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UN-Konferenz in Kattowitz
Klimaschutz nach festen Regeln für alle

Verbindliche Regeln im Klimaschutz für alle Staaten: Bei der UN-Klimakonferenz in Kattowitz geht es um das "Kleingedruckte" zum Pariser Abkommen aus dem Jahr 2015. Wissenschaftler warnen: Die Welt hinkt bei der Reduktion der Treibhausgase den Anforderungen weit hinterher.

Von Georg Ehring |
    Eine Frau geht vor einem beleuchteten Schriftzug "#COP24" entlang
    Vom 3. bis zum 14. Dezember beschäftigt sich die Staatengemeinschaft in Kattowitz mit dem "Kleingedruckten" des Parias Klimaabkommens (MAXPPP)
    Wasser satt, grüne Weiden soweit das Auge reicht und Deiche, auf denen Schafe das Gras kurz halten. Für Besucher ist Ostfriesland eine Idylle. Fred Hattermann war im Sommer dort: "Was mir beim Urlaub in Ostfriesland aufgefallen ist, und ich komme aus der Gegend, ist, dass die Deiche teilweise vollkommen gelb waren. So etwas habe ich noch nie gesehen, weil wir eigentlich immer satte grüne Farben da sehen und das war wirklich sehr frappierend."
    Der Blick auf den Deich hatte durchaus eine berufliche Komponente: Fred Hattermann ist von Beruf Geo-Ökologe. Er kümmert sich beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung auch um die Klimaentwicklung in Deutschland. Und den Hitzesommer 2018 wird er so schnell nicht vergessen: "Eigentlich beeindruckt hat mich die lang anhaltende Trockenheit. Das hatten wir schon auch mal in unseren Simulationen für die Zukunft auch mal gesehen, aber dass es jetzt so stark einschlägt und dass es auch überhaupt nicht besser geworden ist über das Jahr, das war schon sehr erstaunlich. Also: Das war ein sehr extremes Jahr, mit dem wir eigentlich auch nicht gerechnet hatten."
    "Planet hat begonnen, uns eine Rechnung zu schicken"
    Wenig tröstlich: In Bezug auf Wetterextreme war Deutschland in diesem Jahr nicht allein. Sturzregen in Japan, katastrophal starker Monsun in Südindien, Trockenheit und ungewöhnliche Waldbrände in Kalifornien. Johan Rockström, der designierte Chef des Potsdam-Instituts, findet kaum ein Ende für seine Aufzählung: "Zum ersten Mal haben wir eine außergewöhnliche Häufung von Wetterextremen erlebt, die sich über den gesamten Planeten verteilte. Wir können uns zwar noch nicht sicher sein, doch ich rechne damit, dass 2018 als das Jahr in die Geschichte eingehen wird, in der der Planet wirklich begonnen hat, uns eine Rechnung zu schicken und das passiert bereits bei etwa einem Grad Erderwärmung."

    Beobachtungen wie diese müssten eigentlich ein Weckruf sein für eine grundlegende Wende im Klimaschutz. Um die schlimmsten Folgen der Erderwärmung zu vermeiden, seien die Ziele in der Klimapolitik viel zu bescheiden. Mehr Ehrgeiz sei erforderlich, so sein Appell kurz vor der UN-Klimakonferenz im polnischen Kattowitz: "Wir gehen also nach Kattowitz in dem klaren Bewusstsein, dass dies alles bereits bei einem Grad Erwärmung passiert. Wir haben inzwischen viele Beweise dafür, dass die Dinge bei 1,5 Grad noch schlimmer sein werden. Also sollten wir unbedingt eine Erwärmung um zwei Grad vermeiden."
    Kühe leiden am 06.08.2018 in der Eifel unter der Hitze und Trockenheit. 
