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Ungarn
Massenproteste gegen Premier Orban

Bislang regiert die rechtskonservative Fidesz-Partei in Ungarn weitgehend unangefochten mit einer Zweidrittelmehrheit. Doch mittlerweile regt sich Widerstand, die Umfrage-Werte von Premier Viktor Orban und seiner Partei sinken - und langsam formiert sich eine intellektuelle Alternative.

Von Karla Engelhard |
    Demonstranten protestieren mit großen Plakaten und Flaggen gegen die ungarische Regierung.
    Der Widerstand gegen die ungarische Regierung nimmt zu. (picture alliance / dpa / Janos Marjai)
    Das neue Jahr beginnt in Budapest, wie das alte Jahr endete. "Orban hau ab", riefen tausende Demonstranten in der ungarischen Hauptstadt. Sie hatten sich trotz des Regens und der Kälte auf dem Platz vor der Oper versammelt. Organisiert wurde die Protestaktion von der Facebook-Gruppe "Jetzt wir". Die Demonstranten trugen Schilder mit Aufschriften wie "Orban hau ab", "Demokratie" und "Kampf gegen den Mafia-Staat". Sie forderten eine neue Republik und eine neue Verfassung. Der Organisator und IT-Unternehmer Zsolt Váradi meinte vor den Versammelten:
    "Unsere Bewegung hat noch nicht die Absicht, eine Partei zu gründen. Es ist noch nicht die richtige Zeit. Und uns fehlen die finanziellen Möglichkeiten. Doch unsere Politiker haben sich von der Wirklichkeit entfernt. Es ist klar, dass sie nicht für unsere Interessen arbeiten, sondern sie ihre eigene Welt aufbauen. Wir werden ein neues Land errichten. Beginnen wir jetzt mit den Grundlagen!"
    Seit Wochen wird in Ungarn demonstriert. Auslöser war eine geplante Internetsteuer der Orban-Regierung. Mit Massendemonstrationen gegen die Regierung von Premier Viktor Orban forderten viele bisher eher zurückhaltende Bürger lautstark Demokratie, Rechtsstaat, Kampf gegen Korruption und Günstlingswirtschaft, gegen Steuerpolitik und Sozialabbau. Die Empörung der Straße sorgte selbst in der Orban-Partei für Spannungen. Laut Umfragen verlor die Orban-Partei in nur einem Monat zwölf Prozent ihrer Wähler.
    Erste Risse im Machtgefüge
    Von ersten Rissen im Machtgefüge schreiben selbst regierungstreue Medien und erinnern daran, dass die Wahlsiege der Orban-Partei und ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit nicht nur auf zufriedenen Sympathisanten beruht, sondern auch auf dem Fehlen einer Alternative. Gabor Vago, ein ehemaliger Grüner meint vor den Demonstranten kämpferisch: "Ein Systemwechsel kann nur dann passieren, wenn wir als bewusste Staatsbürger eine Alternative gegen dieses System anbieten. Eine demokratische und europäische Alternative."
    Ein schweres Frühjahr steht bevor
    Gergely Gulyás, Vizepräsident des Parlaments und Fidesz-Mann, versucht zu beruhigen: "Natürlich muss man die Kritik ernst nehmen. Diese Demonstrationen, die man riesengroß nennt, sind es aber nicht. Meiner Meinung nach werden mehr Artikel darüber veröffentlicht, als Menschen an den Protesten teilnehmen."
    Viele Politologen sind sich jedoch einig: Orban und seine Partei stecken in der Krise. Ein schweres Frühjahr stehe bevor, meinen sie - wegen wachsender Bürgerproteste, interner Grabenkämpfe, der Isolation innerhalb der Europäischen Union und wegen des Schulterschlusses mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.
    Am 1. Februar, dem Vorabend des offiziellen Ungarn-Besuches der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, kündigten die Organisatoren eine weitere Massendemonstration an - unter dem Motto: "Der Frühling kommt - Orban geht."