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UNESCO-Welterbe
"Die reichen, erfahrenen Länder sind im Vorteil"

Der Titel "UNESCO-Welterbe" sei nach wie vor sehr begehrt, sagte der Ethnologe Christoph Brumann im Dlf. Der ursprüngliche Ansatz nach einem solidarischen, multilateralen Schutz der Natur und Kultur sei aber nie wirklich umgesetzt worden. Länder mit entsprechendem Lobbying profitierten.

Christoph Brumann im Gespräch mit Kathrin Hondl |
Außenansicht des Schweriner Schlosses
Schwerin will mit seinem Residenzensemble ins Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen werden. (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Bernd Wüstneck)
Die UNESCO-Welterbekonvention wurde vor fast 50 Jahren verabschiedet, mit dem Ansatz, einen solidarischen, multilateralen Schutz der Natur und Kultur zu fördern. "Die Konvention postuliert, dass das wichtigste Erbe, sowohl Kultur als auch Natur, das die Menschheit hat, allen gehört. Dass die gesamte Menschheit dem gegenüber Rechte, aber auch Pflichten hat, zu seiner Bewahrung beizutragen", erklärte Christoph Brumann im Dlf. Er ist Wissenschaflter am Max-Plack-Insitut für ethnologische Forschung in Halle.
Dieser hehre Ansatz sei aber nie so umgesetzt worden. Denn die Stätten, die für Welterbeliste nominiert werden, werden vom eigenen Nationalstaat nominiert. Damit zeige der Staat auch an, in der Lage zu sein, die Stätten zu erhalten, erklärt Brumann. Dazu komme, dass die fließenden Finanzmittel nicht besonders groß seien und dass es keine "Interventionsarmee zum Schutz vom Welterbe" gebe. "Es bleibt bei einer symbolischen Erklärung."
Eine Grafik zeigt die Anzahl der Denkmäler in der UNESCO-Liste des Welterbes
In Italien und China gibt es weltweit die meisten UNESCO-Weltkulturstätten (Statista.com / UNESCO)

Nationalstaaten setzen sich gegen Experteneinschätzung durch

Der Titel als solcher ist aber nach wie vor als PR-Maßnahme sehr begehrt. "Da fragt sich die Werbeindustrie, wie man mit so wenig Mitteln - die UNESCO ist ja ziemlich arm - derart viel Aufmerksamkeit erzeugt." Für die Nominierung gibt es nur ein Kriterium: Die Stätte muss einen außergewöhnlichen universellen Wert besitzen. Dieser wird durch eine Evaluierung festgestellt.
Bei Kulturstätten nimmt diese der Internationale Rat für Denkmalpflege (ICOMOS) vor, bei den Naturstätten die Weltnaturschutzunion (IUCN). Beide Organisationen geben dann die Empfehlungen ab. Das UNESCO-Welterbekomitee, das aus 21 gewählten Vertragsstaaten besteht, trifft dann die Entscheidung. Diese sei jedoch seit 2010 im großen Stil von den Expertenratschlägen abgewichen in Richtung dessen, was die Nationalstaaten wollen, sagte Brumann: "Seit 2010 sind so viele Welterbestätte gegen den Expertenrat ernannt worden wie nie zuvor."
Dass einem Land gegen seinen Willen ein Titel aberkannt wurde - wie 2009 Dresden - sei nur einmal passiert. Brumann hält das in der gegenwärtigen Situation auch nicht mehr für möglich. Denn seit der Reform habe sich der neue Umgangsmodus durchgesetzt, dass die Nationalstaaten ihre Interessen und Wünsche erfüllt bekommen.
Luftbild der Waldschlößchenbrücke über die Elbe.
UNESCO-Beschluss - Dresdner Elbtal verliert Welterbe-Titel
2009 wurde das Dresdner Elbtal wegen der umstrittenen Waldschlösschenbrücke von der Liste der Weltkulturerbestätten gestrichen. Zum ersten Mal überhaupt erkannte die UNESCO damit einer europäischen Welterbestätte den Titel ab - eine kulturpolitische Blamage für Deutschland.

