Stark kritisierte, dass der Kauf von Staatsanleihen der Krisenstaaten an Reformen in den kriselnden Eurostaaten gekoppelt ist. "Die EZB konditioniert ihr Eingreifen in die Märkte mit bestimmten Maßnahmen, die auf Länderebene durchgeführt werden müssen", sagte er im DLF. Damit mache sich die Zentralbank abhängig von den Regierungen einzelner Länder. "Das hat nichts mehr mit Geldpolitik zu tun."
Mit den Anleihenprogrammen kaufe die EZB sich nur Zeit, die nicht für Reformen genutzt werde. Die Märkte würden massiv verzerrt.
Das Bundesverfassungsgericht verkündet heute ein Urteil zum OMT-Prgramm ("Outright Monetary Transactions") der EZB. Hintergrund des Verfahrens ist die Ankündigung von EZB-Chef Mario Draghi inmitten der Euro-Schuldenkrise, zur Beruhigung der Finanzmärkte notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu erwerben. Kläger wie der CSU-Politiker Peter Gauweiler kritisieren, dass auf diese Weise überschuldete Staaten per Notenpresse finanziert werden könnten und Deutschland dafür mithaften müsste. Das Programm kam aber nie zur Anwendung.
Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon begrüße ich jetzt Jürgen Stark. Er war von 2006 bis 2012 Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank und Mitglied im Direktorium. 2012 ist er aus privaten Gründen zurückgetreten und hat seither immer wieder den Kurs der EZB kritisiert. Guten Morgen, Herr Stark!
Jürgen Stark: Schönen guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Das Bundesverfassungsgericht hat heute zu entscheiden, überdehnt die EZB mit dem OMT-Programm ihr Mandat. Ihre Meinung, wie ist das? Überdehnt sie ihr Mandat, tut sie es?
Stark: Ich glaube, ja. Das begann bereits 2010, als die EZB begonnen hat, Papiere des griechischen Staates, Irlands und Portugals aufzukaufen. Das wurde später dann 2012, wie wir gerade gehört haben, von Herrn Draghi mit dem, was immer nötig, ergänzt und im Grunde genommen ausgeweitet auch auf andere Länder. Zwar wurde dieses Programm nie umgesetzt, es wurde nie aktiviert, aber allein die Aussage wurde von den Finanzmärkten als eine ausdrückliche Garantie der EZB gewertet, dafür zu sorgen, dass kein Staat des Eurogebietes insolvent wird. Ich meine schon, dass die EZB ihr Mandat überschritten hat, dass sie nicht mehr reine Geldpolitik betrieben hat oder betreibt, sondern dass sie Fiskalpolitik beziehungsweise Wirtschaftspolitik betreibt.
"EZB betreibt nicht mehr Geldpolitik, sondern Wirtschaftspolitik"
Heckmann: Das sieht der Europäische Gerichtshof anders. Er hat das Programm ja gebilligt in seinen Grenzen. Und die EZB sagt auch, die Vorgaben, die das Gericht gegeben hat, die sind immer eingehalten worden.
Stark: Ja gut. Aber man muss genau hinschauen, wie erstens der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof argumentiert hat und dass das dann der Europäische Gerichtshof selbst entschieden hat, basierend auf der Aussage, dass man nicht über die Expertise verfügt, wie die Mitglieder des EZB-Rates sie haben. Man ist mehr oder weniger in der Sache der Argumentationslinie des EZB-Rates oder der EZB gefolgt.
Ich erwarte nun, dass in der heutigen Entscheidung des Verfassungsgerichts eine gut begründete und nachvollziehbare Argumentation dargelegt wird, dass alle im Verfahren vorgebrachten Argumente gewertet werden, und das müsste dazu führen, dass man zumindest sagt, dass die EZB ihr Mandat sehr weit ausgelegt hat. Ich meine, sie hat das Mandat überschritten. Sie betreibt nicht mehr Geldpolitik, sondern sie betreibt Wirtschaftspolitik.
