Der Großteil der Parasiten erfülle sehr wichtige Funktionen in den natürlichen Ökosystemen - etwa indem sie die Vermehrung von Wirts-Organismen begrenzen, die ihrerseits Schädlinge sind, so Biologin Chelsea Wood von der Universitiy of Washington. Welche Funktionen Parasiten außerdem hätten, sei noch gar nicht hinreichend bekannt, denn höchstens zehn Prozent aller Parasiten seien bislang überhaupt wissenschaftlich erforscht.
Gemeinsam mit weiteren Forscherinnen und Forschern fordert Wood in einem Fachartikel der Zeitschrift "Biological Conservation" einen Plan für den besseren Schutz von Parasiten.
Michael Böddeker: Sie sagen, Parasiten sind wichtig. Woran machen Sie das fest?
Chelsea Wood: Parasiten haben einen sehr schlechten Ruf. Wahrscheinlich aus gutem Grund: Wir kennen sie als Schädlinge, die uns oder unseren Tieren schaden. Und natürlich sind solche Parasiten schlimm, und wir würden sie gerne loswerden.
Aber: Parasiten, die Menschen oder Haustiere infizieren, das sind höchstens vier Prozent aller Parasiten auf der Welt. Die restlichen Parasiten erfüllen in den natürlichen Ökosystemen tatsächlich sehr wichtige Funktionen.
Die haben diesen schlechten Ruf nur, weil man sie mit menschlichen Parasiten in Verbindung bringt, die wir alle hassen. Aber sie sind wirklich wichtig für ein gesundes Ökosystem.
Böddeker: Welche Funktion haben Parasiten denn in einem Ökosystem?
Wood: Viele verschiedene. Es sind auch sehr unterschiedliche Organismen, von denen wir hier sprechen. Viele wissen sicher, dass Parasiten eine Rolle dabei spielen, die Zahl ihrer Wirts-Organismen zu begrenzen, also Schädlinge zum Beispiel. Sie halten also Arten in Schach, von denen wir nicht wollen, dass sie sich ungehindert vermehren.
Wood: Parasiten sind ein wichtiger Faktor in den Nahrungsketten
Weniger bekannt ist, dass Parasiten auch den Energiefluss in einem Ökosystem verändern. Innerhalb der Nahrungskette sorgen sie dafür, dass mehr Energie zu den Spitzen-Raubtieren gelangt. Viele Parasiten haben nämlich komplexe Lebenszyklen – sie befallen also während ihres Lebens mehrere verschiedene Arten hintereinander. Oft gelangen sie von Beutetieren in Raubtiere. Das heißt, für einen Beutetier-Parasiten ist es gut, wenn sein Wirt anschließend im Maul eines Raubtieres landet. So etwas ist sehr weit verbreitet.
Im Endeffekt führt das dazu, dass Raubtiere besser an Beutetiere kommen, wenn es auch Parasiten gibt. Auch dank der Parasiten gibt es also Top-Raubtiere in unseren Ökosystemen.
Böddeker: Was wäre das Problem daran, wenn Parasiten aussterben?
Wood: Wir würden dann diese ökologische Rolle verlieren, die sie spielen. Einige andere Arten würden sich dann unkontrolliert ausbreiten. Es gäbe weniger Spitzen-Raubtiere, weil sie dann weniger Nahrung fänden. Und das sind nur einige der ökologischen Funktionen, die Parasiten erfüllen.
Aber es gibt wahrscheinlich viele weitere, die wir noch gar nicht kennen. Denn bisher sind höchstens zehn Prozent aller Parasiten überhaupt wissenschaftlich beschrieben. Davon abgesehen: Parasiten sind Lebewesen, so wie andere Arten auch.
Wir wissen bereits, dass eine große Biodiversität gut ist für unsere Ökosysteme. Denn dadurch ist das System nicht so anfällig, wenn es zu Veränderungen kommt. Zu dieser Stabilität und Widerstandsfähigkeit tragen mit Sicherheit auch Parasiten bei.
Globaler Plan zur Erhaltung der Parasiten
Böddeker: Parasiten haben ja manchmal komplizierte Lebenszyklen mit verschiedenen Wirts-Tieren. Ist das ein Grund dafür, dass sie schneller aussterben als andere Arten?
Wood: Das ist ein Grund, ja. Denn dadurch ist der Parasit abhängig von mehreren Arten, die er befällt. Und wenn nur eine davon verschwindet, heißt das "Game Over" für den Parasiten. Das macht die Parasiten sehr angreifbar.
Außerdem müssen ausreichend Wirts-Tiere vorhanden sein. Schon wenn es etwas weniger Wirte gibt, kann der Parasit aussterben, weil er sich dann nicht mehr von Tier zu Tier verbreiten kann.
Böddeker: Deswegen jetzt auch dieser Vorschlag von Ihnen, Parasiten weltweit besser zu schützen. Was sind die wichtigsten Schritte dabei?
Wood: Wir haben insgesamt zwölf Schritte vorgeschlagen. Einer der wichtigsten ist, dass mehr Parasiten wissenschaftlich beschrieben werden sollten. Am besten 50 Prozent innerhalb der nächsten zehn Jahre. Das ist ein sehr hochgestecktes Ziel.
Außerdem wäre es wichtig, Museen zu unterstützen, die ihre Arten-Sammlungen mit Parasiten erneuern. Diese zum Teil großartigen Sammlungen müssen auch besser zugänglich gemacht werden, zum Beispiel durch Digitalisierung.
Und auch sehr wichtig: Mehr Bildung. Bisher kann man einen Bachelor in der Biologie machen, ohne dabei etwas über Parasiten zu lernen. Das kam mir schon immer komisch vor. Denn Parasiten machen laut Schätzungen etwa 40 Prozent aller Landlebewesen aus. Wie kann man sich Biologe nennen, ohne etwas über die Ökologie von Parasiten gelernt zu haben?
Böddeker: Die meisten Parasiten befallen uns Menschen nicht. Einige gibt es trotzdem, die Krankheiten auslösen. Sollten solche Parasiten auch geschützt werden?
Wood: Auf gar keinen Fall. Wir haben das in unserem Papier auch sehr klar formuliert. Solche Parasiten sollten bekämpft und ausgerottet werden. Ich forsche auch selbst daran, etwa an der Bekämpfung von Bilharziose-Parasiten. Diese Parasiten verdienen keinen Schutz.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.