    Außergewöhnliche Häufung von Wetterextremen im Jahr 2018: Hitze und Trockenheit in Deutsch (picture alliance / dpa / R4200)
    Klimagipfel in Kattowitz soll Klarheit schaffen
    Höchstens zwei Grad Erderwärmung, dieses Ziel hatte im Jahr 2009 der Klimagipfel in Kopenhagen vorgegeben. Doch seitdem hat die Welt den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen nicht etwa verringert, sondern noch weiter gesteigert - um mehr als zehn Prozent. Denn auf Maßnahmen gegen die Erderwärmung konnte sich der Gipfel damals nicht einigen. Erst sechs Jahre später, im Dezember 2015, kam in Paris ein weltweites Abkommen über den Klimaschutz zustande. Es verschärft das Klimaziel insgesamt auf "deutlich unter zwei Grad, wenn möglich unter 1,5 Grad", allerdings erneut ohne den einzelnen Staaten konkret vorzugeben, was sie dafür zu tun haben. Jeder Unterzeichnerstaat sollte nationale Pläne für den Klimaschutz einreichen und die meisten haben dies auch getan. Doch in der Summe reichen die Ambitionen bei weitem nicht: Sie laufen auf einen Temperaturanstieg um ungefähr drei Grad hinaus, wenn sie komplett umgesetzt würden. Der Widerspruch zwischen Vertrag und Realität ist offensichtlich.
    Die am Wochenende beginnende UN-Klima-Konferenz im polnischen Kattowitz soll dazu beitragen, dass Anspruch und Wirklichkeit einander wieder näher kommen. Dieses Mal soll es konkret werden. Zwar bleibt es bei freiwilligen Klimabeiträgen der Länder, doch die Delegierten aus fast 200 Staaten wollen dafür genaue Regeln vorgeben. Eine Art Gebrauchsanleitung für das Pariser Abkommen soll Ergebnis der Konferenz werden. Sie soll exakt festlegen, welche Rechte und Pflichten die einzelnen Staaten haben. Denn gerade bei einem weltweit geltenden Vertrag sei das Kleingedruckte wichtig, sagt Carsten Sach, der Chef-Unterhändler der deutschen Delegation:
    "Wenn Sie einen Handyvertrag abschließen, zu einem supergünstigen Preis, dann gucken Sie sich gerne das Kleingedruckte an, ob der dann auch überall gilt, ob da irgendwann Zusatzzahlungen erforderlich sind. Jeder Bürger versteht, dass das Kleingedruckte das ist, was es ausmacht. Und wir müssen jetzt gemeinsame Regeln schaffen, die auch Klarheit geben, die Vertrauen geben und dann tatsächlich sicherstellen: Eine Tonne ist eine Tonne."
    Einheitliche und vergleichbare Messmethoden benötigt
    Um Klimaziele nachweislich einhalten oder auch verfehlen zu können, braucht es vor allem einheitliche oder zumindest vergleichbare Methoden für die Messung von Treibhausgasen. Bisher gibt es die nur für die Industrieländer, die sich schon im Kyoto-Protokoll im Jahr 1997 zur Minderung ihres Treibhausgas-Ausstoßes verpflichtet hatten. Dazu gehören die EU-Staaten, also auch Deutschland. Erfasst werden nicht nur die Emissionen aus Kraftwerken und Fabriken, sondern auch Heizungen, Bauernhöfe und Tankstellen.
    Beim Umweltbundesamt kümmert sich Michael Strogies darum, dass jeder Tankstopp seinen Niederschlag in der Deutschen Klimabilanz findet, egal ob Superbenzin, Diesel oder Gas in den Tank fließt. Die Branche meldet, wieviel Treibstoff sie an die Kunden abgibt. Sollte also ein Autohersteller falsche Angaben zum Spritverbrauch seines Fahrzeuges machen, dann wäre das für die Zahlen, die Michael Strogies an das UN-Klimasekretariat meldet, nicht von Bedeutung: "Nein. Weil eben unsere Grundlage ist der Kraftstoff, den Sie an der Tankstelle tanken. Wie weit Sie damit fahren können, ist für die Emissionsbilanzierung nachrangig."
