Agenda 2030
Sind die UN-Nachhaltigkeitsziele noch erreichbar?

Eine Welt ohne extreme Armut und Hunger und mit nicht mehr als 1,5 Grad Erderwärmung: Auf insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele hat sich die Weltgemeinschaft 2015 geeinigt. Ob die bis 2030 zu verwirklichen sind, ist zur Halbzeit fraglich.

    Eine Hand pflanzt in Burkina Faso eine Bohne in die Erde. Am Rand des Pflanzlochs sind kleine Pflanzen mit grünen Blättern zu sehen.
    Eine Bohne in die Erde pflanzen: Das ist ein Beitrag zur Ernährungssicherung, wie hier in Burkina Faso. Bis 2030 wollen die Staaten der Welt den Hunger global besiegt haben. (picture alliance / Westend61 / Florian Kopp)
    Würden die Staatengemeinschaft die UN-Nachhaltigkeitsziele erreichen, die Welt wäre in wenigen Jahren ein sehr viel besserer Ort: Es würden weltweit keine Armut und kein Hunger mehr herrschen, überall wären Gleichstellung und würdige Arbeitsbedingungen etabliert und auch der Klimawandel wäre zumindest begrenzt.
    All diese Vorhaben gehören zu den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen, die 2015 von allen Staaten der Welt beschlossen wurden. Bis 2030 sollen sie erreicht sein. Doch die Halbzeitbilanz lässt am möglichen Erfolg zweifeln – sowohl weltweit als auch in Deutschland.

    Inhaltsangabe

    Was sind die 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) der Vereinten Nationen?

    Im September 2015 haben die Vereinten Nationen die Agenda 2030 für eine globale, nachhaltige Entwicklung beschlossen. Damit wurden erstmals weltweit gültige Ziele für nachhaltige Entwicklung (deutsch für Sustainable Development Goals, kurz SDGs) vereinbart. Die Agenda 2030 umfasst 17 Ziele und 169 Unterziele, die bis zum Jahr 2030 zu erreichen sind. Die 193 UN-Mitgliedsstaaten stimmten einstimmig für das Dokument mit dem Titel „Die Transformation unserer Welt“. Die UN-Nachhaltigkeitsziele folgten auf die Milleniumsziele, die im Jahr 2000 beschlossen wurden und bis 2015 galten.
    Die Nachhaltigkeitsziele beziehen sich auf eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung. Sie sollen die Lebensverhältnisse der Menschen heute und künftiger Generationen grundlegend verbessern und die Erde schützen.

    Die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030

    1. Armut in jeder Form und überall beenden
    2. Ernährung weltweit sichern
    3. Gesundheit und Wohlergehen
    4. Hochwertige Bildung weltweit
    5. Gleichstellung von Frauen und Männern
    6. Ausreichend Wasser in bester Qualität
    7. Bezahlbare und saubere Energie
    8. Nachhaltig wirtschaften als Chance für alle
    9. Industrie, Innovation und Infrastruktur
    10. Weniger Ungleichheiten
    11. Nachhaltige Städte und Gemeinden
    12. Nachhaltig produzieren und konsumieren
    13. Weltweit Klimaschutz umsetzen
    14. Leben unter Wasser schützen
    15. Leben an Land
    16. Starke und transparente Institutionen fördern
    17. Globale Partnerschaft
    Beispielsweise soll es keine extreme Armut und keinen Hunger mehr geben. Erreicht werden sollen auch der Zugang zu sauberem Trinkwasser und einer Basisgesundheitsversorgung, die Gleichstellung von Frauen und Männern und die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad. Alle Kinder sollen mindestens die Grundschule abschließen. Würdige Arbeitsbedingungen und ressourcenschonende Wirtschaftsentwicklung gehören ebenfalls zu den Zielen.
    Zur Messung der globalen Ziele wurden weltweit vergleichbare Indikatoren entwickelt. Sie sollen für die national erhobenen Daten verwendet werden.

    Wie ist der aktuelle Stand bei den SDGs?