Eurozentrismus und Nord-Süd-Konflikt

In Europa sind die meisten Weltkultur-und Weltnaturstätten zu finden. Deutschland zählt aktuell 46 UNESCO-Welterbestätten, darunter die Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb, das Wattenmeer und die Siedlungen der Berliner Moderne. "Die Europäer sind gieriger", sagte Brumann.
Denkmäler in der UNESCO Liste des Welterbes in Deutschland nach Bundesland 2020
Mit insgesamt sieben Welterbestätten war Sachsen-Anhalt 2020 das Bundesland mit den meisten Denkmälern in der UNESCO Liste des Welterbes (Statista / UNESCO)
"Eurozentrismus spielte anfangs eine Rolle, aber schon Anfang der 1980er-Jahre wurde es kritisiert." In den 1990er-Jahren gab es die ersten konzeptionelle Reformen: "Es wurden zum Beispiel Kulturlandschaften eingeführt, Holz- und Lehmbauten, Kanäle, Eisenbahnlinien, Alltagserbe aller Art, auch das kann heutzutage Welterbe werden, nicht nur Kathedralen, Paläste und Altstädte, wo Europa einen Vorteil hatte."
Das Nominierungsverfahren habe sich aber nicht geändert und da seien die reichen und erfahrenen Länder wie Deutschland im Vorteil - auch im Lobbying. Sie hätten sich als sehr flexibel erwiesen und sich auf die neuen Kategorien eingestellt, so Brumann: "Angedacht waren eigentlich heilige Berge oder die Reisterrassen in Südost-Asien, aber was dann tatsächlich auf die Liste kam, waren die Weinbaugebiete in Europa."
Es habe immer wieder Klagen der südlichen Länder gegeben, dass die Vergabe zu eurozentrisch, zu nördlich erfolge, aber im Reigen der Einzelentscheidung falle dieser Blickwinkel wieder herunter. "Seit 2010 haben große Länder des Südens, also etwa China, Indien, Iran, Türkei - wenn man die als Süden bezeichnen mag - letztlich die neuen Möglichkeiten auch hauptsächlich genutzt, sich selber zu bedienen."

Welterbe in Gefahr

Indessen haben religiöse Extremisten bewiesen, wie schnell Welterbe zerstört werden kann. Die Verhinderung sei sehr schwierig, räumt der Ethnologe Brumann ein. Aber der Fakt, dass es sich um ein Welterbe gehandelt habe, habe in einzelnen Fällen zu einer schärferen Verurteilung durch den Internationalen Strafgerichtshof geführt - etwa im Fall Timbuktu, wo islamische Stätten, die islamistischen Standards nicht genügt hatten, bewusst zerstört worden waren.
Blick auf die Ruinen von Palmyra, nachdem der IS die antike Stätte zerstört hat.
Zerstörung von Kulturgütern - Was das Vergangene repräsentiert, soll vernichtet werden
Zu allen Zeiten und überall: Dass in Konflikten Denkmäler zerstört werden, ist eine historische Konstante. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, hat über diese Kultur der Zerstörung nun ein Buch geschrieben.
Insgesamt habe die multilaterale Begeisterung aber nachgelassen, erklärt Brumann. Seit der Finanzkrise seien auch die Freiwilligenbeträge der Mitgliedsstaaten sehr zurückgegangen. "Nach wie vor lässt sich mit dem Titel viel lokale und nationale Begeisterung entfachen, lassen sich Touristen anlocken." Was dann die einzelnen Nationalstaaten mit dem Titel machten - da sei noch sehr viel Spielraum. "Dass um das Welterbe herum wieder eine große Gemeinschaftsidee und eine größere Begeisterung entsteht, dafür Geld und Mittel bereitzustellen, sehe ich für die nahe Zukunft nicht passieren."