    Vorschriften zur CO2-Messungen bislang nur für Industrieländer
    Insgesamt ergibt sich ein Werk von knapp tausend Seiten pro Jahr. Den größten Posten machen übrigens nach wie vor die Emissionen der Energiewirtschaft aus, denn mehr als ein Drittel der klimaschädlichen Gase entweicht den Schornsteinen vor allem von Kohle- und auch Gaskraftwerken. Michael Strogies ist zuversichtlich, dass es einen umfassenden Überblick darüber liefert, was der weltweit sechstgrößte Emittent von klimaschädlichen Gasen jedes Jahr in die Atmosphäre entlässt: "Alles, was in Deutschland stattfindet und in Deutschland Emissionen verursacht, muss letzten Endes in unseren Zahlen auftauchen. Und das kann das Auto sein, der LKW, das sind die rülpsenden und pupsenden Kühe, das sind die Abfalldeponien wo die Mengen, die da verbracht werden, auftauchen, und alles taucht letzten Endes irgendwo in Statistiken auf."

    Etwa ein Dutzend Menschen arbeitet allein beim Umweltbundesamt an der Beschaffung und Verarbeitung der Zahlen. Ein Problem dabei: Es gibt zwar strenge Vorschriften für die Messung des CO2-Ausstoßes. Sie stehen im Kyoto-Protokoll, dem ersten weltweiten Abkommen über den Klimaschutz. Doch sie gelten nur für Industrieländer, bisher aber nicht für Entwicklungs- und Schwellenländer. Unter anderem gelten sie nicht für China, obwohl das Land mit Abstand der größte Emittent weltweit ist. Oder für Saudi-Arabien. Wie andere Ölförderländer auch, gilt das Land nach wie vor als Entwicklungsland.
    Blick auf das Braunkohlekraftwerk Niederaußem der RWE Power AG in Bergheim-Niederaußem
    Kohle- und Gaskraftwerke sind weiter für gut ein Drittel des deutschen CO2-Ausstoßes verantwortlich (pa/Geisler)
    Entwicklungsländern müssen Berichtssysteme aufbauen
    Das muss sich ändern, meint Carsten Sach: "In der Vergangenheit war es so, dass wir ein Regime hatten, wo Entwicklungs- und Industrieländer ziemlich trennscharf unterschieden wurden. Das ist nicht die Regelwelt des Pariser Übereinkommens, sondern jeder soll nach seinen Fähigkeiten beitragen. Insofern erkennen wir an, dass die Fähigkeit, Dinge zu tun, die Kapazität ein wichtiger Aspekt ist. Aber es kann nicht sein, dass dieses daran gemessen wird, ob man formell als Industrie- oder als Entwicklungsland eingestuft wird."
    Auf der anderen Seite stoßen vor allem ärmere Entwicklungsländer selbst kaum Klimagase aus, sie leiden aber oft umso heftiger unter der Erwärmung. Auch sie müssen nach dem Pariser Abkommen ihren CO2-Ausstoß messen. Für den Aufbau von Berichtssystemen erwarten sie deshalb Hilfe von den Industrieländern. Unter anderem Deutschland schickt Experten, so Ingrid-Gabriela Hoven, Abteilungsleiterin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
    "Die Umsetzung des Paris-Abkommens wird erforderlich machen, dass die Entwicklungsländer da in diesem Bereich noch besser aufgestellt sind. Die werden nochmal kräftig die Systeme aufrüsten müssen. In der Berichterstattung ist vorgesehen, dass natürlich die ärmsten Länder jetzt nicht so im Detaillierungsgrad haargenau eins zu eins so berichten müssen, wie ein Industrieland wie Deutschland. Aber die Vergleichbarkeit und die Transparenz und die Nachvollziehbarkeit der Daten, die geliefert werden, das muss schon gesichert sein."
