Diese Geschichte ist symbolisch und doch wahr, gesellschaftskritisch und doch psychologisch fokussiert. Düster wie die schwarze Bühne des Münchner "Metropoltheaters", beklemmend in ihrer inszenierten Ausweglosigkeit. "Tannöd", dieser oberbayerische Mordfall Anfang der 20er-Jahre auf einem Einödhof, ist ein Krimi mit sechs Leichen, aber ohne Mörder. Oder ist hier am Ende jeder mörderisch? Und hat dieses wilde Morden deshalb noch nicht einmal kathartische Wirkung, weil diese "Leut'" so roh und böse sind, selbst die doch angeblich unschuldigen Kinder?
"Betty, acht Jahre. Die Marianne und ich, wir sitzen in der Schul' nebeneinander. Und vor ein paar Tagen, da hat sie mir erzählt, dass der Zauberer wieder da ist. Den hat sie im Wald gesehen, und der bringt sie ganz bestimmt bald zu ihrem Papa, aber Zauberer gibt's nicht. Und Zauberer, die einem den Papa herzaubern, der in Amerika sein soll, die gibt's erst recht nicht. Also hab ich mich wieder mit ihr gestritten, und dann hat sie geweint. Und hat gesagt, doch! Den Zauberer gibt es. Und dann hab ich gesagt, Lügnerin! Lügnerin!"
Jedes geschlossene System, auch und gerade das einer Familie, produziert Spekulationen. Man weiß, oder vielmehr, will nichts voneinander wissen. Dafür ahnt man schon, was alles schlecht läuft. Wie bei Marianne, Inzest-Produkt des Einödbauern mit dessen Tochter, die sich dafür einen ausgewanderten Vater ausgedacht hat und von ihrer Schulfreundin schonungslos entlarvt wird. Missbrauch, Betrug, Gewalt, Bigotterie, Verwahrlosung. Eine Tragödie ohne Ende. Noch in der Rückschau zum Beispiel des jungen Hansl, der auf dem Hof eine Maschine reparieren sollte, nichts als Ekel:
"Die sind ziemlich komisch. Eigenbrötler. Und geizig sind die. Als ich im Sommer schon mal ne Motormaschine reparieren musste, da haben die mir nicht mal ne Brotzeit angeboten. Nicht mal ein Glas Wasser, geschweige denn ne Halbe. Aber wenn ich ehrlich bin, ich hätt' sowieso nichts bei denen runter gekriegt, so schmuddlig war's da. Die alte Dannerin in ihrer geflickten Fleckschürze, ihr kleiner Enkel, immer mit ner Rotzglocke. Wie der Kleine das Weinen angefangen hat, da hat ihn die Alte auf ihren Schoß gesetzt und ihm ihr Zutzl gegeben, aber zuvor, da hat sie den Zutzl noch abgeschleckt und in die Zuckerdose getunkt. Abgeschleckt und in die Zuckerdose getunkt! Das müssen Sie sich mal vorstellen."
Regisseur Jochen Schölch hat mit dieser Buch-Adaption für seinen typischen Minimalismus die absolute Form gefunden. Lakonisch, stumpf und abgebrüht lässt er die sieben Schauspieler und Schauspielerinnen die Mehrfachrollen vortragen. Jeder und jede, die als Betroffene beginnt, wechselt spätestens nach dem dritten Satz in die Beobachterrolle. In Rückblenden und persönlichen Berichten entsteht protokollartig ein Mosaik, das eine erschreckende Gefühllosigkeit offenbart. Brillant. Ein Sprechtheater ohne Handlungsstränge, weshalb Geschichte, Handlung und Zustandsbeschreibung sich in der unglaublichen Mimik der Protagonisten zusammenzieht und widerspiegelt. Selbst die Aufgeregten sind da nur keifende Tratschweiber oder polternde Brüllaffen. Von Mitleid oder Empfinden keine Spur:
"Bürgermeister! Bürgermeister! Du musst die Polizei anrufen! Alle hab'ns erschlagen, alle sind tot – alle hab'ns erschlagen, alle sind tot. Alle hab'ns erschlagen, alle sind tot, hat der Hauer-Hansl immer wieder gerufen. Das so was bei uns herraußen passiert ist, kann sich unsereiner kaum vorstellen. Aber dass der Danner nicht in seinem Bett gestorben ist, na, so richtig wundern tut mich das eigentlich nicht."
Sogar bei den Requisiten wird gespart. Hier eine Brille für die Rolle des Bürgermeisters, dort das Schultertuch um die Kittelschürze, das zum Kopftuch der unterdrückten, krächzenden Bäuerin wird. Und die Bühne? Ein schwarzes Loch, in der Mitte die Stalltür, hinter der das Unheil lauert. Davor eine kleine Bank, die multifunktional als Schulbank, Bett, Grab und eben Bank herhält. Und an der Seite, vor flackernden Grabkerzen, die ermordeten Tannöd-Bewohner als schwarzes Holzpuppen-Stilleben. Die unerlösten Seelen sind immer dabei. Soviel Perspektivlosigkeit geht unter die Haut. Diese nuancenreiche Aufführung ist kein Buchtheater, sondern die bestmögliche, überaus gelungene Inszenierung.
