Archiv


"Unfälle gibt es immer wieder"

Die weltweit beachtete Rettung der chilenischen Bergleute sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Bergbau immer wieder zu Zwischenfällen kommt. Häufig nehme davon aber keiner Notiz, warnt der Bergbauexperte Sebastian Wagner von der TU Freiberg.

Sebastian Wagner im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Am 5. August waren 33 Bergleute in der Mine von San José in der chilenischen Wüste verschüttet worden. Sie flüchteten in einen Rettungsstollen. Doch es dauerte lange, bis sie sich überhaupt bemerkbar machen konnten. Bald war der erste Versorgungstunnel gebohrt, doch die Retter blieben vorsichtig. Ursprünglich hieß es, die Bergleute müssten bis Weihnachten in mehr als 600 Metern Tiefe ausharren. Jetzt ist alles viel schneller gegangen.

    Ich bin jetzt mit Sebastian Wagner verbunden. Er ist Bergbauingenieur an der TU Freiberg. Guten Tag, Herr Wagner.

    Sebastian Wagner: Glück auf, Herr Herter!

    Herter: Wir haben es gerade gehört: Glück auf. Die Mine in San José in Chile war in sehr, sehr schlechtem Zustand. Das soll für verschiedene, für viele Minen in Chile gelten. Ist das auch Ihr Kenntnisstand?

    Wagner: Die Qualität der Sicherheit oder die Höhe der Sicherheitsstandards ist immer sehr, sehr unterschiedlich und schwer auf einzelne Länder festzumachen. Es spielt zum Beispiel eine große Rolle, ob es sich um große, weltweit agierende Unternehmen handelt, die überall ihre Standards durchsetzen, oder ob es sich halt um kleinere Gruben handelt.

    Herter: Wirtschaftlichkeit und Gewinn steht dort also im Vordergrund, vor der Sicherheit der Bergleute. Chile ist der größte Kupferexporteur der Welt. Stimmt das?

    Wagner: Meiner Information nach ja.

    Herter: Und hat es in den letzten Jahrzehnten mehrere solcher Unglücke gegeben? Das spektakulärste ist jetzt zu Ende gegangen, aber gab es andere Zwischenfälle?

    Wagner: Unfälle gibt es immer wieder, oder Zwischenfälle, je nachdem welche Bergwerke es sind, welche Teufen anstehen, welche Lagerstätten abgebaut werden. Es kommt immer wieder zu Zwischenfällen, aber das war jetzt mit Abstand der schwerste und auch medienwirksamste.

    Herter: Herr Wagner, freuen auch Sie sich, dass die Bergleute mit Hilfe moderner Technik gerettet werden konnten, und was war denn nun der Beitrag deutscher Technik? Darüber haben wir ja etwas gehört.

    Wagner: Natürlich freuen auch wir uns, dass die Bergleute nun endlich wieder am Tageslicht angekommen sind und zurück zu ihren Familien gehen können. Der Beitrag der deutschen Technik war ein Teil des Bohrers zum Antrieb und zur Steuerung von einer deutschen Firma, die schon viele, viele Jahre auf dem Gebiet große Erfahrung hat und doch schon den einen oder anderen Erfolg feiern konnte.

    Herter: Diese Rettungskapsel, die da benutzt wurde, Phönix oder Fenix, der Urtyp ist auch in Deutschland entwickelt worden. Richtig?

    Wagner: Das ist richtig. Der ursprüngliche Typ oder der Vorgänger von Phönix war die sogenannte Dahlbuschbombe, eine Rettungskapsel, die fast genau so aussieht wie die Phönix, und ist entwickelt worden während eines Bergwerksunglückes auf dem Bergwerk Dahlbusch. Daher der Name Dahlbuschbombe. Vom Prinzip her hat sich allerdings nichts geändert. Es sieht aus wie ein großer Torpedo, eine Person passt rein und kann durch den Rettungsschacht nach oben gezogen werden.

    Herter: Am besten ist es natürlich, wenn solche Rettungstechnik auch überhaupt gar nicht erst zum Einsatz kommen muss. Sie haben gerade gesagt, dass große Konzerne in der Regel besser auf Sicherheitsbestimmungen achten, dass kleinere Konzerne das weniger tun, kleinere Unternehmen. Wo kommt es denn zu den meisten Grubenunglücken, in Afrika oder in Asien?

