Zwischen Paris und dem südpazifischen Neukaledonien liegen 18.000 Kilometer. Ein eigentümliches politisches Gebilde: Teil von Frankreich, doch bezahlt wird mit dem Pazifik-Franc. Der EU nur assoziiert, dürfen die rund 280.000 Neukaledonier sich dennoch an den EU-Wahlen beteiligen – und Geld aus Brüssel gibt es ebenso wie aus Paris. Von dort kommen mit einer Milliarde Euro jährlich rund 13 Prozent des Bruttoinlandproduktes.
Die Nachfahren der Ureinwohner, die Kanaken, ein indigenes Volk, das seit Jahrhunderten auf der Insel lebt, sie machen noch rund 40 Prozent der Bevölkerung aus – die Mehrheit bilden Zuwanderer von anderen Pazifikinseln, aus Europa und Asien. Die Kanaken führen die Unabhängigkeitsbestrebungen an, denn die meisten von ihnen fühlen sich unterdrückt. Zum Beispiel Darewa Dianeo, der im französischen Sender BFM sagte:
"Mir persönlich hat Frankreich gar nichts gegeben. Im Gegenteil, sie haben sich jahrelang über uns lustig gemacht, haben uns verspottet, auch unsere Kultur.
Insbesondere die Unterdrückung von Kultur, Religion und Sprache empfinden viele als unerträglich. Husa Angexetine:
"Meine Sprache, meine Wörter – ich kann sie kaum benutzen. Man sagt mir, lerne Spanisch, lerne Französisch, lerne Englisch – um in der Welt voranzukommen. Die Welt, ja, sie ist schön – aber wir? Was können wir hier schon machen?"
Gefangene werden auf die Insel geschickt
Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts kamen französische Walfänger, Holzhändler, Missionare nach Neukaledonien. Als der französische Kaiser Napoleon III. 1853 eine Sträflingsinsel suchte, erklärte er Neukaledonien kurzerhand zum Teil Frankreichs. Die Strafkolonie existierte bis 1922, die Gefangenen wurden vor allem zum Abbau von Nickelerzen eingesetzt, bald kamen Siedler aus anderen Ländern hinzu, Arbeiter aus Asien. Die Kanaken hingegen profitierten so gut wie gar nicht von dem Aufschwung, wurden sie doch durch eine Art Apartheid-System konsequent unterdrückt. Revolten gab es immer wieder, auf die die französische Regierung mit Enteignung und Deportation ins unwegsame Landesinnere reagierte. Erst 1953 verbesserte sich die Lage der Kanaken: durch die Erklärung der französischen Bürgerrechte für alle Einwohner Neukaledoniens, die das Aufkommen von Unabhängigkeitsbestrebungen begünstigte, vor allem in der Inselhauptstadt Nouméa. Darewa Dianeo:
"Es gibt hier sehr schicke Viertel, da leben die Weißen, das Bürgertum. Wir Kanaken leben alle in den armen Vierteln. Es gibt so viel Ungerechtigkeit hier: Das muss sich ändern – und es ändert sich durch die Unabhängigkeit."
Unabhängigkeitsbewegung seit den 80er-Jahren
Die neukaledonische Unabhängigkeitsbewegung gibt es seit den 80er-Jahren. Von häufigen Unruhen begleitet, erreichte sie 1988 ihren Höhepunkt, als Separatisten 27 Polizisten und einen Richter als Geiseln nahmen - bei deren Befreiung durch französische Spezialkräfte starben 19 Kanaken und zwei Soldaten. Fortan wurde den Kanaken größere Autonomie zugebilligt und ein Referendum über die völlige Unabhängigkeit von Frankreich in Aussicht gestellt. Doch die Abstimmung wurde immer wieder verschoben, was zeitweise bürgerkriegsähnliche Zustände hervorrief. Erst jetzt, 30 Jahre später, findet das Referendum tatsächlich statt. Die französische Regierung zeigt sich neutral, will jedes Abstimmungsergebnis anerkennen. Anfang Mai besuchte Staatspräsident Emmanuel Macron Neukaledonien, nahm an einer Gedenkzeremonie für die Toten jener Geiselnahme von 1988 teil - legte aber entgegen der Gepflogenheiten und Erwartungen keinen Kranz nieder. In seiner Ansprache warb er dafür, am gegenwärtigen Status der Insel nichts zu ändern – sagte aber auch, er sei letztlich unparteiisch in der Sache.
"Ich sage das nicht, um mich der Verantwortung zu entziehen, sondern weil es einfach nicht meine Verantwortung ist. Was ich Ihnen aber als Präsident der Republik mit reinem Herzen sagen kann, ist, dass Frankreich ohne Neukaledonien nicht mehr dasselbe Land wäre. Denn so wie Neukaledonien sich Frankreich immer zugehörig gefühlt hat, so war auch Frankreich hier immer präsent."
Die Aussichten für die Kanaken, am Sonntag tatsächlich die Unabhängigkeit ihrer Insel herbeizuführen, stehen eher schlecht. Umfragen zufolge sind mehr als 60 Prozent der Wahlberechtigten gegen eine Loslösung von Frankreich.