"Betty, acht Jahre. Die Marianne und ich, wir sitzen in der Schul' nebeneinander. Und vor ein paar Tagen, da hat sie mir erzählt, dass der Zauberer wieder da ist. Den hat sie im Wald gesehen, und der bringt sie ganz bestimmt bald zu ihrem Papa, aber Zauberer gibt's nicht. Und Zauberer, die einem den Papa herzaubern, der in Amerika sein soll, die gibt's erst recht nicht. Also hab ich mich wieder mit ihr gestritten, und dann hat sie geweint. Und hat gesagt, doch! Den Zauberer gibt es. Und dann hab ich gesagt, Lügnerin! Lügnerin!"
Jedes geschlossene System, auch und gerade das einer Familie, produziert Spekulationen. Man weiß, oder vielmehr, will nichts voneinander wissen. Dafür ahnt man schon, was alles schlecht läuft. Wie bei Marianne, Inzest-Produkt des Einödbauern mit dessen Tochter, die sich dafür einen ausgewanderten Vater ausgedacht hat und von ihrer Schulfreundin schonungslos entlarvt wird. Missbrauch, Betrug, Gewalt, Bigotterie, Verwahrlosung. Eine Tragödie ohne Ende. Noch in der Rückschau zum Beispiel des jungen Hansl, der auf dem Hof eine Maschine reparieren sollte, nichts als Ekel:
"Die sind ziemlich komisch. Eigenbrötler. Und geizig sind die. Als ich im Sommer schon mal ne Motormaschine reparieren musste, da haben die mir nicht mal ne Brotzeit angeboten. Nicht mal ein Glas Wasser, geschweige denn ne Halbe. Aber wenn ich ehrlich bin, ich hätt' sowieso nichts bei denen runter gekriegt, so schmuddlig war's da. Die alte Dannerin in ihrer geflickten Fleckschürze, ihr kleiner Enkel, immer mit ner Rotzglocke. Wie der Kleine das Weinen angefangen hat, da hat ihn die Alte auf ihren Schoß gesetzt und ihm ihr Zutzl gegeben, aber zuvor, da hat sie den Zutzl noch abgeschleckt und in die Zuckerdose getunkt. Abgeschleckt und in die Zuckerdose getunkt! Das müssen Sie sich mal vorstellen."
Regisseur Jochen Schölch hat mit dieser Buch-Adaption für seinen typischen Minimalismus die absolute Form gefunden. Lakonisch, stumpf und abgebrüht lässt er die sieben Schauspieler und Schauspielerinnen die Mehrfachrollen vortragen. Jeder und jede, die als Betroffene beginnt, wechselt spätestens nach dem dritten Satz in die Beobachterrolle. In Rückblenden und persönlichen Berichten entsteht protokollartig ein Mosaik, das eine erschreckende Gefühllosigkeit offenbart. Brillant. Ein Sprechtheater ohne Handlungsstränge, weshalb Geschichte, Handlung und Zustandsbeschreibung sich in der unglaublichen Mimik der Protagonisten zusammenzieht und widerspiegelt. Selbst die Aufgeregten sind da nur keifende Tratschweiber oder polternde Brüllaffen. Von Mitleid oder Empfinden keine Spur:
"Bürgermeister! Bürgermeister! Du musst die Polizei anrufen! Alle hab'ns erschlagen, alle sind tot – alle hab'ns erschlagen, alle sind tot. Alle hab'ns erschlagen, alle sind tot, hat der Hauer-Hansl immer wieder gerufen. Das so was bei uns herraußen passiert ist, kann sich unsereiner kaum vorstellen. Aber dass der Danner nicht in seinem Bett gestorben ist, na, so richtig wundern tut mich das eigentlich nicht."
Sogar bei den Requisiten wird gespart. Hier eine Brille für die Rolle des Bürgermeisters, dort das Schultertuch um die Kittelschürze, das zum Kopftuch der unterdrückten, krächzenden Bäuerin wird. Und die Bühne? Ein schwarzes Loch, in der Mitte die Stalltür, hinter der das Unheil lauert. Davor eine kleine Bank, die multifunktional als Schulbank, Bett, Grab und eben Bank herhält. Und an der Seite, vor flackernden Grabkerzen, die ermordeten Tannöd-Bewohner als schwarzes Holzpuppen-Stilleben. Die unerlösten Seelen sind immer dabei. Soviel Perspektivlosigkeit geht unter die Haut. Diese nuancenreiche Aufführung ist kein Buchtheater, sondern die bestmögliche, überaus gelungene Inszenierung.