Migration nach Europa
Asylregeln der EU: Einfach aussteigen geht nicht

Ungarn und die Niederlande wollen ihre eigene Asylpolitik machen und nicht mehr den Regeln der Europäischen Union folgen. Dabei hatte sich die EU erst vor einigen Monaten auf eine deutliche Verschärfung der Asylpolitik geeinigt.

    Migration über das Mittelmeer: Ein Holzboot mit etwa 30 Menschen an Bord ist bei hohen Wellengang in Seenot geraten. Die Männer rufen um Hilfe.
    Migration über das Mittelmeer: Um nach Europa zu gelangen, riskieren viele Flüchtlinge ihr Leben. (picture alliance / dpa / Daniel Kubirski)
    Die Migration ist eines der zentralen politischen Themen, in Deutschland genauso wie in anderen Ländern der Europäischen Union. Erst im Mai 2024 hatte sich die EU auf neue, schärfere Asylregeln geeinigt. Doch das hat nicht zu einer grundsätzlichen Beruhigung der Debatte geführt. Besonders Rechtspopulisten drängen darauf, Asyl und Einwanderung noch stärker zu kontrollieren und zu erschweren. Ungarn und die Niederlande wollen nun ganz aus dem europäischen System aussteigen und ihre Migrationspolitik selbst bestimmen. Ist das möglich?

    Inhalt

    Warum wollen die niederländische und die ungarische Regierung den EU-Asylregeln nicht mehr folgen?

    Beide Länder werden von Regierungen mit stark rechtspopulistischem Einschlag geführt. Die Niederlande haben den Ausstieg aus den EU-Asylregeln bei der EU-Kommission beantragt. Ungarn hat angekündigt, das ebenfalls tun zu wollen.
    Der Rechtspopulist Geert Wilders, mit seiner radikal-rechten Partei für die Freiheit (PVV) erstmals Teil der Regierungskoalition in den Niederlanden, sprach von einem wichtigen Signal. Die Asyl- und Migrationsministerin Marjolein Faber (ebenfalls PVV) betonte, das Land müsse seine Asylpolitik wieder selbst regeln. Ministerpräsident Dick Schoof sieht eine "Asylkrise" und hatte vor einigen Tagen eine deutliche Verschärfung der Asylpolitik angekündigt.
    Ungarns Europaminister Janos Boka teilte mit, gegen illegale Migration sei ein hartes Vorgehen notwendig. Deswegen wolle Budapest einen Ausstieg aus den Asyl-Regeln beantragen, falls eine Änderung der EU-Verträge dies zulasse.
    Die EU befindet sich mit Ungarn seit Jahren im Dauerstreit über asylpolitische Fragen. Aktuell weigert sich Budapest, ein vom Europäischen Gerichtshof wegen seiner restriktiven Asylpolitik verhängtes Zwangsgeld von 200 Millionen Euro zu bezahlen. Die EU-Kommission will das Geld deshalb von künftigen EU-Zahlungen an Ungarn abziehen.

    Wie wahrscheinlich ist es, dass die Niederlande und Ungarn tatsächlich aus dem EU-Asylsystem aussteigen?

    Sehr unwahrscheinlich. Eine Kommissionssprecherin erklärte in Brüssel, die EU-Gesetze zur Migration seien für die Niederlande weiterhin bindend. „In diesem Zusammenhang erwarten wir keine unmittelbaren Änderungen an den EU-Vorschriften zu Asyl und Migration“, hieß es. Außerdem haben sich die EU-Länder bereits auf eine Asylreform geeinigt und müssen diese nun umsetzen.
    Auch nach Einschätzung des niederländischen Rats für Einwanderungsfragen können die Niederlande nur durch eine Änderung der EU-Verträge von der gemeinsamen Migrationspolitik ausgenommen werden. Dazu wäre eine Zustimmung aller 27 Mitgliedstaaten notwendig. Andere Mitgliedsstaaten müssten dann faktisch ihr Einverständnis erklären, mehr Asylsuchende aufzunehmen – nämlich jene, die die Niederlande nicht mehr unterbringen wollen. Das ist kaum denkbar.

    Was sehen die neuen EU-Asylregeln vor?

    Seit Mai 2024 ist klar, dass es künftig deutlich schwerer für Asylsuchende und Migranten werden wird, Europa zu erreichen. Nach Jahren des Streits und vielen Diskussionen einigten sich die EU-Mitgliedstaaten auf deutlich schärfere Vorschriften im Asylrecht. Zentral sind unter anderem schnelle Asylverfahren an den Außengrenzen und Unterstützung für die EU-Staaten, in denen besonders viele Migranten ankommen.
    Die neuen Regelungen sehen einheitliche Verfahren an den Außengrenzen vor, damit rasch festgestellt werden kann, ob Asylanträge unbegründet sind und geflüchtete Menschen so schneller und direkt von der Außengrenze abgeschoben werden können. So sollen Asylgesuche von Menschen aus Herkunftsstaaten mit einer EU-weiten Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent bereits in Auffanglagern an den Außengrenzen geprüft werden. Menschenrechtsorganisationen sprechen von einer „Abschaffung“ des europäischen Asylrechts.

    Wie ist der Vorstoß der Niederlande und Ungarns zu bewerten?

    In ihrem Brief an die EU-Kommission kündigt die niederländische Migrationsministerin Faber an, dass sich ihr Land komplett aus der EU-Migrationspolitik verabschieden will - und zwar über eine sogenannte Opt-out-Regelung, eine Ausnahme. Diese müsste allerdings in den EU-Verträgen verankert werden - und die Niederlande haben nicht angekündigt, ein Vertragsänderungsverfahren selbst auf den Weg zu bringen zu wollen. Die Vertragsänderung will die Regierung in Den Haag erreichen, wenn das nächste Mal ohnehin darüber auf europäischer Ebene verhandelt wird. Doch das ist derzeit überhaupt nicht absehbar.
    Insofern ist das Verlangen nach einem Ausstieg aus der gemeinsamen Migrationspolitik aus EU-Sicht erst einmal nur heiße Luft, so die Einschätzung von Brüssel-Korrespondent Peter Kapern - was noch dadurch unterstrichen wird, dass die niederländische Regierung bis zu einer Vertragsänderung die Umsetzung des gerade erst vereinbarten Migrationspaktes beschleunigen will, das genaue Gegenteil eines Ausstiegs aus einer gemeinsamen Politik. Die niederländische Regierung hat mit ihrer Forderung wohl eher auf das heimische Publikum gezielt.
    Ungarn wiederum nutzte die Gunst der Stunde, um seine wenig überraschende Forderung zu platzieren. Der ungarische Europaminister machte den Wunsch seiner Regierung nicht im Straßburger Plenarsaal publik, wo er als Vertreter der ungarischen Ratspräsidentschaft gleich mehrfach am Rednerpult stand - sondern exklusiv bei einem Orban-treuen ungarischen Fernsehsender.

    ahe