Dina Netz: Zuerst blicken wir noch einmal nach Leipzig, wo gerade die Buchmesse läuft. Und heute interessiert uns die Situation der unabhängigen Verlage, deren Bedeutung als Trüffelschweine des Buchmarkts kaum zu überschätzen ist. Sie sind häufig die, die die neuen interessanten literarischen Stimmen entdecken und fördern.
Die unabhängigen Verlage haben heute eigentlich allen Grund zum Feiern: Heute wurde auf der Leipziger Buchmesse der Kurt Wolff-Preis verliehen, an den Merlin Verlag und seinen Verleger Andreas J. Meyer. Aber so richtig in Feierstimmung sind die Independents nicht, wie sie sich selbst nennen. Das Thema, das die Branche derzeit umtreibt, ist die Insolvenz des Buchlogistikers KNV im Februar. Die Nachricht war ein Schock. KNV, das ist der sogenannte Buchgroßhändler Koch, Neff und Volckmar, also vereinfacht gesagt: Dort lagern die Verlage ihre Bücher, die dann von den Buchhandlungen bestellt werden. KNV ist nun trotz Insolvenz auf der Leipziger Buchmesse mit einem Stand präsent, man will signalisieren: Es geht weiter.
Trotzdem: Gerade für die unabhängigen Verlage bedeutet die KNV-Insolvenz das besagte wirtschaftliche Risiko. Frage an die Verlegerin Anya Schutzbach von weissbooks: Warum ist das so?
Anya Schutzbach: Es geht schlicht ums Geld und es geht um Liquidität. Es ist so, dass wir die Bücher ja nicht immer direkt an die Buchhandlungen liefern, sondern dass es über diesen Zwischenbuchhändler geht oder die Auslieferung, KNV, und dass die dort unser Geld vertragsgemäß parken – für manchmal 60 Tage, manchmal 90 Tage.
Das Geld vom Weihnachtsgeschäft fehlt in der Kasse
Das kommt darauf an, je nachdem, welche Verträge man mit ihnen abgeschlossen hat. Das heißt, was wir im Weihnachtsgeschäft an Umsätzen generiert haben, die Bücher, die verkauft wurden – und das Weihnachtsgeschäft ist die wichtigste Jahreszeit für Verleger -, dieses Geld erreicht uns Verlage jetzt zu großen Teilen nicht. Das sind Ausfälle im Bereich von Zwei- bis Dreitausend, aber auch bis 100.000 Euro, und das sind Summen, mit denen ein Verlag einfach wirtschaftlich planen können muss. Sonst kann er seinen regulären Geschäftsbetrieb überhaupt nicht aufrecht erhalten.
Netz: Im Februar hatte die KNV-Insolvenz, Frau Schutzbach, ja zunächst tatsächlich auch Lieferschwierigkeiten bedeutet. Wie ist das inzwischen? Finden die Bücher wieder zu ihren Lesern?
Schutzbach: Ja, das hat sich inzwischen normalisiert. Meiner Meinung nach ist das Team der Insolvenzverwalter da auch sehr gut und klug vorgegangen. Man hat auch sehr stark plädiert für die Solidarität der Verlage gegenüber dem Zwischenbuchhändler. Wir liefern weiter Bücher, aber in der Regel mit Sondervereinbarungen, dass das, was jetzt ausgeliefert wird, dann auch umgehend bezahlt wird.
Netz: Wieviel kann denn ein Verlag wie weissbooks, wie Ihr Verlag aushalten? Wie lange können Sie auf diese Gelder aus dem Weihnachtsgeschäft zum Beispiel verzichten? Oder sind da wirklich auch schon existenzbedrohende Szenarien im Raum?
Schutzbach: Die Situation ist für weissbooks glücklicherweise nicht existenzbedrohend, möglicherweise aber für Kollegen von mir. Es hängt tatsächlich davon ab, wie hoch die Summe ist, die in den Kassen fehlt. Und es ist uns auch deutlich gemacht worden, dass die Ausstände uns vermutlich nie erreichen werden. Das Geld ist einfach weg, es kommt nicht zurück. Was jetzt kommt sind aktuelle Verkäufe, die KNV jetzt wieder für uns tätigt, aber das, was verloren gegangen ist in diesen ersten zwei Monaten, das kriegen wir nicht wieder.
