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Unbekanntes Risiko

Laut Heinz Smital von Greenpeace ist die Wirkung von Neutronenstrahlung auf den menschlichen Körper noch nicht zu Ende erforscht. Er geht aber davon aus, dass die Belastung gefährlicher sei, als bisher angenommen. Die Gesellschaft für Nuklear-Service, der Betreiber von Gorleben, ließ unterdessen verlauten, dass die Strahlenexpositionen weit unter den gesetzlichen Grenzwerten liegen werde.

Von Susanne Schrammar |
    Jule Reimer: Vor gut über einer Stunde hatte der Castortransport mit hoch radioaktivem Atommüll für das Zwischenlager Gorleben die Umladestation in Dannenberg erreicht. In Dannenberg sollen nun die elf Atommüllbehälter vom Zug auf Lastwagen umgeladen werden, damit sie auf den letzten 20 Kilometern zum Ziel, also dem Atommülllager von Gorleben, auf der Straße transportiert werden können. Unsere Korrespondentin Susanne Schrammar begleitet den Transport. Was passiert gerade bei Ihnen?

    Susanne Schrammar: Ja, um kurz vor zehn sind die elf Castoren hier eingerollt, unter großem Protest von mehreren Hundert Wendländern, die, ja, den Ganzen in Empfang genommen haben. Wir sind jetzt hier am Verladebahnhof in Dannenberg, Sie haben es gesagt, hier wird umgeladen, das dauert insgesamt 15 Stunden, und Teil dieses Umladeprozesses ist aber auch, dass die Atommüllbehälter gemessen werden, also was ihre Strahlung angeht. Das macht auch Greenpeace, die haben sich hier postiert, direkt an den Schienen, und wir können das mal hören, hier ist nämlich ein Geigerzähler. Und bei mir ist Heinz Smital, Atomphysiker im Auftrag von Greenpeace, der hier die Messungen durchführt. Herr Smital, was genau messen Sie?

    Heinz Smital: Wir messen die Gammadosisleistung und die Neutronendosisleistung, das sind genau die Strahlenarten, die sich selbst durch den 100 Tonnen schweren Behälter nicht entsprechend abschirmen lassen. Und hier ist noch mal die Neutronendosis besonders interessant, weil die noch höher ist – Neutronen lassen sich noch schlechter abschirmen. Und die Wirkung der Neutronen auf den menschlichen Körper, da gibt es nach wie vor sehr viele Fragezeichen. Diese dürften gefährlicher sein, als sie bisher eingeschätzt werden.

    Schrammar: Genau, was sind denn erste Ergebnisse Ihrer Messung? Ein paar Messungen haben Sie schon durchgeführt.

    Smital: Also, was man auf jeden Fall sagen kann, dass auch in einer Entfernung von zehn bis 15 Meter etwa der hundertfache Untergrund, der sonst normalerweise herrscht, entsteht. Das heißt, auch Leute, die zehn, 15, 20 Meter entfernt sind, sind einem völlig unnatürlichen Strahlenfeld ausgesetzt, und es ist diesen Leuten das oft gar nicht bewusst.

    Schrammar: Was kann das für Folgen haben? Es gibt Menschen, die sagen, wer zum Beispiel den Zug begleitet, kann möglicherweise ein höheres Leukämierisiko haben – wie ist das?

    Smital: Es ist so, dass die Strahlung ja schon sehr ein langes Phänomen ist, aber die Grenzwerte, bei welchen Grenzwerten tritt ein Risiko auf, wurden geschichtlich betrachtet immer verschärft, Strahlung wurde immer als doch gefährlicher eingestuft, als man es noch vor ein paar Jahren dachte. Und wir haben hier das Ende noch nicht erreicht. Es gibt die berühmte KiKK-Studie, also die Gefahr von Kinderleukämie in der Nähe von Atomkraftwerken, es gibt einen eindeutigen Befund, dass es für Kinder ein höheres Risiko gibt, wenn man in der Nähe von Atomkraftwerken wohnt. Und ich denke, dass auch andere Leukämieauslöser nicht entsprechend richtig bewertet werden. Es würde mich nicht wundern, wenn es auch sozusagen auf Polizisten und Sicherheitskräfte zutreffen würde.

    Reimer: Frau ...

    Schrammar: Das heißt unterm Strich ... Ja, Entschuldigung!

    Reimer: Frau Schrammar, darf ich da mal ganz kurz das Gespräch mit dem Greenpeace-Experten unterbrechen. Was sagen denn die anderen Beteiligten über die Strahlenbelastung, also zum Beispiel das Bundesamt für Strahlenschutz?

    Schrammar: Das Bundesamt für Strahlenschutz ist in diesem Fall nicht involviert, sondern das Landesamt, also das Landesumweltministerium. Da wird im Moment gerade noch gemessen. In diesem Jahr werden alle elf Atommüllbehälter ausgemessen, sonst hat man da nur Stichproben gemacht, und die Messungen dauern noch an. Dadurch wird der Umladeprozess auch noch mal um eindreiviertel Stunden verlängert. Die GNS, die Gesellschaft für Nuklear-Service, der Betreiber des Zwischenlagers in Gorleben, der hat heute mitgeteilt, dass bereits vor Beginn des Schienentransports in Frankreich festgestellt wurde, dass die zu erwarteten Strahlenexpositionen von Bevölkerung, Transport und Begleitpersonal weit unter den gesetzlichen Grenzwerten liegen würde. Da noch mal kurz die Frage an Herrn Smital: Können Sie das bestätigen?

    Smital: Also, es gibt nach der Strahlenschutzverordnung auch die Forderung, selbst Grenzwerte, selbst wenn der Grenzwert nicht erreicht wird, ein Minimierungsgebot, das heißt, Strahlung ist so gering wie möglich zu halten, und das wird hier nicht erreicht, wenn über das Strahlenfeld, das auch in größerer Entfernung noch existiert, überhaupt nicht diskutiert wird.

    Schrammar: Und damit zurück zu Ihnen nach Köln.