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UNESCO-Weltkulturerbestätten
"Venedig erstickt am Tourismus"

Viele Städte hoffen auf mehr Tourismus durch den Titel eines UNESCO-Weltkulturerbes. Venedig aber werde durch Touristenmassen geradezu physisch bedroht, sagte der Architekturkritiker Nikolaus Bernau im DLF. Und die Stadt tue nichts dagegen. Trotzdem werde Venedig den Welterbetitel so schnell nicht verlieren, das habe nur Dresden geschafft.

Nikolaus Bernau im Gespräch mit Michael Köhler |
    Venedig gilt als einer der schönsten Kreuzfahrthäfen der Welt. Einige der Ozeanriesen sind höher als die Häuser von Venedig.
    Venedig gilt als einer der schönsten Kreuzfahrthäfen der Welt. Einige der Ozeanriesen sind höher als die Häuser von Venedig. (imago/Reinhard Balzerek)
    Michael Köhler: Das Welterbe-Komitee der UNESCO tagt in Istanbul, besser es tagte in Istanbul. Es hat seine heutige Sitzung aufgrund der Ereignisse und des gescheiterten Putsches abgesagt. Gestern erst hat es neun Stätten des schützenswerten Welterbes in die Liste aufgenommen. Darunter antike Stätten von Philippi in Griechenland, indische Ausgrabungsstätten und andere.
    Nikolaus Bernau, Architekturkritiker, habe ich gefragt: Lassen sie uns über Vorzüge und Nachteile solcher Titel sprechen. Am liebsten würde man ja mit der MS Europa gleich vor die Villen des Veneto beziehungsweise die Kirchen Andrea Palladios in Venedig fahren. Venedig droht nämlich, seinen Titel aberkannt zu bekommen. Das erleben wir immer wieder: Zunahme an Tourismus, gewünschtem Tourismus vielleicht ja, Entwicklung auch, aber dann die Drohung der Aberkennung. Ist das nicht widersprüchlich?
    "Venedig ist inzwischen akut bedroht, und zwar physisch bedroht"
    Nikolaus Bernau: In Venedig ist es inzwischen so, dass die Stadt akut bedroht wird, und zwar physisch bedroht wird durch den Tourismus. Das hat nichts mehr zu tun mit dem, was man plant, wenn man einen Welterbetitel beantragt. Nehmen wir, sagen wir, Muskau in der Mark Brandenburg. Wenn dort ein Welterbetitel kommt, dann freuen sich die Leute und die Touristenzahlen steigen tatsächlich um 100 Prozent. In Venedig ist das ein völlig anderer Fall. Venedig hat derzeitig zehn Millionen Touristen pro Jahr. Dort landen bis zu fünf große Kreuzfahrtschiffe zum gleichen Zeitpunkt an, was etwa 10.000 Menschen in derselben Minute durch dieselben Gassen und über die schmalen Brücken in die Stadt hineinleitet, die alle transportiert werden müssen. Das berühmte Vaporetto-System, dieses System mit den großen schweren und auch übrigens ziemlich umweltfeindlichen Booten, das durch die Stadt transportiert, das ist ein System, das inzwischen zu mehr als 90 Prozent von Touristen genutzt wird. Das ist gar kein städtisches Verkehrsmittel mehr. Das heißt, die Stadt ist insgesamt völlig vom Tourismus aufgesaugt und leidet darunter ganz erheblich. Das fängt bei den Fußböden an, die abgelaufen werden innerhalb von kürzester Zeit, und das hört bei den großen Schäden an den Bauwerken, die durch die starken Wellen, die zum Beispiel durch das Verkehrssystem entwickelt werden, entstehen, hört das gar nicht auf. Ein ganz zentrales Problem sind dabei auch die von Ihnen schon erwähnten Kreuzfahrtschiffe, die ja quer durch die Stadt durchfahren und gigantische Mengen Abfall produzieren, gigantische Mengen an Abgasen produzieren und diese vielen Leute, die ja diese traumhaft schöne Stadt einfach erleben wollen. Das heißt, die Leute kann man verstehen, aber die Folgen dieses Tourismus sind fatal.
