Ulrich Blumenthal: Die Diskussion um die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien ist dieser Tage – Stichworte sind Stickoxid und Feinstaub – mit hohem Erregungs- und Verunsicherungspotenzial verbunden. Auslöser ist ein Brief von etwas mehr als 100 Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, die der Meinung sind, man müsse Stickoxid-Grenzwerte der WHO noch einmal überprüfen.
"Die aktuellen Wortmeldungen von Lungenfachärzten zu den Grenzwerten nehmen wir sehr ernst", sagte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl. "Deshalb haben wir vorgeschlagen, dass sich eine unabhängige Expertenkommission damit befasst – und die Grenzwerte und Standorte von Messstellen in diesem Sinne überprüft."
Über die Frage der richtigen Standorte und korrekten Aufstellung der Messstellen habe ich mit dem Umweltchemiker Doktor Wolfgang Frenzel von der TU Berlin gesprochen und zunächst gefragt, wie konkret die Vorgaben der EU für die Aufstellung von Messstellen für Luftschadstoffe, speziell Stickoxide, sind?
Über die Frage der richtigen Standorte und korrekten Aufstellung der Messstellen habe ich mit dem Umweltchemiker Doktor Wolfgang Frenzel von der TU Berlin gesprochen und zunächst gefragt, wie konkret die Vorgaben der EU für die Aufstellung von Messstellen für Luftschadstoffe, speziell Stickoxide, sind?
Wolfgang Frenzel: Die Vorgaben sind aus meiner Sicht relativ konkret. Ganz wichtig ist, sie sind europaweit einheitlich vorgeschrieben. Und die Varianzen, die vorgesehen sind, haben sicherlich unterschiedliche Gründe, nicht unbedingt, um Messwerte in der einen oder anderen Richtung zu manipulieren, sondern sie sind einfach den örtlichen Gegebenheiten geschuldet, dass zum Beispiel der Abstand von der Straßenmitte oder auch der Einlass der Ansaughöhe variabel ist, weil das nicht in allen Fällen zu realisieren ist.
Frenzel: Ein Wert von einer Straßenmessstelle reicht nicht aus
Blumenthal: Und wie repräsentativ ist nun eine solche Messstelle als Messpunkt für Stickoxide?
Frenzel: Bei einer einzelnen Messstelle kann man sicherlich immer hinterfragen, repräsentativ für was? Repräsentativ für die Zahl, die am Ende als Jahresmittelwert integrativ über ein ganzes Jahr entsteht, ist sie natürlich repräsentativ, denn es wird richtig gemessen überall in Europa, vielleicht mit ganz wenigen versehentlichen Ausnahmen, die dann aber korrigiert werden.
Repräsentativ meint ja aber in der Regel, repräsentativ für eine bestimmte Anzahl der Bevölkerung. Und auch da ist sicherlich ein Wert von einer Straßenmessstelle nicht ausreichend, um den Gesundheitsschutz oder auch umgekehrt die Belastung der Gesundheit von verschiedenen Menschen quantitativ zu erfassen.
Aus diesem Grunde müssen alle Kommunen, insbesondere natürlich die Ballungsgebiete, in denen besonders hohe Stickoxidwerte auftauchen, an verschiedenen Messstellen, die straßennah sind, messen. Und aus diesen Werten wird letztendlich über eine Art Hochrechnung auf andere, vergleichbare Orte extrapoliert und daraus die Gesamtrepräsentativität von Messstellen für die Belastung der Bevölkerung ermittelt.
"Es gibt ganz strikte Vorgaben"
Blumenthal: Aber ist es zum Beispiel möglich, in Berlin – da kennen Sie sich ja wirklich in- und auswendig aus, müsste man fast sagen –, an einer so hoch belasteten Straße wie der Leipziger Straße eine Messstelle einzurichten und dann vielleicht zwei-, dreihundert Meter in einem hoch bebauten Wohngebiet dann keine einzurichten – da ist ja die Konzentration völlig anders. Also, in naheliegenden Straßenzügen kann die Konzentration ja massiv abweichen.
Frenzel: Das wird durch die EU-Regelungen abgedeckt. Denn es wird ja nicht nur da gemessen, wo sehr hohe Werte sind, und es muss auch nicht nur da gemessen werden, sondern es gibt ganz strikte Vorgaben, dass auch im sogenannten städtischen Hintergrund gemessen wird. Das sind Seitenstraßen, Parallelstraßen, nicht unbedingt in unmittelbarer Nähe zu der Station, an der die Verkehrsbelastung gemessen wird. Aber diese Werte werden mit erfasst, und das hat auch den Repräsentativitätshintergrund, weil diese Messstationen eben einen größeren Anteil der Bevölkerung repräsentieren.
Denn die meisten Menschen einer Stadt wohnen natürlich nicht unbedingt an der verkehrsreichen Leipziger Straße oder vergleichbaren Straßen, sondern wohnen in Seitenstraßen. Für beide gilt der gleiche Grenzwert. Überschritten wird er europaweit – ich glaube, ich kann für alle Städte sprechen – eigentlich immer nur da, wo eben verkehrsreiche Straßen mit entsprechenden Bebauungen zusammenkommen.
