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Undurchsichtige Nahrung

Der Konflikt um die Gentechnik spitzt sich zu und wird härter seit Sonntag, seit alle gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermittel gekennzeichnet werden müssen. Die Futtermittelindustrie ist nun in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Denn hier spielen gentechnisch veränderte Pflanzen eine große Rolle, zum Beispiel Soja. In den USA wachsen bereits auf 81 Prozent der Soja-Anbaufläche gentechnisch veränderte Pflanzen, in Argentinien auf 99 Prozent und in Brasilien auf 35 Prozent. Auf den Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen könne deshalb auch in Zukunft nicht verzichtet werden, teilte der Deutsche Raiffeisenverband mit, da Deutschland auf die Importe angewiesen sei. Gestern warf die Umweltschutzorganisation Greenpeace nun der Branche Etikettenschwindel vor, um gentechnikfreie Nischenmärkte zu verhindern.

von Thomas Mösch | 23.04.2004
    Stein des Anstoßes sind Schreiben, die Futtermittel-Lieferanten in den letzten Wochen an ihre Kunden verschickt haben. Darin kündigen die Soja-Lieferanten an, ihre normale Ware in Zukunft nur noch als genetisch verändert zu deklarieren. So erklärt das Hamburger Unternehmen UNA-HAKRA, es könne sein aus brasilianischem Sojaschrot hergestelltes Futter nicht mehr als gentechnikfrei bezeichnen, weil der Lieferant des Vorproduktes die Ware jetzt als genetisch verändert kennzeichne. Gleichwohl enthalte das Futter auch in Zukunft nur Sojaschrot aus nordbrasilianischen Anbaugebieten, in denen keine genetisch veränderte Saat eingesetzt werde, versichert UNA-HAKRA. Tatsächlich hat einer der weltweit größten Ölsaatenhändler, der Bunge-Konzern, seinen Kunden schon Anfang des Monats angekündigt, dass ab sofort alle seine Produkte als genetisch verändert zu kennzeichnen seien. Für Henning Strodthoff von Greenpeace ist dieses Vorgehen ein Skandal:

    Die Futtermittelindustrie will ganz offensichtlich verhindern, dass es einen neuen Qualitätsstandard für tierische Produkte gibt, nämlich "Gefüttert ohne Gentechnik", ohne gentechnisch veränderte Pflanzen, wie vor allem Soja, die in Nordamerika mittlerweile den Anbau dominieren. Aber sie bekommen in Brasilien beispielsweise problemlos gentechnisch nicht veränderte Sojabohnen. Das zeigen unsere Untersuchungen an den Schiffen, die hier in Hamburg aus Brasilien angelandet werden.

    Christof Buchholz vom Verein der Getreidehändler verteidigt dagegen das Vorgehen der Futtermittel-Lieferanten. Das Risiko, Soja fälschlicherweise als gentechnikfrei zu deklarieren, sei einfach zu hoch. Immerhin drohe der Gesetzentwurf der Bundesregierung Geldbußen bis 50.000 Euro an. Da heutzutage in den meisten Soja-Anbaugebieten genetisch veränderte Saat eingesetzt werde, könnten die Händler nur mit großem und teurem technischen Aufwand die Herkunft der Ware garantieren.

    Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast sieht das anders. Sie erklärte heute morgen, dass auf der Ware draufstehen muss, was drin ist. Eine vorsorglich falsche Deklaration gentechnikfreier Soja verstoße gegen das Gesetz.

    Greenpeace vermutet ein gezieltes Vorgehen der Futtermittelindustrie und verweist auf ein Schreiben des Raiffeisen-Verbandes vom Januar. Darin fordert der Verband seine Mitglieder auf, dem Drängen der Umweltschützer auf garantiert gentechnikfreie Ware nicht nachzugeben. Die Milch- und Fleischwirtschaft müsse "realistischerweise davon ausgehen, dass eine großflächige gentechnikfreie Fütterung von Nutztieren nicht mehr möglich sein wird", heißt es. Der Verein der Getreidehändler verweist darauf, dass es schon heute keine nennenswerte Nachfrage nach eindeutig gentechnikfreien Futtermitteln mehr gebe. Greenpeace macht da andere Erfahrungen, betont Henning Strodthoff:

    Es gibt eine ganze Reihe von Lebensmittelherstellern, die bereits diesen Standard haben. Das heißt die verwenden auch bei der Herstellung ihrer tierischen Komponenten, sei es nun Milch oder Fleisch, Tiere, die ohne Genpflanzen gefüttert wurden. Und es gibt eine noch größere Anzahl von Firmen, die diesen Standard erreichen will. Darüberhinaus gibt es sehr viele Bauern, die Gentechnik ablehnen, nicht nur im Anbau, sondern auch in der Fütterung. Diesen Landwirten und diesen Firmen soll an dieser Stelle die Wahlfreiheit genommen werden. Ihnen soll die Möglichkeit genommen werden, diesen Qualitätsstandard zu etablieren.

    Das fürchtet auch der Lebensmittelkonzern Edeka. Der garantiert mit seiner Marke "Gutfleisch", dass die Tiere ohne Gentechnik gemästet würden. Auch Edeka-Lieferanten haben jetzt die erwähnten Schreiben der Futtermittelindustrie bekommen. Für die Pressesprecherin von Edeka, Marliese Kalthoff, ist das ein inakzeptabler Etikettenschwindel. Ihr Unternehmen lasse allerdings auch selbst die Futtermittel prüfen und könne deshalb weiter garantieren, dass keine Gen-Soja zum Einsatz komme. Allerdigs könne es nicht angehen, dass die Lieferanten die Verantwortung nun auf den Einzelhandel abwälzten.