    Köhler: Antike Stätten wie Philippi in Griechenland, Bewässerungssystem von Kanat im Iran, archäologische Stätten von Ani in der Türkei - viele andere wären zu nennen - sie sind auf die Liste gekommen. Wenn ich Sie da recht höre, fliegt Venedig von der Liste runter?
    Venedig hat ein Drittel seiner Bevölkerung verloren
    Bernau: Nein, so weit ist es noch lange nicht. Das ist der große Vorteil der UNESCO. Sie ist ein überaus langsamer Apparat und ein überaus abwägender Apparat. Es ist genauso schwierig, auf die Liste draufzukommen, wie von der Liste wieder runterzufliegen. Es gibt ja auch bis jetzt nur einen Fall, der runtergeflogen ist: Das ist Dresden als Kulturdenkmal. Und man muss auch sagen, die Dresdener haben alles getan, um runterzufliegen. Sie haben sich derartig eklatant jedem Gespräch mit der UNESCO verweigert und haben einfach darauf bestanden, dass sie diese dumme Brücke gebaut haben, die sich ja inzwischen längst als völlig überflüssig herausgestellt hat, dass der UNESCO schlichtweg nichts anderes mehr übrig blieb, und sie hat Dresden endlos viel Zeit gelassen.
    Zehntausende Passanten laufen täglich über die Rialtobrücke in Venedig.
    Zehntausende Passanten laufen täglich über die Rialtobrücke in Venedig. (ARD / Tilmann Kleinjung)
    Bei Venedig wird es ähnlich voraussichtlich sein. Venedig ist seit ganz, ganz vielen Jahren heftig in der Kritik und die italienische Regierung ist ganz, ganz heftig in der Kritik und auch die Stadtregierung ist heftig in der Kritik. Es hat schon 2011 den Antrag gegeben von Italia Nostra, einer großen Denkmalschutzorganisation, bitte Venedig runterzunehmen von der Liste, einfach deswegen, weil niemand etwas tut. Und das Tun heißt, vor allem einmal endlich einen Management-Plan für den Tourismus zu entwickeln und auch zu sagen, wir können nicht jeden Tourismus dort haben, und vor allem dafür zu sorgen, dass endlich wieder Venezianer in Venedig wohnen. Die Stadt hat ja seit den letzten 20 Jahren etwa ein Drittel ihrer Bevölkerung verloren, hat etwa noch 55.000 Einwohner, die unter erbärmlichen Bedingungen leben müssen, weil es irrwitzig teuer ist, in Venedig zu leben, und durch die vielen Touristen auch praktisch der Lebenszusammenhang immer wieder auseinandergerissen wird. Man kann gar nicht mal schnell einkaufen gehen oder so etwas, weil da lauter Leute in der Gegend stehen. Das heißt, Venedig erstickt am Tourismus. Die Stadt tut aber nichts dagegen bis jetzt, sondern erfreut sich immer über noch mehr Tourismus, und das ist ein Problem, das muss gelöst werden.
    Köhler: Nikolaus Bernau, lassen Sie uns zum Schluss doch noch eine wichtige Frage klären. Was wird eigentlich aus dem ewigen Kandidaten Weißenhofsiedlung?
    Le Corbusier-Häuser mit guten Chancen
    Bernau: Das könnte sein, dass er eventuell, falls diese Sitzung weiter stattfinden wird, zumindest mit zwei Gebäuden draufkommt, nämlich mit den beiden Gebäuden von Le Corbusier. Das sollte eigentlich am Samstag jetzt oder zumindest am Wochenende behandelt werden. Ob diese Sitzung der UNESCO weiterhin stattfinden wird in Istanbul, ist völlig in den Sternen. Alle Kontakte, die wir dorthin haben, haben auch gesagt, sie wissen es schlichtweg nicht, weil dort ja sehr wichtige Leute, die sehr dichte Terminpläne haben, zusammengekommen sind. Die können nicht einfach die Sitzung um einen Tag verschieben oder länger machen. Jetzt hat dieser Putschversuch aber alles durcheinandergebracht. Das heißt, wir wissen nicht, ob die Eintragung der Le Corbusier-Häuser, zu denen auch zwei Gebäude in der Weißenhofsiedlung gehören, ob die dieses Mal vorankommt, oder ob sie mal wieder verschoben wird.
    Köhler: … sagt Nikolaus Bernau über UNESCO-Welterbetitel.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.