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UN-Geberkonferenz
Bildung für Frauen ist Menschenrecht

Die UN will Geld geben, damit vor allem Mädchen aus Krisenregionen in die Schule gehen können. Frauenrechte und Bildung sind ein Menschenrecht, sagt Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD). Doch mit Blick auf die Taliban sei das eine Gratwanderung.

Svenja Schulze im Gespräch mit Moritz Küpper |
Ein Porträt von Svenja Schulze (SPD) Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Das Geld, das auf der UN-Geberkonferenz in Genf zusammenkommt, soll vor allem Mädchen in Krisenregionen helfen. Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Svenja Schulze (SPD), hofft auf 800 Millionen Euro, die zusammenkommen sollen. (picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild / Britta Pedersen)
222 Millionen Kinder und Jugendliche weltweit können aktuellen Schätzungen zufolge wegen Kriegen, Konflikten, Unwettern oder auch Klimawandelfolgen keine Schule besuchen. Doch ohne Bildung und Ausbildung droht ein Leben ohne Perspektive und ein Verharren in Armut. Vor allem Mädchen sind betroffen. Das Programm Education Cannot Wait der Vereinten Nationen setzt genau da an.
In Genf treffen sich auf der UN-Geberkonferenz nun Länder, Organisationen und Institutionen, um Geld bereitzustellen. Deutschland gehört zu den Organisatoren der Konferenz und gehört mit 210 Millionen Euro zu einem der größten Geber. Man wolle unmittelbar vor Ort helfen, sagt Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD). In vielen Ländern sei das aber oft auch eine Abwägungssache.

Das Interview in voller Länge

Moritz Küpper: Auf wie viel Geld hoffen Sie heute bei der UN-Geberkonferenz insgesamt?
Svenja Schulze: Wir hoffen darauf, dass die Lücke, die im Moment noch da ist, und das sind rund 1,5 Milliarden, die für die nächsten vier Jahre gebraucht werden, weiter geschlossen werden kann. Wenn es richtig gut läuft, dann werden wir hier 800 Millionen zusammenbekommen. Das ist auch dringend notwendig: 222 Millionen Kinder im Schulalter sind von Konflikten, von Krisen und von Notsituationen betroffen.
Aber das Schlimme ist: Das sind dreimal so viele wie noch 2016. Und das heißt, wir brauchen mehr Geld für Lehrerinnen und Lehrer, für neue Schulen, für Hilfe für die Kinder, für Essen. Das ist ganz wichtig. Viele der Schulen sind eben auch die Anlaufstelle für Essen für die Kinder. Und deswegen ist dieses Geld wirklich sehr, sehr wichtig.

Neue Schulen und andere Hilfe vor Ort

Küpper: Aber, wenn ich Sie richtig verstanden habe, würden aktuell noch etwa 700 Millionen fehlen.
Schulze: Das ist das Geld für die nächsten vier Jahre. Und solche Geberkonferenzen finden dann in regelmäßigen Abständen statt und deswegen ist das sozusagen der erste Aufruf jetzt für die nächsten vier Jahre. Und Deutschland hat dort eine sehr langfristige Zusage gemacht. Und das ist auch wichtig.
So eine Schule, die baut man nicht in einem Jahr, sondern da braucht man einfach auch langfristige Gelderzusagen. Und damit haben wir hier eine sehr, sehr gute Rolle eingenommen, dass wir für die nächsten Jahre eben das Geld zugesagt haben.
Küpper: Sie haben es gesagt, Deutschland sagt für einen längeren Zeitraum zu. Und Sie hoffen jetzt heute auf 800 Millionen. Wie viel lässt sich denn damit dann machen?
Schulze: Genau. Was man damit machen kann, ist, unmittelbar vor Ort helfen. Schulen aufbauen, Essen zur Verfügung stellen für die Kinder, vor allen Dingen Mädchen einen Zugang zum Bildungssystem ermöglichen. Denn das ist in vielen Ländern wirklich ein Problem, dass es keinen Zugang für Mädchen für die Schulen gibt. Aber wir wissen, wenn es keine Bildung gibt, dann ist eben die Chance, danach einen Job zu bekommen, sehr, sehr gering.
Das heißt, Kinder, die ohne Bildung aufwachsen, sind wiederum von Armut betroffen, können ihre eigenen Kinder meistens auch nicht in die Schule schicken. Das ist eine richtige Spirale, die dann da entsteht. Und deswegen ist es so wichtig, ganz vorne anzusetzen, Schule zu ermöglichen.
Küpper: Diese Spirale soll durchbrochen werden. Das ist ja logisch, plausibel. Aber das Geld ist ja das eine. Das andere ist aber ja wirklich, helfen zu können.

