Alexander Moritz: Heute vor 56 Jahren wurde der Elysee-Vertrag unterzeichnet, die Grundlage für die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland nach Jahrhunderten blutiger Auseinandersetzungen. Dieses historische Bündnis wollen Emmanuel Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel heute erneuern und ausweiten. Zur Stunde unterzeichnen die beiden in Aachen den neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag. Neben einem Bekenntnis zu Frieden, kulturellem Austausch und wirtschaftlicher Zusammenarbeit steht nun auch der Klimaschutz mit im Vertrag. Hier wollen Deutschland und Frankreich künftig noch enger zusammenarbeiten. Aber was bedeutet denn das wirklich? Darüber spreche ich jetzt mit Christoph Bals, politischer Geschäftsführer bei der Umweltorganisation Germanwatch. Guten Tag, Herr Bals.
Christoph Bals: Guten Tag! – Ich grüße Sie.
Moritz: Sie haben den Vertrag wahrscheinlich schon gelesen?
Bals: Ja, natürlich. Den haben wir intensiv analysiert und auch in den letzten Monaten des Öfteren kommentiert.
Gemeinsame Vorreiterrolle in der EU
Moritz: Ich habe ihn auch gelesen. Zwei Artikel zum Klimaschutz stehen drin. Der Klimaschutz soll in allen Politikbereichen berücksichtigt werden, steht dort. Die Regierungen wollen sich untereinander austauschen und beim Ausbau erneuerbarer Energien soll es mehr Zusammenarbeit geben. Sind Sie damit zufrieden?
Bals: Es steht ja noch eine ganze Menge mehr drin. Es steht drin, dass man gemeinsam die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens sowie der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung in den beiden Staaten und auch innerhalb des UN-Konzeptes voranbringen will. Und dann wird eine ganze Menge im Verkehrs-, Energie- und bei der Dienstleistungspolitik an konkreten Maßnahmen dazu mit angesprochen. Dieser Rahmenvertrag bietet von demher die Möglichkeit für Frankreich und Deutschland, gemeinsam eine Vorreiterrolle in der EU und für die internationale Politik zu übernehmen. Allerdings ist es nur ein Rahmenvertrag. Er bleibt sehr vage in der Zielsetzung. Wir hätten uns gewünscht, dass klar gesagt wird, dass das Ziel ist CO2-Neutralität bis 2050. Da wird nur abstrakt von den Zielen des Pariser Klimaabkommens gesprochen, aber das nicht im notwendigen Maße konkretisiert.
Moritz: Lassen Sie uns vielleicht mal ein, zwei Punkte herausgreifen. Stichwort CO2-Emissionshandel. Da hatte Emmanuel Macron ja kurz nach seinem Amtsantritt sich aus dem Fenster gelehnt. Emmanuel Macron hatte gesagt, er ist für einen europaweiten Minimalpreis für CO2-Zertifikate, wollte auch eine EU-Steuer auf die Produktion von Kohlenstoff einführen. Davon liest man im Vertrag jetzt aber gar nichts mehr. Mussten sich die Franzosen da den Interessen der deutschen Industrie vielleicht auch beugen? Wie bewerten Sie das?
Wenig konkrete Ziele
Bals: Es wird hier gesagt, dass die Meseberger Gespräche weitergeführt werden sollen. Es wird gesagt, dass man darüber, welche Anreizrahmen man gemeinsam mit unterstützen will, dass man diese Gespräche institutionalisiert verankern will. Das sind genau die Gespräche, in denen es darüber geht, ob man das gemeinsam unterstützt. Das heißt, man hat verankert, dass man darüber redet und gemeinsam Beschlüsse fassen will, aber man hat nicht verankert, welche Beschlüsse man darin fassen will. Es bietet Chancen, aber die müssen jetzt auch genutzt werden.
Moritz: Hätten Sie sich den Vertrag konkreter gewünscht im Zusammenhang mit Klimaschutz?
