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Unabhängige Medien in der Ukraine
Berichten ohne Hilfe von Oligarchen

Wegen der Coronakrise geraten viele aktuelle Themen ins Hintertreffen. Das trifft erst Recht auf eine Region wie die Ostukraine zu, aus der ohnehin kaum verlässliche Informationen zu bekommen sind. Selbst unabhängige Medien aus der Ukraine sind deshalb vor allem auf Verlautbarungen angewiesen.

Von Thomas Franke |
Ein Sendestudio von Hromadske Radio, in dem ein Mann und eine Frau sitzen
Hromadske Radio - ein gemeinnütziges Medienunternehmen in der Ukraine (Deutschlandfunk / Thomas Franke)
Olya Russina sitzt an einem kleinen Tisch im Studio vor einem Computer und bereitet die Nachrichten vor. "Um 11 Uhr muss ich senden." Sie ist 24 Jahre alt, hat in Polen Journalistik studiert. Dann kam sie zurück nach Kiew. Hromadske Radio ist ein gemeinnütziges Medienunternehmen. "Hromadske" heißt "öffentlich". In der sonst von Oligarchen und ihren Medien dominierten Ukraine ist ein unabhängiger Radiosender wie Hromadske sehr wichtig.
"Ich wollte unbedingt im Radio arbeiten. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich gar nicht verstehen kann, was passiert. Aber ich habe das Glück, dass ich viele ältere Kollegen habe, die mir helfen und mir etwas beibringen."
Doch selbst erfahrene ukrainische Journalisten kommen an ihre Grenzen, wenn es um Nachrichten aus dem Osten des Landes geht, erzählt Kyrylo Lukerenko, der Geschäftsführer von Hromadske Radio. Dann wendet er sich Olya zu: "Wir haben in fünf Minuten Nachrichten. Wir müssen raus."
Auf Verlautbarungen angewiesen
Geschäftsführer Lukerenko erzählt, dass die Verhaftung des Radio-Free-Europe-Mitarbeiters den Ernst der Lage erneut ins Bewusstsein gebracht hat. Stanislav Aseev war trotz des Krieges in der sogenannten Volksrepublik Donezk geblieben und hatte unter Pseudonym für den Sender gearbeitet. Er war im Sommer 2017 von den Separatisten gefangen genommen worden.
"Wir hatten dort ein paar Quellen. Inzwischen haben sie entweder den Donbass verlassen, oder wir arbeiten nicht mehr mit ihnen, weil wir nicht in der Lage sind, ihnen zu helfen, wenn etwas passiert."
Derzeit haben sie niemanden hinter der Frontlinie. Sie seien deshalb auf die Verlautbarungen der Pseudoregierungen angewiesen, manchmal könnten sie die mit Hilfe von Verwandten oder Bekannten im Donbass ein wenig überprüfen. Journalismus sei das nicht, sagt Lukerenko.
"Es geht um die Qualität"
Das Problem liegt nicht nur auf der anderen Seite der Frontlinie, wo von Moskau unterstützte Kräfte freie Berichterstattung behindern. Lukerenko klagt, dass auch im von der Ukraine kontrollierten Gebiet Oligarchenkänale die öffentliche Debatte dominierten.
"Präsident Selenski ist ein demokratischer Präsident. Aber er selbst gehört zur Medienwelt. Er ist zwar daran interessiert, die Medienfreiheit zu wahren, aber er steht dem Fernsehsender des Oligarchen Ihor Kolomoiski nahe. Dieser ist ein Verbündeter des Präsidenten. Ich würde schon sagen, dass die Medien in der Ukraine frei sind. Es geht eher um die Qualität. Ich würde mir wünschen, dass die gemeinnützigen und öffentlich-rechtlichen Sender einflussreicher wären und dass die Politiker mehr Verantwortung zeigen würden. Denn die Medien auf der Seite der Oligarchen werden von ihnen kontrolliert."
Olya Russina kommt aus dem Studio. Eben mal zu Recherchen in den Donbass zu fahren, ist nicht möglich. Und vielen Kiewern fehlt schlichtweg das Wissen über den Osten des Landes. Auch Olya Russina geht das so: "Ich würde gern in den Donbass fahren. Ich möchte den Donbass so gut kennen, wie ich Kiew kenne oder Lwiw."
Doch in den Donbass zu fahren, ist für Ukrainer durchaus gefährlich. "Früher hatte ich keinen Kontakt zu Menschen aus dem Donbass und wusste wenig. Und nun muss ich weit mehr Probleme und Themen verstehen, über die ich früher nicht nachgedacht habe. Das beschäftigt mich sehr."