    Klimaschutz braucht feste Regeln - und Ambitionen
    Das Regelbuch für den Klimaschutz wird mehrere hundert Seiten umfassen und viele Punkte sind noch strittig. Entscheidend für einen erfolgreichen Abschluss der Konferenz in Kattowitz dürfte dabei eine Einigung in der Frage sein, in wieweit Industrie- und Entwicklungsländer im Klimaschutz auch künftig unterschiedlich behandelt werden. Lidia Wojtal war lange Zeit Diplomatin im Dienst der polnischen Regierung: "Die schwierige Frage ist die nach der Differenzierung zwischen den Ländern. In wieweit sollen Länder verpflichtet werden, Dinge zu tun, die sie bisher nicht tun mussten?"
    Neben festen Regeln braucht der Klimaschutz jedoch auch Ambitionen. Den Architekten des Pariser Vertrags war durchaus klar, dass die Selbstverpflichtungen der einzelnen Staaten bei weitem nicht ausreichen, um den Temperaturanstieg deutlich unter zwei Grad zu halten, von 1,5 Grad ganz zu schweigen. Doch immer mehr Wissenschaftler befürchten, dass schon bei einem Überschreiten von 1,5 Grad Erwärmung die Natur drastisch zurückschlagen könnte: Urwälder, Böden und das Meer nehmen bisher noch große Mengen an Treibhausgasen auf.
    Bei einer stärkeren Erwärmung wäre diese Funktion bedroht, ja schlimmer noch: Die Natur könnte zu einer Quelle zusätzlicher Treibhausgase werden etwa durch die Freisetzung von Gasen aus dem auftauenden Permafrost Sibiriens. Johan Rockström: "Wir haben mehr und mehr Gründe anzunehmen, dass die Natur schon bei zwei Grad die Erderwärmung nicht mehr dämpft, sondern verstärkt und deshalb könnten zwei Grad eine planetare Obergrenze sein, bei deren Überschreitung eine unumkehrbare und sich selbst verstärkende Erwärmung einsetzt."
    Weitaus größere Anstrengungen sind nötig
    Der Weltklimarat IPCC, ein von den Vereinten Nationen gemeinsam mit der Weltorganisation für Meteorologie WMO eingesetztes Wissenschaftsgremium zum Thema Erderwärmung, hat im Oktober einen Sonderbericht veröffentlicht. Er behandelt die Frage, wie es noch möglich ist, die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten. Die Antwort: Nach den Gesetzen von Physik und Chemie ginge es noch, doch leicht wird es nicht. Hoesung Lee, der Vorsitzende des IPCC: "Dieser Bericht bestätigt, dass der Klimawandel bereits stattfindet und dass er Menschen, Ökosysteme und die Lebensverhältnisse überall auf der Welt betrifft. Er bestätigt außerdem, dass es nicht unmöglich ist, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dafür wären allerdings enorme Veränderungen in allen Bereichen des Lebens erforderlich." Doch von so drastischem Klimaschutz ist die Welt weit entfernt.
    Wenn alle Staaten ihre seitdem beschlossenen Ziele umsetzen, läuft es auf eine Erwärmung um rund drei Grad in diesem Jahrhundert hinaus, so das UN-Umweltprogramm in einem in dieser Woche veröffentlichten Bericht über die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Klimaschutz. Viele Länder hinkten sogar hinter ihren selbst gesteckten Zielen hinterher. Die Erwärmung könnte also auch noch stärker ausfallen. Um unter zwei Grad zu bleiben, müsste die Weltgemeinschaft ihre Anstrengungen für den Klimaschutz in etwa verdreifachen. Um unter 1,5 Grad zu bleiben, verfünffachen.
    Kattowitz soll konkrete Pflichten und Fristen festlegen
    Wie die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit zumindest verkleinert werden kann, das ist das zweite große Thema der Konferenz in Kattowitz. Möglich wäre dies, sagt Professor Niklas Höhne, der für das New Climate Institute die Entwicklung der CO2-Emissionen weltweit analysiert: "Gerade bei erneuerbaren Energien haben wir diese große Chance, genau das zu tun. Es ist derzeit in vielen Regionen der Welt die günstigste Form, neue Kraftwerke zu bauen, in einigen Regionen sogar günstiger, neue solche Kraftwerke zu bauen, als schon existierende Kohlekraftwerke laufen zu lassen. Wir sind wirklich in einer komplett anderen Zeit und je schneller wir komplett unsere Stromversorgung auf Erneuerbare umstellen können, je besser. Da sehen wir in jedem Land, dass noch mehr geht."

