Die Zahl der in Deutschland im Straßenverkehr Getöteten ist zwar historisch niedrig, doch sie stagniert seit einigen Jahren, erklärt Rodolfo Schöneburg, Vorsitzender des Fachbeirats Sicherheit, Methoden und Prozesse des Vereins Deutscher Ingenieure VDI:
"Wir haben seit 2010 in Summe bis 2018 einschließlich etwa 500 weniger Verkehrstote. Wir sind auf einem sehr guten Stand. Mit 3.275 Verkehrstoten 2018, im Vergleich auch zu vielen anderen Ländern, haben wir einen sehr guten Stand, aber es ist sehr, sehr schwierig, an der Stelle jetzt noch weitere Potenziale zu heben."
Allerdings: Mehr als die Hälfte der Getöteten sind ungeschützte Verkehrsteilnehmerinnen wie Radfahrende und Fußgängerinnen.
"Im letzten Jahr waren die Radfahrer insbesondere im Fokus mit etwa 16 Prozent mehr Verkehrstoten gegenüber 2017. Motorradfahrer mit etwa acht Prozent mehr, Fußgänger ein bisschen mehr, aber nicht mehr ganz so stark gestiegen."
Mehr Radfahrer bedeuten mehr Unfälle
Gründe für die steigenden Zahlen: Missachtung elementarer Regeln im Straßenverkehr wie nicht angepasste Geschwindigkeit oder die Ablenkung vom Fahren, so Schöneburg. Auch der Trend zum Fahrrad führe zu mehr Unfällen, erklärt Jürgen Bönninger, Vorsitzender des Ausschusses Fahrzeugtechnik beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat. Immer mehr Bürgerinnen radeln:
"Damit war zu erwarten, dass auch die Unfallzahlen der Fahrradfahrer, der Pedelec-Fahrer zunehmen. Das ist aber hier gerade bei den älteren Verkehrsteilnehmern so überproportional passiert. Damit hatten wir zumindest nicht gerechnet, und wir müssen uns Gedanken machen, wie wir dieser Entwicklung gegensteuern."
"Fahrschule" für ältere Zweiradfahrer?
Er schlägt freiwillige Eignungstests und Beratung über die Verkehrswacht, bei Fahrradhändlern und auf kommunaler Ebene vor. Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen: Die Zahl im Verkehr getöteter Senioren auf Fahrrad und Pedelec steigt seit 2014 deutlich an.
"Es ist keine gute Idee, mit 75 oder 80 Jahren aus dem Pkw auszusteigen, umzusteigen auf das Pedelec, wenn man 20 Jahre lang kein Fahrrad gefahren ist. Sondern hier müsste man eine Art Fahrschule machen und müsste für sich selber feststellen und möglichst auch durch einen Dritten sich den Rat geben lassen, ob man in der Lage ist und bewegt ist, mit einem Pedelec am Verkehr teilzunehmen."
Auch die Verkehrsinfrastruktur für ungeschützte Verkehrsteilnehmerinnen müsse stark verbessert werden, fordern die Experten. Der VDI rät zu einer sicheren und gerechten Aufteilung des Verkehrsraum sowie zu einer für alle Verkehrsteilnehmer gleichermaßen angepaßten Geschwindigkeitsvorgabe.
Ziel verfehlt, neues Ziel definiert
Lösungen für bessere Verkehrssicherheit durch automatisiertes Fahren und Fahrerassistenzsysteme dagegen versprechen keine kurzfristigen Effekte, erklärt Steffen Müller, Leiter des Fachgebietes Kraftfahrzeuge an der Technische Universität Berlin:
"Tatsächlich ist es so, dass diese Systeme sich zunächst erst einmal überhaupt in der Breite in den einzelnen Fahrzeugen verbreiten müssen. Und wenn wir an Lebensdauern von 18 Jahren von Fahrzeugen denken, Durchschnittsalter von über neun Jahren, dann erkennt man, dass das doch einige Zeit dauern wird, bis wir dann auch spürbare Effekte von diesen sicherlich hilfreichen Systemen sehen werden in den Statistiken."
Eigentlich hatte die Bundesregierung das Ziel ausgerufen, die Zahl der Verkehrstoten bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren, was angesichts der stagnierenden Zahlen nicht mehr zu erreichen ist. Die "Vision Zero" – also die Vision von Null Toten im Straßenverkehr im Jahr 2050 – rückt so in weite Ferne. EU und Bundesregierung werden sich nun auf ein neues Ziel verständigen: Bis 2030 soll die Zahl der Schwerstverletzten und Verkehrstoten gegenüber 2020 halbiert werden. Ab kommenden Jahr sollen von Politik und Fachwelt Maßnahmen definiert werden, die realistisch das Potenzial haben, das 50-Prozent-Ziel bis 2030 zu erreichen.