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Uneinig - nicht nur in der Nordkoreafrage

Seit dem Ende des Koreakrieges ist die Zahl der Christen in Südkorea gestiegen. Inzwischen sind etwa 25 Prozent im Süden zum Christentum übergetreten. Die meisten gehören einer der vielfältigen evangelischen Gruppierungen an, zwischen denen die Spannungen zunehmen.

Von Ingrid Norbu |
    Gleißend helle Neonlichtkreuze schmücken viele Kirchtürme in Südkoreas Hauptstadt Seoul.
    Schon früh am Sonntagmorgen sind die Gläubigen unterwegs zu den über 2000 Gotteshäusern der Hauptstadt. Vor der Yoido Full Gospel Church kommt es dann zu Verkehrsstaus. Der Rundbau der Megakirche ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Etwa 25.000 Menschen haben sich versammelt. Eine Million Mitglieder zählt diese Pfingstkirchengemeinde. Sie ist die Größte in Südkorea.

    Der Chor wird von einem riesigen Orchester begleitet. Mehrere Großbildschirme transportieren Emotionen in Nahaufnahme, wie im Gebet gefaltete Hände, andächtige Gesichter mit Tränen in den Augen und wie in Trance nach oben gestreckte Arme. Wie eine Fernsehshow läuft auch die Predigt ab.

    Der Prediger, ein Mann um die 40, besitzt eine der größten Zeitungen im Land. Mal flüstert er, dann macht er Pausen, um dann plötzlich laut mit wilden Gesten auf die Gemeinde einzureden. 40 Minuten lang.

    "Es geht ihnen nicht um das Evangelium. Die Prediger in den Megakirchen verdrehen die Texte der Bibel. Sie sagen, wenn du an Jesus Christus glaubst, wirst du reich. Du wirst erfolgreich. Deshalb haben sie Zulauf."

    Reverend Hun Jung Cho ist um die 60. In der Hyanglin Gemeinde, die er seit zehn Jahren betreut, konzentriert man sich seit der Gründung 1953 auf soziale Themen. Etwa 500 Gläubige kommen jeden Sonntag in die Presbyter-Kirche, die in einem unscheinbaren Gebäude untergebracht ist.

    "In unserer seit 130 Jahre andauernden Missionsgeschichte gab es zwei Zeitpunkte, in denen die Zahl der Kirchenmitglieder stark wuchs: Das war, um 1907 als Japan begann, Korea zu kolonisieren. Die Menschen fürchteten sich vor diesen Imperialisten und suchten Hilfe in Europa und Amerika. Von dort kamen dann Missionare und unterstützten unsere Unabhängigkeitsbewegung. Der zweite Zeitpunkt war dann etwa zwischen 1960 und 1980, während der Zeit des Militärdiktators Park Chung-hee, dessen Tochter heute unsere Präsidentin ist. Die protestantische Kirche führte damals den Protest gegen ihn an und wurde zum Sammelbecken der Opposition. Die Menschen strömten damals in die Kirchen."

    Dass im Gottesdienst auch traditionelle koreanische Instrumente eingesetzt werden, ist in vielen anderen Kirchengemeinden verpönt, denn alles Koreanische soll dort überwunden werden. Im Altarraum der Hyanglinkirche hängt ein schlichtes Holzkreuz, der Altar selbst ähnelt einem Tapeziertisch. Alles soll bescheiden wirken.

    "Als ich in den frühen 1970er-Jahren das theologische Seminar besuchte, waren die meisten Kirchen klein und ein Pfarrer hatte Not, finanziell über die Runden zu kommen. Die Kirchen waren arm. Eine berühmte Frauenuniversität hier in Seoul machte damals eine Umfrage unter jungen Koreanerinnen, welchen Beruf der zukünftige Ehemann haben sollte. Der Pastor lag damals auf Platz 17, zwischen dem Friseur und dem Polizisten. Heute zählt der Pastor zu den Top Drei und ist ein Traumberuf. Die Frau eines Predigers einer Megakirche zu sein, gilt als sehr lukrativ."