Bals: Ja. Das ist die größte Schwäche. Es bietet eine hervorragende Grundlage institutionell, aber es ist nicht mit der notwendigen konkreten Ausgestaltung verbunden, den konkreten Zielen, dass man jetzt schon sagen könnte, aha, man weiß auch, wohin die Reise ganz genau geht.
Moritz: Man hatte ja in der Vergangenheit ein bisschen den Eindruck, dass Deutschland und Frankreich nicht unbedingt so perfekt zusammenarbeiten, auch nicht beim Klimaschutz. Wenn ich mich erinnere an den deutschen Ausstieg aus der Atomenergie; der kam ja sehr überraschend auch für Frankreich, und daraufhin gab es dort eine sehr polemisch geführte Debatte, ob diese deutschen Kohlekraftwerke, die dann ja länger laufen würden, für den Smog in französischen Großstädten sorgen. Das ist zwar ohne Grundlage wohl, zeigt aber auch, wie sensibel diese Energiepolitik auch im jeweils anderen Land wahrgenommen wird. Wie ist denn Ihr Eindruck? Hat Deutschland sich seinen Ruf als Musterschüler in Sachen Klimaschutz verspielt?
Bals: Ja, wir sehen natürlich deutlich, dass die Energiestruktur in Frankreich und Deutschland extrem unterschiedlich ist – in dem Sinn, dass einmal auf die Risikotechnologie Atomkraft gesetzt wird und in Deutschland bisher auf die Risikotechnologie Kohle - und dass bei beiden jetzt eine deutliche Verringerung davon und der Umstieg auf erneuerbare Energien ansteht. Bei beiden knirscht es dabei. Beide haben ihre Schwierigkeiten. Aber es gibt auch große Gemeinsamkeiten dabei. Das ist die Herausforderung, das zu schaffen. Wenn wir in Europa die Energiewende schaffen wollen, ist es zentral, dass es gelingt, auch zwischen Deutschland und Frankreich hier die Wege nach vorne zu bahnen.
Schwieriger Umgang mit CO2-Steuer in Frankreich
Moritz: Auch Macron ist inzwischen mit seinen Klimaschutzplänen ja schon an Grenzen gestoßen. Zum Beispiel die CO2-Steuer, die er zumindest in Frankreich auf Diesel einführen beziehungsweise erhöhen wollte, das musste er wieder zurücknehmen nach den Protesten der Gelbwesten. Wie sehen Sie denn die französische Klimaschutzpolitik? Hält Macron da, was er sich vorgenommen hat, oder ist er da zu ambitioniert gewesen?
Bals: Macron war bisher sehr gut im Rahmen setzen, sowohl Richtung CO2-Steuer als auch in der Richtung, was der Finanzmarkt tun soll. Er war überhaupt nicht gut dabei, eine CO2-Steuer so einzubetten, dass damit auch der ärmere Teil der Bevölkerung sieht, dass da eine konstruktive Perspektive für ihn mit drin ist. Er hat das sehr ungut mit anderen Steuerveränderungen für die Reichen, Steuerverbesserungen für die Reichen verknüpft. Von demher war das sehr ungeschickt eingebettet, und es waren nicht die notwendigen Unterstützungs- und Ausgleichsmaßnahmen für den ärmeren Teil der Bevölkerung mit vorgesehen oder für die Pendler in diesem Fall.
Er hat ein gutes Anschauungsmaterial geliefert, wie man so was nicht machen kann. Aber die Steuer ist jetzt nicht dauerhaft zurückgezogen, sondern zunächst mal für ein Jahr zurückgestellt, und ich hoffe, dass es Deutschland und Frankreich gelingt, hierfür einen besseren Aufschlag in den nächsten Monaten gemeinsam zu machen.
Moritz: Ob das gelingen wird, werden wir sehen. – Vielen Dank Christoph Bals, Geschäftsführer der Umweltschutzorganisation Germanwatch.
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