Heckmann: Sie betreibt nicht mehr Geldpolitik, sondern sie betreibt Wirtschaftspolitik. Woran genau machen Sie das fest? Können Sie das noch mal erklären?
Stark: Erstens, was das OMT-Programm angeht, diese Outright Monetary Transactions, geht es ja darum, dass man aus ganz bestimmten Ländern Staatspapiere kauft. Die müssen sich unterwerfen einem Reformprogramm. Das heißt, sie müssen ihre Haushalte konsolidieren, sie müssen Wirtschaftsreformen durchführen. Das heißt, die EZB konditioniert ihr Eingreifen in die Märkte mit bestimmten Maßnahmen, die auf Länderebene durchgeführt werden müssen. Sie macht sich abhängig von den Regierungen der einzelnen Länder, und das hat nichts mehr mit Geldpolitik zu tun. Geldpolitik handelt unabhängig, nicht nur selektiv für einzelne Regionen des Eurogebietes, sondern das ist eine Geldpolitik, die für alle Länder des Eurogebietes zu gelten hat. Hier hat sie die Einheitlichkeit der Geldpolitik verlassen. Das ist eine gezielte Einflussnahme auf bestimmte Zinssätze, die die Regierungen zu zahlen haben für die Refinanzierung ihrer Schulden.
"Preisstabilität mittelfristig sichern"
Heckmann: Aber dieser Schritt war notwendig, sagt Mario Draghi, um den Euro zu schützen, und das sei durchaus Aufgabe der Europäischen Zentralbank.
Stark: Nun, das Mandat der EZB ist sehr eng. Es geht darum, Preisstabilität mittelfristig zu sichern. Das kann sie leisten und wer mehr von ihr erwartet, wer mehr von ihr fordert, überfordert letztlich die Zentralbank. Sie kann es nicht leisten.
Richtig ist, dass mit der Ankündigung von Herrn Draghi, mit seinem "whatever it takes", was immer nötig ist, die Märkte beruhigt worden sind. Aber die Krise ist ja nicht gelöst worden. Sie schwelt weiter. Gelegentlich bricht sie wieder auf. Es ist nichts gelöst worden dadurch.
Richtig ist, dass mit dieser Aussage der Zusammenhalt oder die Zusammensetzung des Eurogebietes nach Ländern beibehalten worden ist. Es hat keine weitere Eskalation der Krise gegeben. Aber was ist denn nun wirklich geschehen, um das Eurogebiet wieder auf eine solide Basis zu setzen und nicht nur immer auf die Europäische Zentralbank zu vertrauen? Sie kann ja diese Politik nicht unendlich fortführen.
Heckmann: Das ist natürlich jetzt eine andere Frage, ob die notwendigen Konsequenzen in den Haushalten der betreffenden Länder beispielsweise gezogen worden sind oder nicht. Aber jetzt geht es ja wirklich heute um das OMT-Programm in Karlsruhe, und Sie sagen, Ihrer Meinung nach überdehnt die EZB klar ihr Mandat. Denken Sie, dass das Verfassungsgericht das auch so sehen könnte?
Stark: Das ist schwer zu sagen. Das Verfassungsgericht hat ja dem Europäischen Gerichtshof einen Teil der Verantwortung zugeschoben. Der Europäische Gerichtshof hat nun entschieden und es ist wohl nicht zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht sich offen gegen die Haltung des Europäischen Gerichtshofs stellt.
Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, das Gericht ist nicht unabhängig genug?
Stark: Nun, das ist ja ein einmaliger Vorgang. Das hat es bisher nicht gegeben, dass das Bundesverfassungsgericht einen Fall dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hat. Das ist das erste Mal in der Geschichte geschehen und nun muss man sehen, wie das Verfassungsgericht mit diesem Ergebnis, das der EuGH nun präsentiert hat, umgeht.
