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"Une chambre en Inde" in Paris
Neues vom Sonnentheater

Ariane Mnouchkines Pariser "Theatre de Soleil" ist legendär. Das neueste Stück "Ein Zimmer in Indien" zeigt teils echte, teils mythische Figuren aus der ganzen Welt, die sich alle mit den drängendsten Problemen von heute auseinandersetzen.

Von Eberhard Spreng | 17.11.2016
    Die französische Theater- und Filmregisseurin, Theaterleiterin und Autorin Ariane Mnouchkines.
    Die französische Theater- und Filmregisseurin, Theaterleiterin und Autorin Ariane Mnouchkines. (Michele Laurent )
    Cornélia schläft schlecht. Sie ist die Assistentin eines Theaterdirektors, der ihr in einer nicht durchgängig verständlichen Videobotschaft mitgeteilt hat, dass er sich zurückzieht und die Verantwortung für sein Theater nunmehr ganz ihr überlässt. Überfordert und verzweifelt hat sie sich aufs Bett geworfen und würde gerne die Welt ganz und gar sich selbst überlassen. Aber die lässt keine Ruhe und schickt Figuren aus Mythos und Wirklichkeit in Cornélias Zimmer. So etwa ein Nō-Spieler mit dünnem langen Bart und Lendenschurz, der in japanischer Sprache eine entscheidende Szene zwischen Lear und seiner Tochter Cordelia nachspielt, da wo Cordelia ihn mit allzu nüchternen Worten ihrer Tochterliebe versichert. Wie Shakespeares Cordelia tritt diese Cornélia ein unsicheres Erbe an: Der abdankende Theaterdirektor, eine spirituelle Vaterfigur heißt nicht zufällig Lear. In dieser "Chambre en Inde", dem indischen Zimmer, ist alles möglich, vor allem ein Spiel der symbolischen Doppeldeutigkeiten. Es ist ein französisch-englisch-japanisch- tamilisch-arabischsprachiger Welttheaterstrudel, in dem sich die Probleme der Welt, Klimakatastrophe und Terrorismus, die Reflexion über das Theater, Mythos, Traum und Wirklichkeit fulminant vermischen. Und zu all dem kommt dann noch das Theru Koothu, eine traditionelle indische Theaterform.
    Fragmente aus dem gegenwärtigen Chaos einer Welt
    Das Mahabharata, eine gewaltige Mythensammlung, nacherzählt in langen Nächten von Wandertheatertruppen im indischen Süden, das hatte Ariane Mnouchkine bei einem Indienbesuch fasziniert und schließlich zum Workshopaufenthalt ihres Theaters in Puducherry geführt. Das Erlernen des Thoru Kootu einerseits und dort durchgeführte Improvisationen andererseits sind das Material für das Ensemblestück "Une Chambre en Inde". Und dieses Material besteht aus Fragmenten aus dem gegenwärtigen Chaos einer Welt, die die Anschläge in Paris vom November 2015 aus der Bahn geworfen haben. In mitunter karikaturhafter Figurenzeichnung wendet das große Sonnentheaterensemble in vielen kleinen, rasch mit groben Strichen gezeichneten Szenen das Schreckliche ins Groteske, das Barbarische ins Lächerliche: Vor allem wenn saudische Scheichs der globalen Moderne begegnen und der Gleichberechtigung der Frau.
    "Excuse me please, can we talk to the director.
    I am the director and she is my assistant.
    No director, husband! Husband!
    My husband does not work he is staying at home with our children.”
    Theater im Theater
    So wie dereinst die Stars des Slapsticks mit jedem großen Problem der Menschheitsgeschichte mit ein, zwei komischen Einfällen fertig geworden sind, so erledigt das Sonnentheater das Problem mit den Saudis, dem IS, aber auch frauenverachtenden Hindus, den Radikalen jeder Couleur durch die Wendung ins Lächerliche. Wobei Ariane Mnouchkine in IS-Kämpfern nur hanswurstige Karikaturen erkennen kann, nichts also, das weiter gehender Erkenntnis bedarf.
    All das ist wohlgemerkt Theater im Theater, Versuche der Gegenwartsaneignung von Cornélias Theatertruppe, die nichts anderes ist, als das Spiegelbild von Ariane Mnouchkines "Théâtre du Soleil". Mit flatternden Nerven der anstürmenden Gegenwart ausgeliefert, greift es immer wieder unvermittelt zu Szenen aus dem Schatz des farbenfrohen, maskenreichen Theru Koothu, dessen ferne Geschichten nicht weniger blutig waren, als unsere Gegenwart, dessen berauschende Farben, Kostüme und Gesänge den Schrecken aber in einer mächtige Formensprache bannten. Hilfe muss, nach Shakespeare und dem Nō, auch Anton Tschechow leisten, der mit Schnurrbart und Arzttasche hereinschneit, Cornélia den Puls fühlt und mit ihr über berühmte Regisseure plaudert. Die Aufführung beschließt ein zum Humanismus bekehrter IS-Kämpfer mit Schnurrbärtchen, der Chaplins berühmte Rede am Ende des Films "Der große Diktator" spricht.
    Noch nie sah man Ariane Mnouchkine in der Kollage der vom Ensemble entwickelten Szenen von Weltzuständen, dem Making of von Theater, den Hommagen an die Großen ihrer Kunst so unverhohlen an einem theatralischen Selbstporträt arbeiten, so selbstbezogen in der Betrachtung der fragilen Rolle der zeitgenössischen Theaterregisseurin. Bei aller Freude über den unterhaltenden Genre-Mix: "Une Chambre en Inde" stimmt skeptisch wenn es um die Frage nach der Macht des Theaters im Angesicht einer aus allen Formen fallenden Welt geht.