Die Verlage müssen jetzt Rückstellungen machen in ihren Bilanzen, und die Frage ist, wieviel Rückstellungen hält die einzelne Bilanz dann aus, bevor man in Insolvenznähe kommt.
"Bücher gegen den Mainstream"
Netz: Anderes Thema, Frau Schutzbach. Gerade im Moment wird auch heftig über die EU-Urheberrechtsreform und das freie Internet diskutiert. Ein Urheberrecht, ein neues, ist ja auch für Autor(inn)en und Verlage ein wichtiges Thema. Welche Position vertreten Sie oder die unabhängigen Verlage überhaupt in diesem Streit?
Schutzbach: Ich denke, alle Verlage vertreten die Position des Überlebens. Das Urheberrecht ist grundsätzlich (und angepasst, sagen wir mal, auf neue digitale Realitäten, auf neues europäisches Urheberrecht), das ist auch eine überlebenswichtige Quelle für die Verlage, dass unsere Leistungen, die wir als Verlage erbringen, um Bücher, Inhalte, geistiges Eigentum in die Welt zu bringen, honoriert werden. Vor zwei oder drei Jahren hatten wir den unglücklichen Fall, dass die VG-Wort-Vergütungen wegbrachen aufgrund einer Gesetzeslücke. Das sind auch ökonomische Ressourcen, die uns ermöglicht haben, langfristig zu planen. Das ist jetzt nicht mehr der Fall nach einem europäischen Urteil. Jetzt ist es umso wichtiger, dass das neue Urheberrechtsgesetz uns da wieder stärkt, uns Möglichkeiten gibt zu operieren, zu investieren.
Netz: Neue Möglichkeiten zu operieren haben Sie sich kürzlich erschlossen. Sie haben angekündigt, mit weissbooks unter das Dach des Züricher Unionsverlages zu schlüpfen – mit eigenem Programm. Kann man auch an diesem Schritt ablesen, dass die Luft für die unabhängigen Verlage immer dünner wird?
Schutzbach: Ja, die Luft ist dünner geworden, ganz eindeutig, ich sage mal, im letzten Jahrzehnt. Das hat man gespürt, das weiß man, und ich glaube, jeder von uns hat sich in den letzten zehn Jahren Gedanken darüber gemacht, wie stellt man sich auf, um dennoch weiter Bücher machen zu können – Bücher gegen den Mainstream möglicherweise, Bücher, die nicht unbedingt nur auf Bestseller-Tauglichkeit getrimmt sind, Entdeckungen, besondere Übersetzungen zu wagen, Risiken einzugehen, und jeder findet da so seinen Weg.
"Wir bräuchten eine konstant zuverlässige Luftverdickung"
Meine Überzeugung war von je her: Wenn man als unabhängiger Verlag zu klein ist und keine Chancen hat, sich auf eine breitere, solidere infrastrukturelle Basis zu stellen, dann wird die Luft irgendwann so dünn, dass man nicht mehr kann.
Netz: Was müssten für Maßnahmen ergriffen werden, damit die Luft ein bisschen leichter zu atmen wird in Zukunft?
Schutzbach: Um bei dem Bild der dünner gewordenen Luft zu bleiben: Wir bräuchten eine konstant zuverlässige Luftverdickung oder Anreicherung durch Sauerstoff. Wir haben glücklicherweise jetzt in Aussicht einen Deutschen Verlagspreis. Das ist eine ganz hervorragende Nachricht, die Frau Grütters auch noch mal bestätigt hat bei der Eröffnung der Leipziger Buchmesse. Aber ein Verlagspreis ist ein einmaliger Tropfen auf einen sehr heißen Stein. Da wir aber alle langfristig planen müssen – wir machen ja Programme jetzt schon für die Jahre 2022/23 -, bräuchten wir das, was Länder wie Österreich und die Schweiz haben, nämlich eine nachhaltige Verlagsförderung. Das heißt: Sauerstoffzufuhr in nicht unbedingt großen Dosen, aber in regelmäßigen konstanten und langfristig geplanten Dosierungen.
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