Dirk Müller: Schauen wir drei Jahre zurück: Paris 2015. Es wird als der große Wurf im Kampf gegen die Erderwärmung gefeiert. Im neuen Klimaabkommen wird erstmals international das Ziel festgeschrieben, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, möglichst aber auf 1,5 Grad. Wie kann das gelingen? Was müssen die Länder, was müssen die Menschen dafür tun? – Der jüngste Bericht des Weltklimarates vor einigen Wochen hat noch einmal gezeigt: Es muss viel, sehr viel passieren, damit das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden kann. Klar ist, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine riesengroße Lücke klafft – eine Herkules-Aufgabe für die Delegierten auf der Weltklimakonferenz in Kattowitz.
1,5 Grad Celsius wärmer, dann muss Schluss sein. So heißt das Ziel des Klimaabkommens von Paris und das wird im neuen Weltklimabericht noch einmal bestätigt. Auch die Forderung nun auf der jetzigen globalen Konferenz in Kattowitz. – Der Klimawandel, unser Thema mit Klimaforscher Mojib Latif von der Universität Kiel, zugleich auch Präsident des Club of Rome in Deutschland. Guten Morgen.
Mojib Latif: Guten Morgen.
Müller: Herr Latif, wird es jede Stunde immer schlimmer?
Latif: Ja, das kann man so sagen. Wenn man sich alleine den Gehalt an Kohlendioxid (CO2) in der Luft ansieht, dann steigt der Jahr für Jahr. Er erreicht immer neue Höchstwerte. Insofern stimmt nicht nur die Geschwindigkeit nicht beim Klimaschutz, sondern die ganze Richtung stimmt nicht, denn wir fahren genau in die verkehrte Richtung: Nicht in Richtung Senkung der Treibhausgas-Emissionen, sondern weiter in Richtung Verstärkung der Treibhausgas-Emissionen.
Ein Lackmustest für die Weltgemeinschaft
Müller: Dann ist das fast wie eine Langspielplatte - da mögen sich einige von uns ja noch dran erinnern, die uns zuhören -, die immer an der entscheidenden Stelle hängen bleibt?
Latif: Ja, genauso ist es. In Kattowitz, das ist ja die 24. Weltklimakonferenz, und man hofft dann immer wieder auf einen Durchbruch, aber dieser Durchbruch, der kommt einfach nicht, und dann fängt man wieder von vorne an und man kann fast verzweifeln. Aber man muss auch sagen, es gibt keine andere Möglichkeit. Wir haben es beim Klimawandel mit einem globalen Problem zu tun. Deswegen lösen alle Länder gemeinsam oder gar nicht. Das ist die Krux und das ist in gewisser Weise auch der Lackmustest für die Weltgemeinschaft, ob sie wirklich bereit ist und vor allen Dingen imstande ist, globale Probleme zu lösen.
Müller: Wir reden von der Weltgemeinschaft. Aber wenn selbst die Delegierten, die Umweltschützer von Umweltorganisationen und so weiter mit Flugzeugen anreisen, mit Autos anreisen, ist das das eigentliche Problem?
Latif: Das denke ich nicht. Natürlich sind da zig Tausende von Beteiligten, die auch mit Flugzeugen anreisen, aber ich denke, das könnte man in Kauf nehmen, wenn am Ende wirklich was Konkretes dabei herauskommen würde. Und das ist der Knackpunkt: Es kommt nichts dabei heraus. Insofern wäre es wichtig, dass einige Länder vorangehen, wie zum Beispiel Deutschland, aber genau das passiert nicht.
Müller: Die Frage, Herr Latif, zielte darauf ab, dass es vielleicht auch daran liegen kann, ist jetzt meine Frage an Sie, dass jeder einzelne gerade auch in den Industrie-, in den Wohlstandsländern immer noch nicht bereit ist, die persönlichen Konsequenzen zu ziehen.