Gratwanderung unter brutalen Regimen zu helfen

Wie wollen Sie das sicherstellen, in Syrien beispielsweise jetzt im Zuge der Erdbebenkatastrophe, aber vorher auch schon unter Assad. Da musste man ja nun wirklich schmerzlich feststellen, da konnte nicht geholfen werden, obwohl geholfen werden wollte. Was macht man?
Schulze: Ja, das ist eine ganz schwierige Situation. Und da gibt es gar nicht so eine ganz einfache Antwort. Es ist nicht schwarz und weiß. In vielen Regionen können wir noch helfen. Es sind Möglichkeiten da.
Da ist Education Cannot Wait eine sehr erfahrene Organisation, die auch in schwierigen Situationen zum Beispiel es in Afghanistan noch schafft, Bildung zur Verfügung zu stellen, Lehrerinnen und Lehrer auszubilden, die dann nicht an offiziellen Schulen sind, sondern die sozusagen informell Schulen aufbauen, in den Regionen, wo das eben noch möglich ist. Da gibt es viel Erfahrung, gerade bei den UN-Organisationen. Und das, was möglich ist, das muss man dann unbedingt auch noch machen.
Küpper: Das heißt, Sie haben auch Afghanistan jetzt angesprochen, da sind ja die Taliban nun an der Macht. Die verhindern Bildung, für Mädchen zumindest, für junge Frauen, dann für Frauen auch generell. Ist das der einzige Weg, über solche Institutionen, internationale Institutionen da reinzugehen? Denn Ihr Haus hatte ja ursprünglich auch mal die Entwicklungshilfe dorthin ausgesetzt, weil man eben auch nicht direkt in dem Kontakt mit den Taliban sein möchte.
Schulze: Na ja, erst mal ist das ein wirklich massiver Eingriff in die Rechte von Frauen, von Mädchen, den die Taliban da machen. Und das weisen wir alle international politisch zurück. Und das macht auch Deutschland und sagt immer wieder: Das muss gestoppt werden. Bildung, Rechte für Frauen, für Mädchen, das ist ein Menschenrecht, das kann man nicht einfach so einschränken.
Wir sehen aber auch, das, was die Taliban da gerade machen, ist, dass sie ja Frauen verbieten wollen zu arbeiten, auch bei internationalen Organisationen. Und damit können wir bestimmte Leistungen gar nicht mehr erbringen, die eben Frauen vor allen Dingen auch in dieser Gesellschaft leisten.
So, und jetzt sind wir in einem Dilemma: Da sind Menschen, die Hilfe brauchen, 28 Millionen inzwischen in Afghanistan. Und es ist aber gar nicht so einfach, dort noch Hilfe zu leisten. Deswegen habe ich die Hilfe erst mal ausgesetzt und wir haben jetzt nach vielen Diskussionen vor Ort entschieden, wir machen die Projekte, wo Frauen weiter arbeiten können und wo wir vor allen Dingen Frauen auch erreichen.

Frauen dürfen nicht ausgeschlossen werden

Wir machen das nicht, wo die Taliban uns zwingen wollen, Frauen durch Männer zu ersetzen. Diese Projekte stellen wir jetzt ein. Aber die anderen, das, was noch geht, das führen wir fort, denn wir wollten nicht, dass die Frauen da doppelt bestraft werden, dass wir uns sozusagen auch noch zurückziehen. Und das ist eine Linie, die werden wir jetzt hier auch auf der Konferenz diskutieren, denn in so eine Richtung wird auch Education Cannot Wait gehen.
Küpper: Ist das Konsens zwischen den Geberländern oder zwischen den Teilnehmern der Konferenz? Denn es sind ja nicht nur Geberländer, sondern auch Länder, in denen geholfen wird, der Südsudan beispielsweise.
Schulze: Ja, das ist nicht ganz einfach. Das ist auch wieder so eine Situation, wo wir hier miteinander diskutieren. Aber sehr viele gehen auch in diese Richtung und sagen: Das geht nicht. Wir können das nicht akzeptieren, dass die Frauen aus den Projekten rausgehalten werden sollen, dass sie keine Hilfe mehr bekommen. Und wir ändern unsere Hilfe dort in diese Richtung, dass Frauen erreicht werden müssen, und dass Frauen auch dort arbeiten können müssen.
Küpper: Das heißt, dieser Grundsatz, wer bezahlt, bestimmt, der gilt dann nicht, sondern es ist ein ständiges – wenn wir noch mal das Beispiel Afghanistan nehmen – ein ständiges Ringen, weil man weiß, wenn man die Hilfe einstellt, dann trifft das eben auch die Schwächsten?
Schulze: Es ist nicht so ganz einfach und deswegen ist das eine wirkliche Gratwanderung, die wir da gehen. Aber wir versuchen – und das ist das Ziel – so viele Frauen, so viele Mädchen wie möglich zu erreichen, ihnen zum Beispiel, wie Education Cannot Wait, Bildung zu ermöglichen, Essen in der Schule zu ermöglichen, damit sie eine bessere Zukunft haben.
Küpper: Haben Sie in Ihrem Haus, im Bundesentwicklungsministerium, jetzt nach diesen ganzen Überlegungen, haben Sie da eine Art rote Linie, wenn die Taliban jetzt weitermachen würden, sozusagen weiter austauschen würden, dass Sie dann irgendwann sagen, okay, trotz allem, wir stellen ein?
Schulze: Na ja, die Linie, die wir jetzt haben, ist von Frauen, für Frauen. Und da, wo Frauen erreicht werden, da führen wir die Hilfe weiter. Aber, na klar, wir prüfen dauernd wieder: Was geht noch? Welche Möglichkeiten sind noch da? Und wenn man nicht mehr arbeiten kann, dann muss man sich zurückziehen, klar. Aber erst mal haben wir die vielen jungen Menschen dort im Blick, die vielen Menschen, die dort leiden, die einfach Unterstützung brauchen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.