Steigende Wassertemperaturen durch den Klimawandel treiben die Zahl von Massenblüten toxischer Meeresalgen offenbar nicht generell in die Höhe. Dieser Eindruck sei vor allem entstanden, weil die Giftalgen immer höhere Schäden verursachten, heißt es in der neuen Studie für die UNESCO. Es ist die erste globale Untersuchung dieser Art. Sie deckt die Entwicklung von 1985 bis 2018 ab und stützt sich auf 9.500 registrierte Fälle von Schäden durch Algen, die Giftstoffe absondern.
"Immer intensivere Erschließung der Küstenmeere"
Das Ergebnis der Studie klingt zunächst paradox. Der dänische Meeresbiologe Henrik Enevoldsen löst den Widerspruch auf. Er leitet das Fachzentrum für schädliche Algen der UNESCO in Kopenhagen: "Wir sehen immer mehr Schäden in Regionen, in denen die Aquakultur rapide zunimmt. Seit 1985 ist dieser Wirtschaftszweig um den Faktor 16 gewachsen! Und wahrscheinlich ist das erst der Anfang. Wir erschließen unsere Küstenmeere immer intensiver. Also steigen auch die Schäden durch Giftalgenblüten – auch wenn sie selbst nicht zunehmen."
Fast 200 bekannte Arten toxischer Mikroalgen
Weltweit gibt es fast 200 bekannte Arten von toxischen Mikroalgen im Meeresplankton. Treten sie in Massen auf, können Fische, Muscheln und Krebstiere so viel Gift aufnehmen, dass sie nicht mehr vermarktet werden dürfen. Noch fataler wirken sich die Algenblüten in Lachsfarmen aus. Dort sind die Fische gefangen. Sie können den Toxinen im Meerwasser nicht entfliehen:
"Die Lachse sterben dann, und es entstehen enorme ökonomische Verluste wie vor zwei Jahren in Chile. Dort kam es zu einem fatalen Massensterben unter Farmlachsen und wildlebenden Fischen, viele Leute verloren ihre Arbeit."
Schäden auf regionaler und lokaler Ebene
Die finanziellen Schäden wurden am Ende auf 800 Millionen US-Dollar taxiert. Ähnliche Fälle gab es im selben Jahr in Norwegen und 2012 in China – allein dadurch, dass Aquakulturen dort aufblühen, wo es auch giftige Meeresalgen tun. "Wir hatten am Anfang einen globalen Zustandsbericht im Sinn. Aber heute können wir sagen: Globale Trends sind gar nicht das Entscheidende – es sind die Schäden für die Gesellschaft auf regionaler und lokaler Ebene. Sinnvoll wäre es, sich diese Trends genau anzuschauen."
Deutsche Urlauber reisen gerne auf die Kanarischen Inseln. Dort gibt es einen interessanten Trend, auf den die Studie verweist: Seit knapp 20 Jahren treten auf den Kanaren Lebensmittelvergiftungen durch sogenannte Ciguatoxine auf. Das sind Nervengifte, die man eher aus südlicheren Gefilden kennt und die bei Betroffenen zu monatelangen gesundheitlichen Beschwerden führen können.
Teppiche aus grau-braunem Algenschleim
Die Stoffe werden von begeißelten Planktonalgen produziert und können sich in Speisefischen anreichern. Nachweise der Ciguatoxine gebe es inzwischen auch in Europa, sagt die italienische Meeresbotanikern und Studien-Ko-Autorin Adriana Zingone: "Im Mittelmeer beobachten wir neuerdings Algen, die diese Toxine produzieren. Rund um die Balearen und um Kreta werden sie jetzt häufiger nachgewiesen."
Planktonalgen müssen aber nicht immer giftig sein, um Schäden anzurichten. Das zeigt sich aktuell im Marmarameer zwischen Ägäis und Schwarzem Meer. Dort schwappen endlose Teppiche aus grau-braunem Algenschleim an Küsten und Strände, an Baden ist nicht zu denken. Die Planktonblüten tauchen nicht zum ersten Mal auf. Sie speisen sich offenbar aus nährstoffreichen Abwässern, die an vielen Stellen in das Meer geleitet werden.