    Bei der Agenda 2030 ist nun etwa Halbzeit und damit der Moment für die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs, Zwischenbilanz zu ziehen. Dazu dient auch der Weltnachhaltigkeitsbericht, der alle vier Jahre erscheint. Er zeigt: Vom Erreichen der Nachhaltigkeitsziele sind die Staaten weit entfernt. Lediglich 15 Prozent der insgesamt 140 Einzelmaßnahmen liegen im Zeitplan. Bei mehr als 30 Prozent der Ziele gibt es keine Veränderung oder es wurden seit 2015 sogar Rückschritte verzeichnet.
    Bis zur Coronapandemie und dem Ukrainekrieg seien die Ziele erreichbar gewesen, sagt der Nachhaltigkeitsforscher Kai Niebert. Er bereitete den aktuellen UN-Nachhaltigkeitsgipfel mit vor. Jetzt vergrößere sich die Zahl der Hungernden und in Armut lebenden Menschen weiter, auch die CO2-Emissionen stiegen.
    Ein weiteres globales Problem: Zahlreiche arme Länder sind in eine Schuldenkrise geraten. Sie hätten so versucht, die Folgen der Coronapandemie und des Kriegs in der Ukraine abzumildern, schildert die Soziologin Imme Scholz. Sie hatte beim Weltnachhaltigkeitsbericht den Co-Vorsitz.
    Einen anderen Grund für die Schuldenkrise im globalen Süden nennt Nachhaltigkeitsforscher Niebert: Die reichen Länder heizten die Klimakrise an, die Schäden träten aber vor allem im globalen Süden auf.

    Positive Entwicklungen in mehreren Bereichen

    Doch es gebe auch Fortschritte, so Imme Scholz, die Mitglied im Vorstand der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung ist. Auf einem guten Weg sei die Weltgemeinschaft, wenn es um die Nutzung des Internets gehe und um den Zugang zu mobiler Telefonie.
    Auch bei der besseren Begleitung von Geburten sehe es gut aus – trotz der Coronapandemie. Fortschritte gebe es auch in Richtung Vollbeschäftigung. Hier schränkt Scholz ein: „Das sagt nichts über die Qualität der Arbeitsplätze aus.“ Ein Nachhaltigkeitsziel nennt gute, menschenwürdige Arbeitsplätze.

    Pessimistische Prognose

    Sehr schlecht sehe die Situation beispielsweise beim Thema Ernährung und Malaria aus, erklärt Imme Scholz. Auch was die Inhaftierung von Menschen ohne Gerichtsurteil betrifft, sei man weit entfernt vom Ziel. Am unteren Ende der Skala befinde sich auch die Fischerei, wo es "nach wie vor eine massive Überfischung" gebe.
    Imme Scholz‘ Prognose ist pessimistisch: Im Überblick werde deutlich, „dass wir die Überwindung der extremen Armut nicht erreichen werden; dass wir die meisten Ziele 2030 nicht erreichen werden“.
    Das bestätigen die Vereinten Nationen: Wenn es so weiter geht wie bisher, leben im Jahr 2030 noch immer 575 Millionen Menschen in großer Armut und mehr als 600 Millionen hungern.

    Was tut Deutschland zur Umsetzung der SDGs?

    Deutschland hat nach der Definition der 17 globalen UN-Nachhaltigkeitsziele zugesagt, diese im eigenen Land umzusetzen und anderen Ländern bei der Umsetzung der SGDs zu helfen. Grundlage dafür ist die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Das Statistische Bundesamt berichtete regelmäßig in sogenannten Indikatorenberichten über die Entwicklung der Nachhaltigkeitsindikatoren, anhand derer die Erreichung der Ziele in Deutschland gemessen wird.
    Der letzte Indikatorenbericht des Statistischen Bundesamtes zeigt Probleme in mehreren Bereichen auf, so etwa bei der Verteilungsgerechtigkeit, also dem Maß der Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung: Ziel ist hier, dass das Maß der Ungleichheit in Deutschland – ausgedrückt durch den Gini-Koeffizienten – bis 2030 unterhalb des Maßes der Ungleichheit der Europäischen Union liegt. Für das Jahr 2021 steht im Bericht, dass sich die Ungleichheit in der Einkommensverteilung in Deutschland nur in geringem Maß von dem der EU unterschied. Dennoch habe der Gini-Koeffizent auch in diesem Jahr „oberhalb des entsprechenden Wertes der EU gelegen, sodass das Ziel der Bundesregierung nicht erfüllt wurde“.
    Im Bereich der Bildung ist ein Ziel in Deutschland, den Anteil an Menschen ohne Schul- und Berufsabschlüssen bis 2030 auf 9,5 Prozent zu senken. Hierzu heißt es im Bericht, im Jahr 2021 seien das 11,6 Prozent gewesen. Dies entspreche 698.000 jungen Menschen ohne Abschluss des Sekundarbereichs II, die sich nicht oder nicht mehr in Aus- oder Weiterbildung befinden. 2014 sei der Wert auf 9,5 Prozent gesunken und hatte die für 2030 gesetzte Zielmarke damit bereits erreicht. Seitdem entwickele sich der Indikator aber wieder entgegen der gewünschten Richtung, so der Indikatorenbericht des Statistischen Bundesamts.  