    Wagner: Das ist allein von der Zahl her ganz schwer festzumachen. Wenn man jetzt die Haupt-Bergbauländer sich anschaut, dann liegen von der absoluten Zahl her Asien natürlich sehr weit vorne, Afrika eine Reihe von Ländern. Wenn man sich das ganze allerdings relativ anschaut, wird es schon wieder ein bisschen anders. Wir hatten vorhin kurz im Gespräch zum Beispiel China. An der Stelle muss man sich einfach anschauen, wie groß das Land ist, und dass dort natürlich aufgrund der puren Größe des Landes eine absolute höhere Zahl an Arbeitsunfällen vorkommt, ist erst mal rein statistisch normal.

    Herter: Ist normal, aber die Sicherheitsbestimmungen dort sind doch unzureichend, wenn wir Medienberichten vertrauen, die wir immer wieder aus China hören.

    Wagner: Ob die Sicherheitsbestimmungen unzureichend sind, das wage ich nicht zu sagen. Nach meinen Informationen sind sie das. Natürlich verleitet das immer wieder kleinere Unternehmen dazu, die Sicherheitsbestimmungen kreativ auszulegen. Das ist allerdings ein generelles Phänomen, was sich nicht nur auf den Bergbau beschränkt.

    Herter: Zum Beispiel im Kongo wird auch viel Bergbau betrieben. Da geht es um Diamanten, da geht es um Coltan und andere Rohstoffe, die sehr wichtig sind. Manchmal hört man ja nicht einmal von diesen Unglücken, die es dort gibt. Dass Profite hier im Vordergrund stehen, kann man sich doch vorstellen?

    Wagner: Die Überlegung liegt sehr nahe, ja, da man mit solchen Rohstoffen sehr, sehr viel Geld verdienen kann. Auf der anderen Seite muss man natürlich immer dazu sagen: Das Medieninteresse ist immer abhängig von dem, was passiert ist. Jetzt in Chile hatten wir einen sehr schönen, spektakulären Unfall - also nicht schön, dass es den Unfall gab, aber vom Medieninteresse her - und damit ist natürlich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf einen Punkt fokussiert. Wenn es kleinere Unfälle gibt, Zwischenfälle gibt, dann ist es ganz häufig so, dass keiner davon Notiz nimmt.

    Herter: Was könnte man denn machen? Gibt es internationale Übereinkünfte für die Sicherheit im Bergbau?

    Wagner: Es gibt internationale Organisationen, zum Beispiel eine Tochterorganisation der UNO, die International Labour Organization, die sich weltweit um die Durchsetzung von einheitlichen Sicherheitsstandards kümmert, und natürlich können auch wir dafür sorgen, in dem Moment, wo wir Werkstoffe, Rohstoffe verarbeiten und wissen, aus welchen Gruben oder aus welchen Gegenden die kommen, und dann dort versuchen, die Standards dem anzupassen, was wir als sicher verstehen.

    Herter: Aber gibt es denn irgendein Druckmittel?

    Wagner: Wenn Sie als Käufer einkaufen, dann hat man da natürlich schon diverse Möglichkeiten, das durchzusetzen.

    Herter: Wenn man als Käufer einkauft, meinen Sie damit die Konsumenten?

    Wagner: Die Konsumenten zum Teil, aber auch die Konzerne, die Firmen, die die Materialien weiterverarbeiten.

    Herter: Sind das aber die Endverbraucher? Auf Kupfer beispielsweise lässt sich ja schwer verzichten.

    Wagner: Das ist richtig. Dann muss man versuchen, andere Wege zu finden, zum Beispiel auf bilateraler Ebene zwischen den Regierungen mit Unterstützung zum Aufbau von funktionierenden Überwachungsapparaten, die die Sicherheit gewährleisten können.

    Herter: Kennen Sie denn Produzenten, die sagen, wir kaufen dieses oder jenes Metall aus diesem oder jenem Land nicht mehr, weil die Sicherheitsstandards in den Bergwerken zu schlecht sind?

    Wagner: Kenne ich, ja.

    Herter: Können Sie die auch nennen, und was glauben Sie, welchen Anteil macht das aus?

    Wagner: Ich könnte sie nennen, möchte sie aber nicht nennen, und es ist noch ein sehr geringer Anteil.

    Herter: Informationen von Sebastian Wagner, Bergbauingenieur an der TU Freiberg. Herr Wagner, vielen Dank für die Informationen!

    Wagner: Ich bedanke mich! Tschüss und Glück auf!