Nach seiner mit Spannung erwarteten Rede im Parlament von Barcelona hat Regionalpräsident Carles Puigdemont am Dienstag zwar eine Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet, diese aber sofort ausgesetzt. Korrespondetn Oliver Neuroth kommentiert im DLF: "Er wird realisiert haben, dass das ein ganz, ganz schwieriges großes Projekt ist, das er sich vorgenommen hat, dass man nicht mal eben die Unabhängigkeit ausrufen kann, dass Grenzen zurückkehren würden, dass Katalonien kein Teil mehr wäre der Europäischen Union, der Euro wohl nicht mehr die Währung wäre."
Reinhard Bieck: Frau Riedel, sind Sie denn jetzt erleichtert?
Sabine Riedel: Ja, ein bisschen schon, denn die Gefahr einer Zuspitzung, die war gegeben, und ich persönlich hatte schon gehofft, dass es da ein Einsehen gibt, dass man reden muss, dass es eine andere Lösung geben muss als jetzt die Erklärung der Unabhängigkeit.
Bieck: Wie beurteilen Sie dann diese schroffe Reaktion der spanischen Zentralregierung, von der wir gerade gehört haben?
Riedel: Einerseits war das zu erwarten. Man kann verstehen, dass der Verfassungsrahmen gesetzt ist. Die Regierung muss sich daran halten, das ist klar. Aber ich habe mir schon Hoffnungen gemacht, dass sie die Rede ein bisschen genauer angehört hat. Es gab zwar jetzt kein Angebot von Seiten Puigdemonts, aber immerhin ein Argument, das ich für sehr wichtig halte. Er hat ja dargelegt, dass seit Ende der Franco-Diktatur die Demokratisierung Spaniens vorangeschritten war und auch von Seiten Kataloniens viel dazu beigetragen wurde.
Autonomiesystem auch für andere Regionen Spaniens unbefriedigend
Und das ist ein Punkt, den könnte man aufgreifen, denn ich glaube, da gibt es auch noch Reformbedarf. Nicht nur ich glaube das, sondern davon sind auch andere politische Vertreter in Spanien überzeugt. Das Autonomiensystem ist ja nicht nur für die Katalanen unbefriedigend, sondern auch für andere Regionen, und da gibt es bereits Pläne und Überlegungen, das zu reformieren, und da könnte ja Puigdemont tatsächlich noch mal unter Beweis stellen, dass die Demokratie auch in Katalonien noch existiert und auch Spanien sozusagen noch auf die Sprünge helfen kann, da einen Ausweg zu finden für alle Regionen.
Bieck: Nicht in Madrid, aber in Katalonien selbst wird der Ruf nach Vermittlung immer lauter. Wer käme denn da in Frage? Zum Beispiel die Europäische Union?
Riedel: Das ist ja schon ein bisschen im Vorfeld geklärt worden. Die Institutionen der EU, sprich Kommission und Parlament, die haben das auch schon abgelehnt. Man schiebt so das Argument vor, die Verträge geben es nicht her, sich in die inneren Angelegenheiten einzumischen. Das ist formell natürlich richtig. Aber da die Anerkennung ein Akt ist, der von anderen Staaten ja akzeptiert werden muss, oder anders ausgedrückt, dass die Katalanen ja die Hoffnung haben, von den EU-Mitgliedsstaaten akzeptiert zu werden in ihrer Unabhängigkeitsforderung, da sind doch dann die EU-Institutionen angesprochen und da hätte ich mir schon länger eine ganz klare Stellungnahme erhofft. Das was wir in den letzten Tagen gehört haben, ist zwar sehr klar formuliert, aber das hätte man viel früher sagen müssen, damit man sich schneller daran macht, eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Bieck: Ein Aspekt ist bisher kaum beachtet worden. Würden sich die reichen Katalanen abspalten, würden sich die reichen Flamen abspalten, dann bliebe doch die Finanzierung der ärmeren Gegenden in Spanien und Belgien an der EU beziehungsweise ihren Mitgliedsländern hängen. Oder sehe ich das falsch?
"Wenn sich reiche Regionen davon machen, wird es schwierig"
Riedel: Nein, das sehen Sie genau richtig. Und auch an dieser Stelle gibt es ja eine ganz klare Herausforderung an die europäischen Politiker, nämlich dazu Stellung zu beziehen. Sie machen jetzt Pläne, Macron schlägt vor, eine Finanzregierung einzurichten auf EU-Ebene. Aber das kann doch nur gelingen, wenn es eine Solidarität gibt mit allen in Europa! Und die beginnt im Nationalstaat. Wenn sich jetzt aber reiche Regionen davon machen, sagen, wir zahlen zu viel ein, wir wollen lieber alleine wirtschaften, wir sind auch dann erfolgreicher wirtschaftlich, auch fleißiger beim Sparen – das waren ja Argumente, die wir in Barcelona gehört haben -, dann fehlt doch die Solidarität auf nationaler Ebene, und das wird für alle Beteiligten ganz schwierig. Spanien droht, in eine neue Wirtschaftskrise abzurutschen, wenn so eine reiche Region plötzlich von den Fahnen geht. Das ist schwierig und vor allen Dingen ist es ein Schlag eigentlich gegen die Solidarität, die auf europäischer Ebene ja jetzt umso mehr gefragt ist.
Bieck: Es sieht so aus, als käme die Regierung in London mit den schottischen Separatisten besser zurecht als die spanische Zentralregierung mit den Katalanen. Sind die Briten die besseren Demokraten?
Riedel: Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe das Referendum auch beobachtet vor drei Jahren in Schottland. Das war schon beeindruckend, muss ich sagen, wie da beide Seiten hart gekämpft haben, aber gute Argumente vorbrachten und das sehr diszipliniert eigentlich auch durchgezogen haben. Enttäuschend war allerdings der Nachklang, denn auch hier ist eigentlich Demokratie gefragt, und da, muss ich sagen, haben sich die Separatisten beziehungsweise die Bewegung für ein unabhängiges Schottland eben nicht als wirkliche Demokraten erwiesen.
Denn schon nach anderthalb Jahren stellen sie dieses Ergebnis wieder in Frage und wollen ein zweites Referendum. Man sieht hier, dass diese komplexe Gemengelage, die es in der Politik gibt, dass man gerne die Forderungen miteinander verquickt, also jetzt steht die Unabhängigkeit Schottlands wieder auf der Agenda im Zusammenhang mit dem Brexit. Das heißt, es wird uns noch in Europa viel beschäftigen, das Thema.
Bieck: Aber die Unabhängigkeit Kataloniens ist heute erst mal vertagt worden. Ich sprach darüber mit Sabine Riedel von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke nach Berlin.
Riedel: Auf Wiederhören!
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