    Die Hyanglin-Gemeinde zählt sich zu den wenigen progressiven Kirchen. Das heißt, sie steht an vorderster Front, wenn es um die Frage der Aussöhnung zwischen Nord und Süd auf der Halbinsel geht. Draußen am Gebäude, in dem die Kirche untergebracht ist, hängt eine etwa 15 Meter langes Banner mit der Aufschrift: "Schafft das Nationale Sicherheitsgesetz ab". Es besagt unter anderem, dass kein Südkoreaner selbst Kontakte zu Nordkorea aufnehmen darf, dass man den Norden nicht loben oder für ihn werben darf. Das Gesetz stammt aus dem Jahr 1948 und gilt mit einigen Veränderungen bis heute. Reverend Cho.

    "Mein Vorgänger Reverend Hong war in den späten 1980er-Jahren anderthalb Jahre im Gefängnis, nur weil er in einem Fernsehinterview gesagt hatte: In Nordkorea leben keine schlechten Menschen, sie sind wie wir. Sie sind nicht Satan, es sind menschliche Wesen. Eigentlich nichts Schlimmes, aber während der Militärdiktatur in Südkorea galt man deshalb als prokommunistisch eingestellt und ging ins Gefängnis. Die Nordkoreaner wissen, dass wir hier in der Hyanglinkirche für Frieden und Wiedervereinigung arbeiten."

    Seit dem Ende des Koreakrieges ist die Teilung auch ein religiöser Konfliktpunkt. Es ist bekannt, dass christlich fundamentale Gruppen Nordkoreanern, denen die Flucht nach China gelungen ist, diesen dort versprechen, sie weiter nach Südkorea zu bringen. Der Nordkoreaner Jong Boek Cheol ist vor einem Jahr genau diesen Weg gegangen. Jeden Samstagnachmittag nimmt er nun am Bibelunterricht in Seoul teil.

    "Der Grund, warum ich nun in Südkorea lebe, ist die Liebe der Kirche, die mich tröstet. Deshalb komme ich zum Bibelunterricht. Ich bin zwar schon 32 Jahre alt, wurde nun aber wiedergeboren. Ich fühle mich fremd hier, die koreanische Sprache im Süden, gespickt mit englischen Wörtern, verstehe ich nicht. Es ist wie eine Tortur, aber die Liebe der Kirche hilft mir über diese Anpassungsschwierigkeiten hinweg. Ich bin glücklich, Gott kennenzulernen. Nur deshalb bleibe in Südkorea."

    Zur Ehrenrettung der Missionare muss gesagt werden, dass sie eine Lücke füllen, denn Nordkoreaner sind im Süden alles andere als willkommen, und staatlicherseits wird ihnen auch nur wenig geholfen. Besonders die Formulierung, man dürfe in Nordkorea nicht eine Seite der Bibel lesen, ohne dafür ins Arbeitslager zu kommen, taucht immer wieder auf. Nach Angaben christlicher Antikommunisten leben in Nordkorea zwischen 200.000 und 400.000 Christen im Untergrund. Pfarrer Cho war viermal in Pjöngjang und traf dort Vertreter des vom Staat akzeptierten evangelischen Christenbunds. Er meint, wenn Zahlen, beispielsweise im Internet auftauchen, sollte man ihnen besser misstrauen. Zuverlässige Quellen gibt es in Nordkorea nicht.

    "Wir glauben, dass es in Nordkorea Christen im Untergrund gibt, die heimlich ihren Glauben leben. Die konservativen Kirchen gehen von einer hohen Zahl aus, aber ich denke, in einem so stark kontrollierten Land ist es schwierig, etwas zu verbergen, aber ich bin eben nicht sicher."

    In der kurzen Geschichte der koreanischen Christen kam es zu vielen Spaltungen, was die Haltung zu politischen Ereignissen betrifft, aber auch unterschiedliche Sichtweisen auf die eigenen kulturellen Traditionen, Beispiel Kirchenmusik, mit negativen Folgen. Pfarrer Cho:

    "Die koreanischen Kirchengemeinden sind heute zu mehr als 95 Prozent konservativ oder gar fundamentalistisch. Querelen zwischen den Gemeinden führen allgemein zu einem Mitgliederschwund bei den evangelischen Kirchen, wenn man den Statistiken glauben darf. Wir befinden uns gegenwärtig in einer sehr schwierigen Phase unserer Kirchengeschichte."