    Doch schnelle Erfolge wird es auch in Kattowitz nicht geben. Für die polnische Ex-Diplomatin Lidia Wojtal war es vergleichsweise leicht, international ein Abkommen über den Klimaschutz zu schließen: "Aber, wenn es darum geht, wirklich Pflichten und Fristen für die einzelnen Länder zu vereinbaren oder wenn es um konkrete Zahlungen geht, dann wird die Aufgabe wesentlich schwerer. Und um diese Dinge geht es nun in Kattowitz."
    Blick auf ein Feld aus Sonnenkollektoren in Bhagwanpur in Indien.
    Chance für den Klimaschutz: Solarkraftwerk in Bhagwanpur in Indien - eins der größten in Asien (picture alliance / dpa/ Sanjeev Gupta)
    Klimapolitisch schwierige Zeiten
    In fünfjährigen Abständen will die Staatengemeinschaft ihre Klimaziele aktualisieren. Bei Abschluss des Pariser Abkommens wurde bereits allgemein anerkannt, dass die nationalen Ziele bei weitem nicht ausreichen. Der technische Fortschritt und die wachsende Einsicht in die Dringlichkeit des Handels sollen eine Aufstockung ermöglichen. Doch seit 2015, als das Pariser Abkommen entstand, haben sich die Zeiten geändert. Die USA wollen sich vom Klimaschutz verabschieden, sie sind nach China der zweitgrößte Emittent von Treibhausgasen.
    Eine ähnliche Wende vollzieht sich anscheinend zurzeit in Brasilien, wo der neu gewählte Präsident Jair Bolsonaro den Schutz des Regenwaldes zur Disposition stellt. Brasilien hatte sich auch als Ausrichter der UN-Klimakonferenz im Jahr 2019 angeboten, doch kurz vor der Entscheidung darüber zog die Regierung dieses Angebot zurück. Susanne Dröge von der Stiftung Wissenschaft und Politik:
    "Also wir sind wirklich in schwierigen Zeiten unterwegs. Brasilien ist das jüngste Beispiel, wo sich die Stimmung dreht im politischen Gesamtbild. Das muss außenpolitisch und in dem Falle auch klimapolitisch nicht sofort durchschlagen, aber es gibt Anlass zur Sorge. Die erwähnte Allianz zerbrach in dem Moment, wo die USA gewählt hatten, 2016 war völlig klar, dass das Gespann China und USA erstmal vorläufig der Geschichte angehört."
    Auch Deutschland im Klimaschutz zurückgefallen
    Für eine drastische Erhöhung der Klimaschutz-Anstrengungen weltweit sind das keine guten Aussichten, zumal auch andere Staaten im Klimaschutz zurückgefallen sind, zum Beispiel Deutschland. Bundesumweltministerin Svenja Schulze wäre gern mit einem konkreten Plan für den Kohleausstieg nach Kattowitz gereist, doch die zuständige Kommission der Bundesregierung konnte ihre Arbeit - anders als zunächst geplant - nicht im November abschließen. Das Ergebnis soll jetzt erst im nächsten Jahr vorliegen.
    Trotzdem könne Deutschland im Klimaschutz auf Erfolge verweisen, sagte die Ministerin gestern im Bundestag: "Wir gehen nicht mit leeren Händen nach Kattowitz. Wir können hier in Deutschland zeigen, wie wirtschaftlicher Erfolg und engagierter Klimaschutz gemeinsam vorangehen kann." Etwa in der Energiewende - mehr als ein Drittel der Stromproduktion in Deutschland kommt inzwischen aus erneuerbaren Quellen.
