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Ungarn
Regierungskritische Tageszeitung stellt Betrieb ein

Drei Tage nach der Parlamentswahl in Ungarn stellt die regierungskritische Zeitung "Magyar Nemzet" heute ihren Betrieb ein. Ihr Eigentümer war einst mit Regierungschef Viktor Orbán befreundet, heute sind sie zerstritten. Jetzt fehlt dem Blatt das Geld.

Clemens Verenkotte im Gespräch mit Brigitte Baetz / Text von Stefan Fries |
    Ein Bild von 1989: Ein älterer Mann liest die "Magyar Nemzet" in einem Park in Budapest.
    Die ungarische Tageszeitung "Magyar Nemzet" ist ein traditionelles Blatt. 1989 berichtete sie über die Umbrüche im Ostblock. (imago stock&people)
    In der Rangliste der Pressefreiheit steht das EU-Land Ungarn international nur im oberen Mittelfeld. Rang 71 hat die Journalistenorganisation "Reporter ohne Grenzen" der Medienlandschaft in Ungarn gegeben, wo Ministerpräsident Viktor Orbán und die Fidesz-Partei die Medien strukturell unter ihre Kontrolle gebracht haben.
    Nur noch wenige Medien berichten regierungskritisch, darunter in den letzten Jahren auch "Magyar Nemzet" ("Ungarische Nation"). Doch nun stellt die Tageszeitung ihren Betrieb ein. Nach 80 Jahren erscheint das Blatt heute zum letzten Mal, hat der herausgebende Verlag gestern auf der Webseite der Zeitung mitgeteilt. Der Grund: Finanzierungsprobleme.
    Vom Orbán-Freund zum Orbán-Gegner
    "Magyar Nemzet" gehört dem Oligarchen Lajos Simicska, der früher ein enger Vertrauter Orbáns war. Im Jahr 2015 zerstritten sich die beiden. Daraufhin ließ Simicska seine Medien auf einen regierungskritischen Kurs einschwenken. Vor der Parlamentswahl am Sonntag berichtete die Zeitung über mutmaßliche Korruptionsfälle in Orbáns Umfeld.
    Der Regierungschef erwähnte die Einstellung der Zeitung auf einer Pressekonferenz in Budapest zwar, wollte dazu aber nicht viel sagen: "Bekanntlich beschäftigen wir uns nicht mit geschäftlichen Dingen", sagte er. "Die Eigentümer entscheiden das, wie sie wollen."
    Unternehmen verlieren öffentliche Aufträge
    Die Zeitung "Magyar Nemzet" erscheint seit 1938 ununterbrochen – ursprünglich galt sie als Flaggschiff des bürgerlichen Journalismus. Im Jahr 2000 übernahm Lajos Simicska die Kontrolle, der nach der demokratischen Wende 1989 in den Besitz von Plakatwerbeunternehmen gekommen war und einen großen Konzern auch mit Bauunternehmen aufgebaut hatte. In den 1990er Jahren finanzierte er Orbáns Fidesz-Partei.
    Dieser war von 1998 bis 2002 zum ersten Mal Ministerpräsident in Ungarn. Vor allem unter der zweiten Orbán-Regierung von 2010 bis 2014 lebten Simicskas Unternehmen gut von öffentlichen Aufträgen. Seine Medien galten damals als Sprachrohr der Orbán-Regierung.
    2015 brach er öffentlich mit Orbán. Er beschimpfte ihn so wüst, dass der Streit in Ungarn noch heute als "Tag G" bekannt ist, berichtet Jörg Taszman bei Deutschlandfunk Kultur (Audio). Seitdem verloren seine Unternehmen so gut wie alle öffentlichen Aufträge. Gestern wurde bekannt, dass Simicska nicht nur die "Magyar Nemzet" schließt, sondern auch den Radiosender Lanchid. Außerdem ist die Wochenzeitung "Heti Valasz" von der Einstellung bedroht, wenn sich kein Käufer findet. Der Nachrichten-Fernsehsender "Hir TV" soll wohl vorerst bestehen bleiben, muss allerdings kräftige Einsparungen hinnehmen.
    Die ungarische Schriftstellerin Noemi Kiss, die auch für die "Magyar Nemzet" geschrieben hat, zeigte sich bei Deutschlandfunk Kultur (ganze Sendung, Interview ab Min. 13:13) überrascht - nicht darüber, dass die Zeitung schließt, sondern dass es so schnell nach der Wahl passiert. Sie sagte, unter der Orbán-Regierung gebe es Geld nur für Unterstützer der Fidesz-Partei gebe, also nicht für Simicskas Unternehmen. Es gebe aber noch eine Opposition und auch noch weitere Medien, aber "Magyar Nemzet" sei ein Symbol für das freie Denken in Ungarn gewesen.
    Hören Sie zur Einstelllung der "Magya Nemzet" ein Gespräch mit unserem Ungarn-Korrespondenten Clemens Verenkotte - heute ab 15.35 Uhr in @mediasres.