Archiv

Ungarn
Ein Dorf macht mobil - gegen Flüchtlinge

Die Bürger in Ungarn stimmen morgen für oder gegen eine verbindliche Quote zur Verteilung von Flüchtlingen in der EU ab. In dem Dorf Vámosszabadi nahe der slowakischen Grenze leben mehrere hundert Flüchtlinge in einer Kaserne. Die Dorfbewohner wollen das aber nicht mehr. Und machen mobil.

Von Clemens Verenkotte |
    Flüchtlinge sprechen mit einem Taxifahrer in Vámosszabadi im Herbst 2015.
    Flüchtlinge sprechen mit einem Taxifahrer in Vámosszabadi im Herbst 2015. (picture-alliance / dpa / Csaba Krizsan)
    Vámosszabadi, eine 1.800 Einwohner große Gemeinde im Nordwesten Ungarns. Es ist idyllisch hier: An der langen Dorfstraße reihen sich Einfamilienhäuser aneinander, hinter dem Bürgerhaus liegt ein großer Sportplatz, den gerade eine kleiner Schar Hortkinder verlässt, es fahren so wenige Autos die Straße entlang, dass eine betagte Dackelhündin unbehelligt auf der Fahrbahn sitzenbleiben kann.
    Die Gemeinde liegt sehr verkehrsgünstig, wenige Kilometer nördlich von Györ, dem industriellen Herzen der Region, seit über 20 Jahren Sitz von Audi Ungarn, Uni-Stadt, 130.000 Einwohner, über 11.000 von ihnen arbeiten direkt beim Ingolstädter Autobauer.
    "Damals haben wir demonstriert"
    Györ liegt auf halbem Wege zwischen Budapest und Wien an der Autobahn, die Grenze zur Slowakei verläuft an der Dorfgrenze von Vámosszabadi. Dort stand eine leere Kaserne, die seit August 2013 als Unterkunft für Asylbewerber dient. Das Leben in ihrem aufstrebenden Dorf habe sich dadurch erheblich verändert, sagt Bürgermeisterin Lívia Vajda, die seit zwei Jahren im Amt ist.
    "Als das Dorf erfahren hatte, dass hier ein Lager eröffnet werden sollte, ist man hier vorsichtig geworden. Damals haben wir gegen das Lager demonstriert. Wir hatten erst aus den Medien erfahren, dass die Regierung hier ein Flüchtlingslager aufmacht. Erst gab es hier Platz für 216 Flüchtlinge, später für 300, aber letztes Jahr gab es Tage, als 800, 900 oder mehr als 1.000 Flüchtlinge hier im Dorf waren."
    Die Lage habe sich inzwischen deutlich gebessert, seit die Regierung Orban im vergangenen Herbst die Südgrenze zu Serbien und Kroatien geschlossen hat, erklärt die Bürgermeisterin. Derzeit hielten sich noch rund 150 Flüchtlinge im früheren Kasernengebäude auf, das direkt an der Grenze zur Slowakei liegt und dem Innenministerium in Budapest untersteht.
    In der Gegend ist nur noch die Rede vom "Flüchtlingsdorf"
    Sie sei wegen der Flüchtlingskrise in die Kommunalpolitik gegangen, erläutert Bürgermeisterin Lívia Vajda, die bis 2014 Unternehmerin war. Denn die Entwicklung ihrer Heimatgemeinde sei durch die Entscheidung Budapests abgebremst worden:
    "Das Flüchtlingslager ist im August 2013 eröffnet worden. Damals war die Ortschaft sehr behaglich, sehr leise, es gab sehr viel Bautätigkeit, weil wir in ein paar Kilometer von Györ entfernt liegen und sehr viele hierhergekommen sind, um ein neues Leben zu beginnen. In wenigen Jahren hat sich die Bevölkerung verdoppelt."
    Was ihr Sorge bereit, ist die Tatsache, dass die ungarische Regierung bis Jahresende zwei Flüchtlingslager schließen wolle. Dann würden die Zahlen hier in Vámosszabadi wieder ansteigen. Mehrmals schrieb die Bürgermeisterin schon offene Briefe an die Regierung mit der Aufforderung, das Lager in ihrem Gemeindesprengel zu schließen. Denn mittlerweile würde ihr Dorf in der Umgebung nur noch abfällig "Flüchtlingsdorf" genannt.
    "Manche stören, manche nicht"
    Unterstützung erfährt die Bürgermeisterin von Menschen aller Generationen: Niki, die in Györ auf die Uni geht, auf die Frage, das Lager zu schließen:
    "Es ist eine tolle Idee. Wir brauchen sie hier nicht. Sie sollen dort bleiben, wo sie sind. Das hier ist Ungarn. Sie gehören hier nicht hierher. Sie sollen nicht hierher kommen."
    Der Rentner Sandor steuert den kleinen Dorfladen an, der direkt gegenüber vom Rathaus liegt:
    "Es gibt solche Flüchtlinge, die stören, und andere, die nicht stören. Es geht nur um Kleinigkeiten. Neben der Landstraße Nr. 14 wird manchmal Obst geklaut. Ich möchte die Migranten auch nicht hier haben, das ist klar. Aber in der Praxis stören sie mich gar nicht. Sie wohnen am anderen Ende des Dorfes."