Wellen brechen an der Küste, Gischt schäumt auf, im Meerwasser brodelt es. Unzählige Luftblasen steigen auf wie in einer geöffneten Sprudelflasche. An der Wasseroberfläche platzen sie auf und hinterlassen für einen Moment lauter winzige Leerstellen. In Windeseile schließen sich die Mini-Krater wieder. Meerwasser strömt von allen Seiten hinein und prallt aufeinander. Es entsteht ein Jet, ein Strahl von Wassertröpfchen, die es in die Luft katapultiert. Viele trägt es davon.
Solche Prozesse liefen ständig im Ozean ab, sagt Steve Allen, Atmosphärenforscher an der Universität von Strathclyde in Schottland. Das Interessante dabei: Die Tröpfchen bestehen nicht nur aus Meerwasser:
"Wir wissen ziemlich gut, dass Seesalz, Bakterien und organische Partikel ständig auf diese Weise aus dem Meer geschleudert werden. Es sind Milliarden Tonnen jedes Jahr! Mit Luftströmungen reisen sie manchmal um die ganze Welt."
Luftansauger und Wolkenfänger
Nach einer achttägigen Messkampagne an der französischen Atlantikküste ist Allen überzeugt: Auch Mikroplastik-Müll im Ozean tritt auf diese Weise in die Atmosphäre über. Und nicht nur das: Bläst der Wind Richtung Küste, werden die Plastikpartikel aus dem Meer zurück an Land geweht – dorthin, wo sie ursprünglich herkommen.
Steves Forschungskollegin und Ehefrau, die Umweltwissenschaftlerin Deonie Allen:
"Wir haben bisher angenommen, dass alles, was in Flüssen und Ozeanen landet, absinkt. Dass unsere Wasserkörper und ihre Sedimente also Senken für alle eingetragenen Mikroplastik-Partikel sind. Mit unserer Studie entwerfen wir ein neues Konzept. Demnach könnten die Meere und ihre Oberflächen auch eine Sekundärquelle von Mikroplastik sein und nicht bloß eine Senke."
Einfluss von Wind und Brandung
Die schottischen Forscher stellten ihre Messinstrumente auf einer hohen Düne am Strand auf: einen Luftansauger mit Filter und einen sogenannten Wolkenfänger, der in der Lage ist, Wassertröpfchen aus der Luft zu fischen. In ihren Proben ermittelten die Allens anschließend die Zahl der enthaltenen Mikroplastik-Teilchen. Dabei prüften sie auch jedesmal die Windverhältnisse – um zu sehen, ob eine Luft- oder Nebelprobe tatsächlich vom Meer stammt oder nicht doch vom Land:
"Wir haben eine Schätzung vorgenommen, aber man muss sagen, sie ist sehr, sehr grob: Es könnten weltweit über 130.000 Tonnen Mikroplastik sein, die jährlich vom Meer an Land gelangen, allein in Bodennähe. Berücksichtigt man auch den Transport in höheren Luftschichten, reden wir vermutlich über Millionen von Tonnen."
Rund 350.000 Kilometer Küste gibt es auf der Erde. Doch nicht jeder Abschnitt ist so wellenreich wie an der Biskaya, dem Ort der neuen Pilotstudie. Im Mittelmeer oder in der Ostsee zum Beispiel ist die Brandung viel schwächer – und damit auch die Gischt, die es braucht, um marines Mikroplastik in die Seeluft zu schleudern.
Deshalb hat Stefan Krause auch Zweifel, ob die globale Hochrechnung seiner Fachkollegen so stimmt. Der deutsche Geoökologe ist Professor an der Universität Birmingham in England und forscht ebenfalls über Fremdstoffe im Wasser:
"Es bedarf dann schon noch einiger Studien in Gebieten mit anderer Wellenaktivität, um dann aufzuskalieren auf größere Skalen."
"Gischt-Hypothese durchaus relevanter Mechanismus"
Dass Mikroplastik-Partikel mit einer Art Wellenkanone in die Luft gelangen können und danach auch zurück an Land – diese Grundthese seiner schottischen Fachkollegen hält Krause aber für überzeugend. Vielleicht könne sie ja Plastikspuren selbst an den entlegensten Orten der Erde erklären:
"Wenn wir uns die Antarktis anschauen. Gerade für die Antarktis wird halt schon noch diskutiert, warum Plastik gefunden wird. Diese Gischt-Hypothese, dieser Mechanismus, könnte da durchaus ein relevanter Mechanismus sein."