerade im Bereich Ressourcenschutz, Pflanzenschutz, Düngung, aber natürlich auch zur Förderung der biologischen Vielfalt, weil wo nicht gespritzt wird, wo nicht so intensiv gedüngt wird, hat biologische Vielfalt stärkere Lebensmöglichkeit. Das ist völlig unumstritten.
"Es soll ein Wildnisfonds eingeführt werden"
Ehring: Was erwarten Sie denn in Bezug auf den Naturschutz im engeren Sinne von der neuen Regierung?
Schöne: Da stehen auch ein paar durchaus erfreuliche Punkte drin. Die sind sicherlich eher kleinteilig. Aber nehmen wir mal das Beispiel, man möchte die sogenannte vierte Tranche für das nationale Naturerbe mit weiteren 30.000 Hektar, also besonders wertvolle Naturräume, die bundesweite Bedeutung haben, aus Truppenübungsplätzen oder ähnlich öffentlicher Hand, das möchte man sicherstellen für die Zukunft und künftige Generationen. Es soll ein Wildnisfonds eingeführt werden, der das Ziel der biologischen Vielfaltsstrategie, zwei Prozent Wildnis in Deutschland – wir sind im Augenblick bei 0,5 Prozent , endlich maßgeblich voranbringt. Wenn Flächen auf den Markt kommen, die dazu geeignet sind, Wildnis zu entwickeln, zum Beispiel Wälder, dass man die auch kaufen kann und sicherstellen. Und als letzten Punkt grundsätzlich die Botschaft, sehr wertvoll: Mehr Mittel für den Naturschutz. Der Naturschutz ist unterfinanziert. Er kann nicht mehr mithalten mit anderen Landnutzungen. Und die Forderung nach einem europäischen Naturschutzfonds, das ist schon ein hilfreiches und wichtiges Signal, um den Naturschutz in dem Kontext der ganzen Gemengelage ein bisschen mehr zu Erfolg zu verhelfen.
Ehring: Florian Schöne, der Geschäftsführer des Deutschen Naturschutzrings. Herzlichen Dank.
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