Jörg Biesler: Zehn Jahre lang haben die Vereinten Nationen zusammen mit vielen Partnern am Thema "Vermittlung von Nachhaltigkeit" gearbeitet. Die UN-Dekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung" geht in diesem Jahr zu Ende. Seit gestern tagt in Bonn die Abschlusskonferenz, auf der ich den Vorsitzenden des Deutschen Nationalkomitees, Professor Doktor Gerhard de Haan, erreiche. Guten Tag, Herr de Haan!
Gerhard de Haan: Ja, hallo, guten Tag!
Biesler: Zehn Jahre, ich habe es gerade gesagt, haben Sie am Thema gearbeitet. Es gab Arbeitsgruppen und runde Tische und eine große Zahl von Projekten. Tausende waren das insgesamt allein in Deutschland, mit dem Ziel, das Lernen von Nachhaltigkeit zu fördern. Haben Sie das Gefühl, da was bewegt zu haben?
de Haan: Oh, ja, muss ich schon sagen. Das hat doch eine hohe Dynamik erzeugt, man kann auch sagen, wirklich in allen Bereichen, von der Kita an bis in die Hochschule. Wir haben sehr, sehr viele Initiativen und Projekte gesehen, wir haben manchmal, etwa im Kita-Bereich, auch so was formuliert wie Bildungsstandards im Bezug auf das Nachhaltigkeitsthema – wie kriegt man das da untergebracht? Hat sich natürlich noch nicht überall durchgesetzt. Wir sehen Entwicklungen, bezogen auf die Bildungs- und Rahmenpläne in den Schulen, und es tut sich auch ein bisschen was in den Hochschulen, muss man sagen.
Biesler: Sie selbst sind ja sozusagen Profi, Professor für Zukunfts- und Bildungsforschung an der Freien Universität Berlin. Das heißt, Sie haben gerade schon gesagt, es gibt zwei unterschiedliche Bereiche, nämlich den theoretischen Bereich und den praktischen Bereich mit den Projekten. Gehen wir mal erst auf den theoretischen Bereich – was ist denn in der Zeit passiert, in den zehn Jahren? Wie stark ist das denn strukturell verankert worden?
"Studierende werden mit der Nachhaltigkeitsthematik kaum konfrontiert"
de Haan: Na ja, da hatten wir auf der Halbzeit, in den ersten fünf Jahren noch deutlichere Defizite als heute, aber ich kann sagen, es ist eben nicht sozusagen systematisch verankert. Sehen Sie, im Hochschulbereich ist es so, Studierende werden mit der Nachhaltigkeitsthematik kaum konfrontiert. Also, da ist noch sehr, sehr viel Platz oder Luft nach oben, um da was entwickeln zu können. Es gibt eben nur wenige Studiengänge, die das deutlich implementiert haben. Auch in der Forschung, muss man sagen, ist das noch nicht überall angekommen, dass hier so ein Nachhaltigkeitsgedanke sozusagen als Mainstreaming eigentlich in die Forschung generell hineingehört. Da gibt es noch einiges zu tun. Und im Bildungsbereich ist jetzt, wo in vielen Ländern wieder mal die Überarbeitung der Lehr- oder Rahmenpläne ansteht, das Thema schon auf der Agenda. Aber man tut sich manchmal auch schwer, also etwa zu sagen: Was heißt denn Nachhaltigkeit in einer Fremdsprache wie Englisch, oder was bedeutet es, das Nachhaltigkeitsthema in der Chemie unterzubringen?
Biesler: Ja, schwer zu integrieren. Trotzdem hat man den Eindruck, es gibt ganz viele Projekte, die sich damit beschäftigen.
de Haan: Das ist richtig, ja.
Biesler: Hat man den Eindruck nur, weil die so medienwirksam sind, oder ist das tatsächlich viel?
de Haan: Nein, nein. Es gibt in der Tat sehr viele. Wir haben ja insgesamt im Rahmen dieser Dekade 2.000 auszeichnen können. Das ist eine enorme Größe, sehr viele Initiativen. Aber was wir eben haben, ist tatsächlich gute Beispiele, viele gute und große Leuchttürme. Das Problem ist dann immer, wie kommt man sozusagen von diesen, Englisch gesprochen, innovators dazuhin, dass wir auch noch über die Schritte hinauskommen, dass wir die sogenannten early adopters mitnehmen, also die sozusagen früh mit ausbringen. Wie schaffen wir es sozusagen, eine größere Masse zu erreichen? Das ist immer der kritische Punkt bei allen Innovationen, die man betreibt. Wie schafft man es, so eine Quote zu erreichen von, dass man sagt, 33 Prozent aller Akteure in einem Feld, sagen wir, von den Lehrkräften sind tatsächlich in dieser Thematik involviert. Das sind sozusagen eher dann die Mühen der Ebene, wo es nicht mehr nur darum geht, dass das Engagement des Einzelnen zählt, sondern dass man sagen muss, hier brauchen wir auch sozusagen strukturellen Support. Wenn es sozusagen Pflicht wird in den Rahmenplänen, wenn es in klassischen Schulbüchern drin steht, dann hat man viel mehr erreicht. Und da sind wir noch nicht ganz.