    Ziel bereits erreicht bei der Erwerbstätigenquote

    In die richtige Richtung geht die Entwicklung laut dem Indikatorenbericht 2022 beispielsweise bei der Quote der Erwerbstätigen: Sie sei insgesamt – also bei den 20- bis 64-Jährigen – von 68,7 Prozent im Jahr 2000 auf 79,6 Prozent im Jahr 2021 gestiegen. Der Zielwert für 2030 von 78 Prozent werde bereits seit 2015 erreicht. Auch bei den Älteren – 60- bis 64-Jährigen – werde der angestrebte Anteil von 60 Prozent seit 2018 und damit vor der gesetzten Frist erreicht.
    Auf internationaler Ebene hat Deutschland weitere finanzielle Mittel zur Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele zugesagt: Die Bundesregierung hat zwölf "Schlüsselbeiträge" vorgelegt. So bekräftigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), dass Deutschland der Weltbank 305 Millionen Euro für günstige Kredite zur Verfügung stellt. Außerdem will die Bundesregierung ihren Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung erhöhen.

    Wie wird das Vorgehen Deutschlands bewertet?

    Die mehr als 300 Millionen Euro für die Weltbank seien „schon ein Zeichen“, so Nachhaltigkeitsexperte Kai Niebert - aber nicht ausreichend. Die Weltbank müsse so umgebaut werden, dass sie künftig nicht „nur Armut und Hunger beseitigt“, sondern eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung auch im globalen Süden ermöglicht. Außerdem brauche es eine Umschuldung.
    Die internationale Finanzarchitektur müsse umgebaut werden, so Niebert, um dem globalen Süden eine bessere Entwicklung zu ermöglichen. Schließlich seien es nicht die Nachhaltigkeitsziele, die verändert werden müssten, sondern die Maßnahmen zu ihrer Erreichung.
    Niebert mahnt auch: Deutschland müsse auch zu Hause in Sachen Nachhaltigkeit glaubwürdig werden. Er bemängelt, dass jährlich 65 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen ausgeben werden. Beispielsweise seien internationale Flüge von der Mehrwertsteuer befreit, große Dienstwagen und Diesel subventioniert, so der Professor von der Universität Zürich.

    Welche Rolle spielt der Klimawandel für die SDGs?

    Es gebe viele Überschneidungen zwischen dem Klimawandel und der Verschlechterung von Lebensbedingungen, sagt Soziologin Imme Scholz. Das UN-Umweltprogramm UNEP habe daher recht mit seiner Aussage: Wenn es nicht gelinge, den Klimawandel aufzuhalten, sei jeglicher wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt gefährdet.

    Können die Ziele noch erreicht werden?

    Wenn es eine Chance geben soll, die Nachhaltigkeitsziele bis 2030 zu erreichen, braucht es größere Anstrengungen als bisher. Das steht für die meisten Experten fest. Ob ihre Einhaltung überhaupt noch realistisch ist, da gehen die Meinungen auseinander. Die Soziologin Imme Scholz ist pessimistisch, für sie können die meisten Ziele nicht erreicht werden.
    Der Nachhaltigkeitsexperte Kai Niebert ist optimistischer. So mache ihm das im Dezember 2015 von 197 Staaten auf der Weltklimakonferenz beschlossene Abkommen Hoffnung. Damals gingen die Prognosen von einer Erderwärmung von 3,5 bis 3,9 Grad bis Ende des Jahrhunderts aus. "Wir stehen jetzt bei rund 2,5 Grad.“ Das sei noch nicht genug, aber „das zeigt: Diese Abkommen wirken.“
    Deshalb sei es wichtig, „dass wir dieses globale Nachhaltigkeitsabkommen haben und darum herum noch viele Abkommen abschließen“. Beispiel: das Abkommen zur biologischen Vielfalt Ende 2022.
    So wird derzeit in New York ein Abkommen zum Schutz der Weltmeere unterzeichnet, außerdem wird ein Plastikabkommen vorbereitet. Doch es brauche deutlich mehr Geschwindigkeit, fordert Kai Niebert.

    Annette Bräunlein, AFP, dpa