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Ungarn und die doppelte Staatsbürgerschaft

Eine überwältigende Mehrheit. 344 Ja, drei Nein, fünf Enthaltungen. So hat das ungarische Parlament in dieser Woche das Gesetz über die doppelte Staatsbürgerschaft für die etwa 2,5 Millionen Auslandsungarn abgesegnet.

Von Stephan Ozsváth |
    So sieht nationale Einheit aus - so wünscht sich das die neue konservative Regierung unter Viktor Orbán. Sein christdemokratischer Stellvertreter Zsolt Semjén umschreibt es so:

    "Die Schlüsselfrage ist, dass nach vielen Jahrzehnten die Ungarn ihre kulturelle, sprachliche, historische Schicksalsgemeinschaft auch nach dem Gesetz leben können."

    Das ist das große Projekt der ungarischen Konservativen. 2004 - damals noch in der Opposition - scheiterte Viktor Orbáns Fidesz damit. Eine entsprechende Volksabstimmung wurde zum Flop. Die Inlandsungarn hatten Angst vor magyarischer Konkurrenz aus dem Ausland beim Kampf um Jobs. Jetzt mit Zweidrittelmehrheit im Parlament gelang der Coup des Fidesz.

    Wer ungarische Vorfahren, Sprachkenntnisse und eine weiße Weste in Sachen Vorstrafen vorweisen kann, soll die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen. Leitet sie durch die Hintertür die Revision des Trianon-Vertrages ein - wie es die ungarische Band Romantikus Eröszak, zu Deutsch: Romantische Gewalt - fordert?

    "Weg mit Trianon."

    1920 büßte Ungarn als Kriegsverlierer zwei Drittel seines Territoriums ein. Deshalb leben heute mehrere Millionen Ungarn in den Anrainerstaaten. Osteuropa-Experte Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin - glaubt:

    " Ich denke nicht, dass Viktor Orbán einen weichen Revisionismus betreibt. Was er aber glaube ich möchte, das ist, die Folgen des Friedens von Trianon lindern. Er möchte die ungarische Nation in der erweiterten Europäischen Union zusammenführen, indem er neue staatsrechtliche Bindungen, wirtschaftliche Verflechtungen zu den ungarischen Gemeinschaften in den Nachbarländern knüpft. "

    Dafür nimmt die neue Regierung Orbán Ärger mit der Slowakei in Kauf. Die linksnationalistische Regierung in Bratislava reagierte prompt auf die Parlamentsentscheidung in Budapest - Slowaken, die auch die ungarische Staatsbürgerschaft beantragen, sollen den slowakischen Pass verlieren. Das beschloss das Parlament in Bratislava im Blitzverfahren. Zsolt Semjén - künftiger ungarischer Vize-Ministerpräsident dazu:

    "Leider ist die slowakische Innenpolitik ungarnfeindlich. Wir reden mit jedem, aber wer nicht will, mit dem nicht. Wir können nicht unser natürliches Recht von den Wellenschlägen im Nachbarland abhängig machen."

    Für den von Korruptionsvorwürfen angeschlagen slowakischen Premier Robert Fico ist das Staatsbürgerschaftsrecht aus Budapest eine Steilvorlage im Wahlkampf, denn am 12. Juni wird gewählt. Die Folgen aber reichen weiter - denn die doppelte ungarische Staatsbürgerschaft berührt auch den Schengenraum. Ungarn aus der Karpato-Ukraine oder Serbien erhielten mit dem Ungarnpass auch die Eintrittskarte für die EU. Ein Thema, das nicht nur in Brüssel für Stirnrunzeln sorgt. Manuel Sarrazin, Europaexperte der Grünen im Bundestag sagt.

    "Wir brauchen eine ganz klare Ausrichtung der Politik auf Aussöhnung mit den Nachbarn. Jeder muss gute Beziehungen haben. Und das ist auch der Maßstab für die Regierung Fidesz."

    Dies umso mehr, als Ungarn im kommenden Jahr noch mehr europäische Verantwortung hat. Am 1. Januar 2011, dem gleichen Tag, wenn das neue Staatsbürgerschaftsrecht in Kraft treten soll, übernimmt Ungarn für ein halbes Jahr den Ratsvorsitz in der EU.