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Unabhängigkeitsbefürworter in Katalonien
Seit Jahren in einer Blase

Sie werden fast schon zu einem Ritual – die Demonstrationen vieler Menschen in Katalonien, die sich von Spanien loslösen wollen. Jetzt ist ein weiterer Massenprotest in Barcelona geplant. Die meisten Teilnehmer dieser Aktionen sind seit Wochen dieselben. Ihre Sicht auf die Lage hat sich kaum verändert.

Von Oliver Neuroth |
    Der Student Joan Correa schwenkt am 30.10.2017 die Flagge Kataloniens vor dem Gebäude der Provinzregierung in Barcelona, um den abgesetzten Lokalpräsidenten Carles Puigdemont zu unterstützen.
    Eine Flagge Kataloniens weht vor dem Gebäude der Provinzregierung in Barcelona (dpa / Andrej Sokolow)
    Der 11. September, Nationalfeiertag Kataloniens. Schätzungsweise eine Million Menschen waren in Barcelona unterwegs, hielten Unabhängigkeitsflaggen in ihren Händen. Darunter auch Aleix, Student, 26 Jahre alt. Er war aus Girona im Norden Kataloniens für diese Kundgebung extra nach Barcelona gereist.
    "Das ist eine spezielle Großdemo. Sie wird wohl die Letzte sein, auf der wir die Selbstbestimmung Kataloniens fordern. Denn am 1. Oktober, in drei Wochen, ist ja das Referendum angesetzt. Und dann entscheiden wir, wie unser politisches und juristisches Verhältnis zu Spanien in Zukunft aussieht."
    Doch es war nicht die letzte Demo. Die katalanische Regionalregierung befragte zwar tatsächlich die Menschen, wie sie künftig leben möchten – weiter als Teil Spaniens oder in einem eigenen Staat. Doch das spanische Verfassungsgericht hatte das Referendum vorab schon für illegal erklärt. Katalonien ist bis heute nicht unabhängig – trotz einer entsprechenden Erklärung des Regionalparlaments. Ist Aleix heute enttäuscht?
    Enttäuscht vom spanischen Staat
    "Ich bin nicht vom Unabhängigkeitsprozess enttäuscht, unsere Regierung hat schließlich alles getan, was sie versprochen hatte. Ich bin enttäuscht vom spanischen Staat. Um einen politischen Willen durchzusetzen, greift er so hart wir nur möglich durch – und nutzt die härtesten Artikel des Strafgesetzbuches."
    Aleix spielt auf Artikel 155 an, mit dem die spanische Zentralregierung die katalanische Regionalregierung abgesetzt hat. Wenig später machte sich der bisherige Regierungschef Kataloniens Puigdemont nach Brüssel auf, hält sich seitdem in der belgischen Hauptstadt auf. Eine Flucht vor der spanischen Justiz, die einige seiner Minister in Untersuchungshaft gesteckt hat? Wie kann Aleix jemandem vertrauen, der seine Region im Stich lässt?
    "Seine Flucht war reine politische Strategie, um auszudrücken, mit welcher übertriebenen Eile der Staatsanwalt unsere Regierung ins Gefängnis bringen wollte. Und Puigdemont wollte Druck auf die Europäische Union ausüben, die schließlich nichts für uns getan hat, absolut passiv war. Puigdemont wollte nicht sein Volk im Stich lassen."
    "Kollektive Selbstverliebtheit der Separatisten"
    Für den Psychologen Adolf Tobeña ist Aleix mit seinen Ansichten der Prototyp des katalanischen Unabhängigkeitsbefürworters. Tobeña hat über das Thema ein Buch geschrieben. Nach seinen Worten leben die Separatisten seit Jahren in einer Art Blase.
    "Ihnen wurde Hoffnung gemacht – mit prächtigen Aussichten: Sie glauben, dass sie die perfekte Republik schaffen werden. All das wurde gut inszeniert von schlauen Leuten, die hinter all dem stehen. Sie haben eine Kampagne der allgemeinen Illusion, der Vorfreude losgetreten – mit einer Leidenschaft, die zu einer kollektiven Selbstverliebtheit der Separatisten geführt hat."
    Nur deshalb, so der Psychologe, gehen die Unabhängigkeitsbefürworter bis heute auf die Straße; blenden die Realität ein Stück weit aus, die Probleme, die ein eigenständiger katalanischer Staat mit sich bringen würde. So wird es wohl auch heute sein: Für 17 Uhr ruft die Unabhängigkeitsbewegung zur Massendemo im Zentrum von Barcelona auf.