Latif: Die Frage ist ja tatsächlich, ob es sich dabei um Verzicht handelt oder nicht um einen Gewinn. Die Menschen haben immer Angst vor Veränderung und ich denke, wenn wir beispielsweise versuchen, die erneuerbaren Energien stärker in den Markt einzuführen, als das der Fall ist, wenn wir versuchen, so schnell wie möglich aus der Kohle auszusteigen, wenn wir versuchen, die Automobile so sauber wie möglich zu machen, dann sollte man das nicht ideologisch betrachten, sondern einfach als Innovationsmotor für die deutsche Wirtschaft. Ich glaube, wenn man das tut, dann würden auch viele Menschen mitgehen, weil am Ende des Tages nutzt das der deutschen Wirtschaft und sorgt dafür, dass auch in einigen Jahrzehnten Deutschland noch wohlhabend ist.
Die schleichende Erderwärmung ist das große Problem
Müller: Jetzt sind ja viele auch im privaten Gespräch in der Familie, zum Beispiel mit ihren Eltern, mit ihren Großeltern in der Diskussion. Da sagen viele, es war früher – früher heißt jetzt mal 60er-, 70er-, 80er-Jahre – in den deutschen Städten, gerade in den deutschen Großstädten viel, viel schlimmer, als das heute der Fall ist. Viele haben den Eindruck, die Luft ist viel besser geworden. Ein bisschen hat sich doch dann zum Positiven verändert?
Latif: Ja, das Problem ist, dass wir die Ursachen nicht sehen können. Damals ging es um Luftqualität. Damals ging es um Smog - ich erinnere mich noch sehr gut -, gerade auch in Westdeutschland. Es gab den Film von Wolfgang Menge, der hieß tatsächlich auch Smog. Menschen sind krank geworden, zum Teil gestorben wegen dieser dicken Luft. Beim Kohlendioxid geht es nicht um Smog. Dieses Gas ist unsichtbar und es hat heute schon einen Wert in der Atmosphäre erreicht, den hat es nie gegeben, seit es Menschen auf diesem Planeten gibt. Das ist das große Problem: die Erderwärmung. Es ist nicht die Luftqualität, sondern es ist die Erderwärmung, die schleichende Erderwärmung, die dann zu den bekannten Auswirkungen führt, zu mehr Wetterextremen, zu steigenden Meeresspiegeln und weiteren Auswirkungen wie zum Beispiel der Versauerung der Meere.
Müller: Aber zugleich reden wir über Feinstaubbelastung. Wir reden zugleich über Dieselbelastung in den Städten. Wir haben auch konkret etwas in der Nase. Wie wichtig ist das?
Latif: Ja, das ist ganz wichtig, denn man kann sehr viel erreichen, indem man tatsächlich an beiden Fronten arbeitet. Gerade in China ist es ja so. In China ist ja die Luft wirklich extrem schlecht und das hat damit zu tun, dass man sehr viel Kohle verbrennt, und Kohle ist natürlich auch der Klimakiller Nummer eins. Deswegen hat China schon ein Interesse auch daran, den Ausstoß von CO2, sprich durch die Verbrennung von Kohle zu reduzieren. Aber da kommt man dann wieder auf die internationale Ebene, denn am Ende des Tages hat jedes Land nur seine eigenen wirtschaftlichen Interessen im Kopf. Und wenn so einer wie Donald Trump jetzt aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen will, dann überlegen sich die Chinesen natürlich zweimal, die ja inzwischen der größte Verursacher von CO2 sind, ob sie denn wirklich in diese Richtung gehen wollen oder nicht.
Die Rolle Chinas diffenzierter bewerten
Müller: Wobei es ja auch um die eigene Luft geht. Jetzt haben wir gestern gelesen, Indien und China haben die selbstgesteckten CO2-Ziele zum Teil übererfüllt. Sie können aus der Zielperspektive heraus vielleicht sogar sehr zufrieden sein. Der ARD-China-Korrespondent war neulich hier bei uns im Deutschlandfunk, kam aus Shanghai, hat gesagt, da ist die Luft fantastisch, im Grunde kann man nur noch mit dem Ladestecker herumfahren, um auch die Mobilität zu sichern. China hat da zwei Seiten. Können wir von der positiven Seite, Elektromobilität in China, profitieren?
