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Ungarn
Orbán will Medien bei "Panikmache" bestrafen

Im Windschatten der Corona-Krise greift Ungarns Regierungschef Orbán nach der absoluten Macht. Wer „Falschinformationen“ oder „Panik“ verbreitet, kann bis zu fünf Jahre ins Gefängnis gehen. Unabhängige Journalisten fürchten um den Rest Pressefreiheit. Die nötige Mehrheit für seine Pläne hat Orbán.

Von Stephan Ozsváth |
Viktor Orbán spricht bei einer Pressekonferenz
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán will sich in der Corona-Krise umfassende Vollmachten geben lassen, die auch die Pressefreiheit einschränken. (picture alliance / dpa / Ondrej Deml)
15. März, Nationalfeiertag in Ungarn. Die Feierlichkeiten sind wegen der Corona-Krise abgeblasen. Letzte Regierungspressekonferenz, die in einem Raum stattfindet. Regierungssprecher Zoltán Kovács trägt die Kokarde am Revers, als er den Reporter des unabhängigen Internet-Portals 444.hu rüde abfertigt.
Der hat eine einfache Frage gestellt, nämlich: warum der Innenminister auf Corona getestet wird, der einem infizierten Minister die Hand geschüttelt hat, und das Krankenhauspersonal nicht, das auch Kontakt zu Covid-19-Kranken hat?
Antwort:
"Versuchen Sie nicht, klüger zu sein als die Seuchen-Fachleute."
Die Frage an sich bleibt unbeantwortet.
Bedrückender Alltag
Das ist seit zehn Jahren in Ungarn Normalität, beklagt der ungarische Journalistenverband MUÓSZ. Regierungskritische Medien werden mit Parlamentsbann belegt, nicht zu Pressekonferenzen eingeladen, manche wurden auch in den regierungsnahen Medien in schon als "Söldner" des Multimilliardärs Soros diffamiert. Wenige Unabhängige stehen etwa 500 regierungsnahen Medien unter dem Dach einer Stiftung gegenüber. Im Windschatten der Corona-Krise soll nun "Panikmache" und Fehlinformation unter Strafe gestellt werden.
Gábor Polyák ist Medienrechtler von der Uni Pécs und hat die Nichtregierungsorganisation Mérték Média Monitor mitgegründet, die die Lage der Medien in Ungarn beobachtet. Er sagt:
"Was die Pressefreiheit angeht, ist nicht dieses Gesetz das Ende der ungarischen Medien, der ungarischen Öffentlichkeit. Seit 2010 wurde es täglich schlechter. Dieses Gesetz macht es für unabhängige Medien nur noch schwerer als ohnehin schon zu arbeiten, eigentlich unmöglich."
Ermächtigungsgesetz als Waffe
Das Orbánsche Ermächtigungsgesetz sieht bis zu fünf Jahre Haft vor, wenn Medien während des Corona-Notstandes "Panik" machen oder Falschinformationen verbreiten. Genau das warfen regierungstreue Medien wie das Portal Origo.hu oder das Staatfernsehen unabhängigen Internetportalen prompt vor. Index.hu oder 24.hu schnorrten die Ungarn auch noch auf dem Höhepunkt der Krise an – so die Kritik an den Crowdfunding-Kampagnen unabhängiger Medien. Gábor Polyák:
"Seit Beginn der Pandemie greift die Regierungskommunikation, wie der Regierungspartei Fidesz nahestehende Medien, das Tun der unabhängigen Medien an. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil seit Anfang März nur die Unabhängigen diese Pandemie ernst nahmen. Die Fidesz-nahen Medien stellten es so dar, als ob diese Pandemie ein aufgeblasenes Thema sei."
Mittlerweile stehen Jubelmeldungen in den regierungsnahen Medien – dass ungarische Forscher das Genom des Corona-Virus entschlüsselt hätten – neben Kritik. Tenor: Statt zu helfen kritisierten Brüssel oder die ungarische Opposition. Regierungssprecher Kovács griff auch den OSZE-Medienbeauftragten an, sagt die Fernsehjournalistin Dóra Diséri.
"Und wenn ich jetzt zum Beispiel aktuelle die Seite von HírTV aufmache, dann sehe ich auch den Zoltán-Kovács-Kommentar, der sagt, wie interessant es ist, dass die Falschmeldungen nur dann problematisch sind, wenn sie von der rechten Seite kommen und nicht, wenn sie von den liberalen Medien kommen. Das ist eigentlich eine Gegenkampagne gegen nicht-regierungsfreundliche, unabhängige Medien in Ungarn."
Regierungskritische Berichterstattung bedroht
Deswegen sei das Ermächtigungsgesetz eine große Gefahr, meint Diseri, die mittlerweile in Berlin lebt. Überhaupt, meint sie: Wer setze künftig in Ungarn die Standards, was wahrheitsgetreue Berichterstattung sei?
In der ungarischen Medienbehörde, die auch für die Ahndung von Presseverstößen zuständig sei, säßen ausschließlich Orbán-Getreue, meint Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen Deutschland. Sein Resumée:
"Deshalb fürchtet Reporter ohne Grenzen, dass regierungskritische Medien im Zuge der Corona-Krise mundtot gemacht werden sollen, wenn dieser Gesetzesvorschlag angenommen wird."