Blumenthal: Aber die Diskussion auch hinsichtlich von Fahrverboten, die ging ja immer wieder: Müssen wir Fahrverbote als geeignetes Mittel einsetzen, wenn es nur eine geringfügige Überschreitung der zulässigen Konzentrationen an Stickoxiden von 40 Mikrogramm gibt? Da ist ja immer noch diese Frage wirklich nach der Sicherheit und Signifikanz dieser Messergebnisse, also, wenn man sagt, bei 50 muss es noch kein Fahrverbot geben. Verstehen Sie Zweifler an diesen Messergebnissen?
Frenzel: Jein, sage ich ganz vorsichtig. Das ist also generell ein Problem natürlich, dass bei einer Grenzwertüberschreitung, wenn ich die Zahl 40 nehme, von 41, Menschen tot umfallen, und bei 39 ist alles im grünen Bereich.
Es ist ja sowieso eine gewisse Bandbreite, die natürlich sowohl, was die Messwerte, und damit kommt der Standort hinein – wenn man 100 Meter, 200 Meter neben einem Messort kontinuierlich messen würde, dann kann es schon sein, dass im Jahresmittelwert die Werte etwas niedriger oder etwas höher sind. Das wird in gewisser Weise dadurch abgedeckt, dass dieser von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene und von der Europäischen Kommission dann auch festgelegte Grenzwert von 40 Mikrogramm – ich sage etwas vorsichtig, in gewisser Weise immer als Kompromiss zu verstehen ist. Es ist ein Vorsorgegrenzwert, der aber nicht bedeutet, dass eine dauerhafte Belastung unter 40, ein bisschen unter 40, völlig unproblematisch ist, aber auch umgekehrt nicht bedeutet, dass auch eine dauerhafte Belastung von über 40 automatisch zu einem Krankheitsbild bei schon gar nicht allen Menschen führt, sondern wenn, ja besonders natürlich den belasteten Personenkreis.
Und deshalb, denke ich, ist ja auch die Frage, wo steht der Messcontainer ganz genau, und ist die Ansaugung in 1,50 oder vier Metern? - führt zu anderen Messwerten. Aber die Bandbreite, die man hier erreicht, die ist an einzelnen Stellen, das ist auch belegt, auch gerade jetzt wegen dieser neuerlichen Diskussion, noch mal wieder überprüft.
Wir machen gerade ein Projekt auch dazu, dass wir hochaufgelöst uns anschauen, wie ist es. Es gibt Gradienten, wie wir das nennen, also eine Veränderung, die mit der Höhe und auch mit dem Abstand zur Straße auftauchen. Aber die liegen häufig im Bereich von zehn, 15, 20 Prozent. Und wenn Sie das eben auf einen Grenzwert ziehen, dann kann es sein, dass rein rechnerisch ein Wert von 42 auf 38 rutscht, und dann würde man sagen, einmal schlecht, einmal gut.
Das wäre dann mehr eine allgemeine Diskussion, wie strikt müssen Grenzwerte eingehalten werden, damit man dann zum Beispiel Maßnahmen ergreift. Für den Schutz der Bevölkerung, wenn ich die im Vordergrund sehe, ist die Frage, ob 38 oder 42, aus meiner Sicht untergeordnet.
"Das ist nichts, was sich die Verkehrsminister ganz toll haben einfallen lassen"
Blumenthal: Die EU lässt ja, Sie haben es schon mal angedeutet, was die Einlasshöhe bei den Messungen betrifft, einigen Spielraum zu. Erlaubt sind Messhöhen zwischen 1,50 und vier Metern. Sind solche Unterschiede Anlass dafür, dass beispielsweise auch die Verkehrsministerkonferenz im April 2018 sagte, dass man die Validität von Standorten von Messstellen gemäß den europäischen Vorgaben noch einmal überprüfen soll?
Frenzel: Ja, die wird sowieso überprüft, soweit ich weiß, alle fünf Jahre. Das sieht auch die EU-Richtlinie vor. Das ist nichts, was die Verkehrsminister sich haben ganz toll einfallen lassen – das muss ich halt einmal so sagen –, sondern das ist EU-Vorgabe. Es wird auch gemacht. Und eine Prüfung, wie das in Nordrhein-Westfalen stattgefunden hat, wo der TÜV Rheinland eben alle Messstellen in Nordrhein-Westfalen in Hinsicht auf, ist das der richtige Standort, also richtig in Bezug auf Einhaltung der EU-Richtlinien waren es – jetzt will ich nichts Falsches sagen – von 35 Messstellen, die aufgetaucht sind, eine einzige, wo eben ein Zweifel daran bestand, wo also vielleicht eine Veränderung vorzunehmen ist. Und ich weiß, dass für einzelne Städte was Ähnliches gemacht worden ist.
Also, das kann man machen, das kostet Geld. Aber ich glaube nicht, dass das diese grundsätzliche Debatte von 40 Mikrogramm, eingehalten oder nicht, oder die übergeordnete verkehrspolitische Debatte, die ja sehr viele Wogen aufwirft, nämlich Fahrverbote ja/nein, in irgendeiner Weise tangieren sollte. Schon gar nicht zu einer Verzögerung der notwendigen Maßnahmen, die langfristig eben dann auch wirklich eine Verbesserung der Luftqualität – zu einer langfristigen Verschiebung dieser Debatte führen sollte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.