Latif: Ja, wir können schon davon profitieren. Aber es ist natürlich fast eine Geschichte aus dem Tollhaus, wenn wir da nicht vorne sind als Automobil-Land, wenn China uns vormacht, wie es geht. Aber man muss natürlich die Rolle Chinas schon etwas differenzierter bewerten. Man muss sich fragen, warum hat China das Pariser Klimaabkommen überhaupt unterschrieben, weil China hat sich zusichern lassen, dass es bis 2030 seinen Ausstoß an Treibhausgasen noch steigern darf, erst den Höhepunkt dann 2030 erreichen muss. Und wenn es dann vielleicht den Ausstoß nicht so stark steigert, wie es eigentlich könnte, dann wird das vielleicht als Erfolg gesehen, aber dem Klima nutzt das herzlich wenig. Was passieren müsste wäre, dass so schnell wie möglich die Treibhausgas-Emissionen weltweit sinken.
Müller: Die Deutschen, die Bundesregierung, in der deutschen Politik haben wir es auch nicht geschafft, die gesteckten Ziele der CO2-Reduzierung zu erreichen. Woran liegt das?
Latif: Das hat vor allen Dingen drei Ursachen. Auf der einen Seite hängen wir immer noch der Kohle nach. Wir schaffen es einfach nicht, insbesondere aus der Braunkohle auszusteigen. Das ist natürlich ein verheerendes Signal, weil die Klimakonferenz in Kattowitz findet in Polen statt. Polen ist ein Kohleland und kann sich natürlich wunderbar hinter Deutschland verstecken und sagt, ja wieso, Deutschland steigt nicht aus, warum sollen wir denn unseren Kohleverbrauch reduzieren.
Müller: Der Verbrauch wird doch reduziert.
Latif: Der Verbrauch wird reduziert, aber es reicht nicht. Wir müssen wirklich so schnell wie möglich aus der Kohle aussteigen, denn Kohle trägt immer noch erheblich zum Treibhausgas-Ausstoß in Deutschland und auch weltweit bei. Nur um eine Zahl zu nennen: Wenn Sie Braunkohle verbrennen, entsteht fast doppelt so viel CO2 pro Energieeinheit, als wenn Sie Erdgas verbrennen. Das heißt, es reicht nicht nur, jetzt zu reduzieren, sondern wir müssen wirklich relativ kurzfristig insbesondere in Deutschland aus der Kohle aussteigen.
Die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen
Müller: Sie haben viele Gespräche mit Prominenten, mit einflussreichen Politikern. Verstehen diese das nicht?
Latif: Nein, ganz und gar nicht. Meine Erfahrung ist einfach, ich kann den sogenannten Entscheidungsträgern, egal ob es in der Politik oder in der Wirtschaft ist, nichts mehr beibringen. Die wissen alles. Aber sie stecken irgendwie fest im System, können sich nicht bewegen, aus welchen Gründen auch immer. Die Politik hat einfach Angst, Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen. Aber ich kann nur sagen, und das sagen alle Ökonomen auch, wenn man zu spät kommt, dann bestraft einen das Leben. Dann werden andere die alternativen Techniken entwickeln, die alternativen Fahrzeuge beispielsweise, und dann wird Deutschland das Nachsehen haben. Das heißt, für mich ist ganz wichtig, dass Klimaschutz nicht irgendwie ideologisch betrachtet wird, nicht ideologisch diskutiert wird, sondern Klimaschutz ist der Innovationsmotor Nummer eins, der dafür sorgt, dass Deutschland auch in Zukunft wettbewerbsfähig ist.
Müller: Das hören wir zum Beispiel von der SPD, von der Union ja auch immer wieder. Dennoch wird es, wie wir bei der Kohlekommission jetzt im Moment sehen, bei dem Thema nicht konsequent, wie Sie sagen, umgesetzt. Liegt das daran, dass viele politische Führungseliten, und Sie sagen ja auch viele in den führenden großen Unternehmen immer noch den Widerspruch sehen zwischen Umwelt, Ökologie und Ökonomie?
Latif: Ja, genau. Das ist der Punkt. Es wird zwar immer das Gegenteil behauptet, dass man Ökonomie und Ökologie miteinander versöhnen muss. Aber am Ende des Tages regiert doch die Ökonomie. Das muss man so deutlich sagen. Insgesamt wird der Umweltschutz immer noch etwas belächelt.
Müller: Bei uns heute Morgen in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk der Klimaforscher Mojib Latif von der Universität in Kiel zur Weltklimakonferenz im polnischen Kattowitz. Danke für das Gespräch und Ihnen noch einen schönen Tag.
Latif: Danke gleichfalls.
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