Biesler: Die Frage ist ja, was ist eigentlich Ihre Rolle genau dabei gewesen? Es gibt ja viele Projekte, es gibt Umweltverbände, die was machen, Bildungseinrichtungen. Man hört aus Kitas und aus Schulen, dass da irgendwas geforscht wird zum Thema Nachhaltigkeit, dass sich da beschäftigt wird mit der Energie, die verschwendet wird an allen möglichen Ecken und Enden. Die UNESCO hat das Ganze strukturell begleitet und öffentlicher gemacht – wäre das richtig beschrieben?
de Haan: Das ist richtig so. Wir haben ganz stark versucht, das öffentlich zu machen. Wir haben versucht, die Sichtbarkeit zu stärken in diesem ganzen Segment, mit diesen vielen Projekten. Wir haben uns aber auch durchaus auseinandergesetzt etwa mit der Kultusministerkonferenz. Da gibt es eine Empfehlung der Kultusministerkonferenz mit der deutschen UNESCO-Kommission zur Bildung für nachhaltige Entwicklung. Es gibt eine Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz zur Bildung für nachhaltige Entwicklung, auch mit der deutschen UNESCO-Kommission gemeinsam. Also wir sind da auch sozusagen schon, wie sagt man klassisch, im Lobbying unterwegs für die Sache, und zwar auch auf der politischen Ebene dann und der Gremien.
Biesler: Bleibt natürlich die Frage: Und jetzt? Also, die UN-Dekade Bildung für Nachhaltige Entwicklung geht in diesem Jahr zu Ende, ich habe es vorhin gesagt. Was passiert denn jetzt? Man hört von einigen Projekten schon und kann von denen in den Regionalzeitungen zum Beispiel lesen, dass die Finanzierung schwierig ist, obwohl die von Ihnen ausgezeichnet wurden. Was macht man jetzt, damit nicht alles so langsam wieder versuppt und ...
Die Jugend stärker mitnehmen
de Haan: Versuppt und versinkt – nein, also international hat man sich darauf verständigt vonseiten der UNESCO, den Vereinten Nationen jetzt vorzuschlagen – und das wird im kommenden Monat oder im November auch entschieden werden –, dass wir weiter machen, und zwar mit fünf Jahren Weltaktionsprogramm. Also, Weltaktionsprogramm heißt, im Anschluss an die Dekade, wir setzen uns dezidiert bestimmte Schwerpunkte. Dazu gehört zum Beispiel, verstärkt in die Ausbildung von Lehrkräften hineinzuwirken, die Jugend stärker mitzunehmen, auch, die ganze Einrichtung mitzunehmen. Es geht ja nicht nur um Inhalte, es geht nicht nur um Lernformen, es geht auch darum: Wie lebt man eigentlich Nachhaltigkeit in der Hochschule oder auch im schulischen Bereich? Was ist mit den Stoffströmen, was ist mit der Mensa? Wie ist die Mobilität strukturiert? Also da gibt es momentan, wenigstens auf dieser Konferenz, doch sehr viel, muss ich sagen, guten Willen, also vonseiten der Politik auch neue Anregungen, die da kommen. Das ist nicht nur der Bund, sondern auch, wenn man solche Diskussionsrunden hatte hier, sind es doch die Länder, die auch sehen, wir kommen an dieser Thematik nicht vorbei, wir müssen da stärker investieren. Und von daher glaube ich, dass auch die Projekte nicht so pessimistisch sein müssen, dass man sagt, jetzt ist alles vorbei, sondern am 1.1.2015 haben wir ein Weltaktionsprogramm, und da bin ich sehr optimistisch, dass wir da noch ein Stück vorankommen. Müssen wir auch.
Biesler: Gerhard de Haan, der Vorsitzende des Deutschen Nationalkomitees zur UN-Dekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung". Danke schön!
de Haan: Ich danke Ihnen!
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