Ich könnte mir durchaus denken, dass das Verfassungsgericht nicht die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs infrage stellt, sondern dass es sich konzentriert auf das, was es eigentlich zu tun hat, ob bestimmte Risiken, die die EZB beziehungsweise über die EZB die Bundesbank eingegangen ist, ob dies noch im Rahmen des Grundgesetzes steht. Daraus könnten sich Konsequenzen ergeben, dass es Auflagen gibt, dass Hinweise gegeben werden, wie sich die Bundesbank verhalten soll, oder auch Hinweise an das deutsche Parlament, an den Bundestag, wie er mit diesen Risiken umzugehen hat.
Heckmann: Und dieses Urteil wird heute mit Spannung erwartet. - Herr Stark, nehmen wir mal an, Karlsruhe würde das OMT-Programm stoppen beziehungsweise die Beteiligung der Bundesbank daran. Hätte das nicht zur Folge, dass dann die Spekulation auf die von der Pleite bedrohten Staaten sofort wieder losgeht und dass die Börsen einen schwarzen Dienstag erleben würden?
"Was die EZB tun kann - und das hat sie getan - ist Zeit zu kaufen"
Stark: Das glaube ich nicht. Zunächst mal muss man ja sagen, das was heute letztlich präsentiert wird vom Verfassungsgericht, ist ein Stück rückwärts gerichtet. Es betrifft das OMT, das nie aktiviert worden ist. Eigentlich ist das OMT tot, beziehungsweise es ist ersetzt worden durch die mengenmäßige Lockerung der Geldpolitik, durch das quantitative easing, ein viel breiterer Ansatz, ein viel voluminöserer Ansatz, der nun durchgeführt wird.
Wenn es eine Auflage geben würde, dass die Bundesbank sich nicht an diesem Programm, an dem jetzt laufenden Programm weiter beteiligen soll, hätte das im Grunde genommen für die Risikoverteilung in Europa überhaupt keine Konsequenzen, denn die Bundesbank haftet mit dem deutschen Steuerzahler jeweils mit 25 Prozent, also mit ihrem Kapitalanteil bei der Europäischen Zentralbank. Auch wenn sie nicht aktiv im Markt wäre, sie würde weiter dafür haften.
Heckmann: Sie haben es gesagt: Das OMT-Programm wurde nie umgesetzt. Parallel läuft ja auch ein gigantisches Anleihen-Aufkaufprogramm der EZB. Sie haben es gerade auch erwähnt. Die EZB, die kauft mittlerweile auch Unternehmensanteile. Ist die EZB insgesamt auf einem Irrweg?
Stark: Ja. Ehe man nun sagt, wir müssen mehr tun von einer Politik, die auf einer unzureichenden Analyse oder einer falschen Analyse basiert, auf einer veränderten Strategie der EZB, müsste ich sagen, die EZB ist auf dem Irrweg, dass sie glaubt, über den Kauf von Staatspapieren, den Kauf von Unternehmensanleihen mehr Liquidität in den Markt zu geben und damit die europäischen Probleme lösen zu können. Sie kann es nicht. Wir haben es mit strukturellen Problemen in Europa zu tun. Was die EZB tun kann - und das hat sie getan -, ist Zeit zu kaufen, aber auch das Zeit kaufen hat seinen Preis, denn diese Zeit ist nicht genutzt worden in vielen Ländern für die notwendigen Reformen. Jetzt mittlerweile hat die EZB mit dem neuen Ankaufprogramm ihre Bilanz um mehr als eine Billion Euro ausgeweitet und jetzt kauft sie Unternehmensanleihen in einer Größenordnung von drei bis fünf Milliarden Euro pro Monat. Das heißt, mit diesem massiven Aufkaufprogramm werden die Märkte völlig verzerrt. Es gibt praktisch keine funktionierenden Märkte mehr, weder bei Staatsanleihen, und bei Unternehmensanleihen wird das ebenso der Fall sein. Überlegen Sie, dass ganz gezielt von bestimmten Unternehmen Anleihen gekauft werden, die die emittieren. Das führt zu massiven Verzerrungen und hat mit einer Marktwirtschafts nichts mehr zu tun.
Heckmann: Der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Jürgen Stark war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Stark, ich danke Ihnen für dieses Interview.
Stark: Besten Dank.
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