Was der Geoökologe Uwe Kunkel erzählt, klingt nach echter Detektivarbeit. Am Anfang ein rätselhafter Messwert im Rhein bei Koblenz. Der Fingerabdruck passt zu keinem bekannten Umweltschadstoff. Dann monatelange, vergebliche Recherchen in verschiedensten Datenbanken. Am Ende aber doch ein Treffer – und die Gewissheit: Kunkels Team ist auf Industriechemikalien gestoßen, die niemand im Rhein oder in einem anderen Gewässer vermutet hätte:
Uwe Kunkel: "Bei den Substanzen geht's um Triphenylphosphonium-Verbindungen. Das sind Chemikalien, die großtechnisch bei der Synthese von organischen Molekülen wie zum Beispiel Vitamin A oder Beta-Carotin eingesetzt werden können und da eigentlich das Ausgangsprodukt sind, das normalerweise nur bedingt dann aus dem Prozess ausgetragen werden sollte."
Ursprung bei Chemiefirmen
Die Forscher von der Bundesanstalt für Gewässerkunde nahmen auch Proben in anderen Rhein-Abschnitten. Um herauszufinden, woher die ominösen Substanzen an der Messstelle in Koblenz stammen könnten. Eingeleitet werden die Phosphonium-Salze demnach von Chemie- oder Pharmafirmen weiter flussaufwärts. Das berichtete Uwe Kunkel jetzt auf der Jahrestagung der Wasserchemiker in Bamberg:
"Irgendwo, sagen wir mal, zwischen Frankfurt und Ludwigshafen. Wir haben Einleiter auf beiden Rheinseiten gefunden. Also, es wird nicht nur ein Einleiter sein, sondern wir konnten da mehrere Einleitestellen näher eingrenzen."
Kunkel untersuchte auch ältere Wasserproben, die in der Bundesanstalt aufbewahrt werden:
"Und da war es so, dass bei einigen Stoffen die Jahresfrachten relativ konstant waren. Es gab aber auch andere Stoffe, die in den letzten fünf, sechs Jahren um den Faktor zehn fast zugenommen haben."
Zwei bis fünf Tonnen pro Jahr – in solchen Mengen fließen die verschiedenen Phosphonium-Salze nach den Hochrechnungen an Koblenz vorbei:
Kunkel: "Es ist verglichen mit Arzneistoffen einiges mehr. So um den Faktor fünf bis zehn sind die Frachten höher als bei gängigen Arzneistoffen."
Vorhanden sind die Industriechemikalien aber nicht nur im Rhein. Die Wasserchemiker wiesen sie genauso im Hessischen Ried bei Darmstadt nach und zuletzt auch in der Elbe, wie Uwe Kunkel in Bamberg sagte.
Gefahr der Stoffe unbekannt
Doch was richten diese Stoffe überhaupt in der Umwelt an? Eine Frage, die niemand im Moment beantworten könne, so Thomas Ternes, Leiter des Referats für Gewässerchemie an der Koblenzer Bundesanstalt:
Thomas Ternes: "Weil sie eben in der Umwelt nicht vorhergesagt wurden, gibt es auch bisher keine umweltrelevanten Studien, das heißt wir können nicht sagen, wie gefährlich diese Stoffe für Organismen im Wasser beispielsweise sind. Zurzeit haben wir mit dem Umweltbundesamt eine ganz enge Kooperation, das heißt das Umweltbundesamt wird jetzt die Umwelt-Gefährdungsanalysen vornehmen. Es scheint so zu sein, dass die Spitzenkonzentrationen in die Bereiche kommen, die relevant sind. Aber dazu werden wir noch weitere Untersuchungen benötigen, um das abschließend dann klären zu können."
Biologisch schwer abbaubar
Klar sei bisher nur, dass es sich um biologisch schwer abbaubare Stoffe handele, die sich im Sediment von Flüssen anreichern. Und dass die Phosphonium-Salze die Abwasserbehandlung in den Betrieben überstehen, aus denen sie stammen. Sonst würden sie ja nicht im Gewässer landen...
Ternes: "Durch eine normale Kläranlage laufen die durch. Auch mit oxidativen Verfahren wie der Ozonung werden die Stoffe nicht entfernt. Bei Aktivkohle müssten sie entfernbar sein. Aber entweder wird diese nicht im breiten Maße eingesetzt, oder aber die Stoffe können auch dort teilweise durchbrechen. Aber das Letztere wissen wir noch nicht sicher."
Wen die Koblenzer Forscher als Einleiter der Substanzen ausgemacht haben, wollen sie nicht verraten. Nur so viel: Die zuständigen Bundesländer wüssten inzwischen Bescheid. Das seien Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen:
Ternes: "Und ich gehe davon aus, dass die Firmen auch von diesen Befunden schon wissen."
Wenn sich herausstellt, dass die Industriechemikalien tatsächlich gefährlich für Wasserorganismen sind, dann – sagt Ternes – sollte man gemeinsam nach einer Lösung für das Problem suchen. Und den unbemerkten Austrag der Phosphonium-Salze in Gewässer stoppen.