    "Langfrist-Strategie der EU muss sich ändern"
    Zu den Staaten, die auf Fortschritte drängen, gehören viele Entwicklungsländer, darunter vor allem Inselstaaten im Pazifik, die durch die Erwärmung in ihrer Existenz bedroht sind. Wenn die Europäische Union sich weiter als Vorreiter im Klimaschutz präsentieren will, dann hat sie in diesen Staaten potenzielle Verbündete.
    Das Bikini-Atoll, das zu den Marshall-Inseln gehört.
    Die Marshall-Inseln im Pazifik sind besonders vom Klimawandel betroffen (dpa/picture-alliance)
    Susanne Dröge: "Es gibt aber schon eine große Zahl von Ländern, die für sich beschlossen haben, das Paris-Abkommen gilt für uns. Wir nehmen das sehr ernst. Ob das substanziell Emissionsreduktionen hervorbringt, ist eine komplett andere Frage. Also, wenn wir hier über das Politische reden, dann ist es völlig klar, dass die EU ja schon angefangen hat, darüber zu sprechen, dass sie im Licht des Paris-Abkommens ihre 2030-Zielsetzungen plus die langfristigen für 2050 komplett ändern müssen. Also: Zumindest die Langfrist-Strategie muss sich ändern im Lichte des Paris-Abkommens."
    EU-Ziel: Erster klimaneutraler Wirtschaftsraum
    Die EU hat kurz vor dem Gipfel in Kattowitz ihre langfristige Klimastrategie präsentiert. Zu einer Verschärfung der Ziele bis zum Jahr 2030 konnte sie sich allerdings nicht durchringen. Bis 2050 will sie dafür weltweit der erste klimaneutrale Wirtschaftsraum sein. Erneuerbare Energien sowie Atomkraft sollen den Strom erzeugen, Energie soll sparsamer verwendet werden und auch der Straßenverkehr wird weitgehend elektrifiziert. EU-Klimakommissar Miguel Arias Canete: "Klimaneutral zu werden, ist die richtige Wahl für Europa. Es ist die richtige Wahl für unsere Wirtschaft, für unsere Gesellschaft und es ist auch richtig für unsere Rolle in der Welt. Dieses Ziel gibt Unternehmen und Investoren eine klare Richtung vor."
    Trotz der schwierigen Ausgangssituation: Die Klimakonferenz in Kattowitz soll Entscheidungen bringen, zu denen die Staatengemeinschaft vor drei Jahren in Paris noch nicht in der Lage war. Lidia Wojtal ist optimistisch, dass dies auch gelingen wird: "Meiner Ansicht nach will niemand der Vater des Scheiterns sein. Polens Präsident Duda hat die Staats- und Regierungschefs eingeladen, ihn beim Start der Konferenz zu unterstützen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihnen dann ein Scheitern der Konferenz passen würde."
    Wissenschaftler erwarten keine Klimaschutz-Wende
    Fest steht allerdings auch: Die aus Sicht von Wissenschaftlern nötige Wende zu drastisch mehr Klimaschutz wird in Kattowitz nicht beschlossen werden. Johan Rockström, der designierte Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, setzt deshalb auch darauf, dass möglichst viele Menschen sich selbst um das Klima kümmern, und zwar nicht nur durch Verzicht auf Kohlestrom, spritfressende Autos oder Fernreisen.
    "Und vor allem: Reden Sie darüber. Reden Sie mit Ihren Freunden und versuchen Sie, aus dem Klimaschutz eine Bewegung zu machen. Sorgen Sie dafür, dass viele Menschen aus Ihrer Umgebung sich hier in positiver Art und Weise engagieren. Machen Sie die Belege der Wissenschaft für den Klimawandel zum Thema, aber besonders auch die Lösungen. Denn je mehr darüber gesprochen wird, desto mehr merken die Spitzen der Politik, dass dies wichtig ist. Und damit wird es wahrscheinlicher, dass wir die richtigen Entscheidungen bekommen."