Als Gábor Benedek am 22. November 1956 bei der Eröffnungsfeier der XVI. Olympischen Sommerspiele unter dem Applaus der Zuschauer in das Stadion von Melbourne einzog, hatten er und die anderen ungarischen Athleten bereits eine anstrengende Anreise hinter sich.
Der Weg von Budapest nach Melbourne führte damals über Bratislava, Prag, Kalkutta und Singapur. Doch der anstrengendste Teil der Reise war noch zu Hause, als es darum ging, zu entscheiden, ob man überhaupt zu den Olympischen Spielen fahren sollte. Während sich die Lage zuspitzte, stimmten die Athleten ab.
Viele ungarische Athleten wollten nicht nach Melbourne
"Ob ihr einverstanden seid herauszufahren zu den Olympischen Spielen, oder nicht. Und da waren schon einige Differenzen. Die Jugend wollte selbstverständlich fahren. Das war die Mehrzahl und wir, die schon damals Familien hatten, wir wollten nicht. Aber wir waren in der Minderheit", erzählt Gábor Benedek bei einer Podiumsdiskussion im ungarischen Konsulat in Düsseldorf. Damals war er mit 29 Jahren eines der ältesten Teammitglieder, Kapitän der Fünfkämpfer. Er wäre in dieser unruhigen Zeit lieber bei seiner Frau und seiner kleinen Tochter geblieben und er fühlte sich wie beispielsweise auch Turnerin Ágnes Keleti.
"Sie hat auch gesagt, das ist nicht in Ordnung, dass wir fahren und wir lassen das Land hier."
Aber sie ermutigten sich nach der Entscheidung gegenseitig darin, dass sie die sportliche Weltbühne in der Ferne nutzen könnten.
"Wir können vielleicht für unseren Aufstand auch draußen etwas bewirken."
"Wie die uns empfangen haben, Ungarn war so populär und wurde so freundlich angenommen."
Benedek schlug vor, sowjetischen Sportlern den Handschlag zu verweigern
Noch auf dem Weg nach Melbourne, als sie in Prag mit anderen Sportlern des Warschauer Paktes einige Tage zusammen verbrachten, hielt Gábor Benedek eine folgenschwere Ansprache. Als Mannschafts-Olympiasieger und Silbermedaillengewinner von Helsinki 1952 hatten seine Worte Gewicht, als er vorschlug, bei Siegerehrungen sowjetischen Athleten nicht die Hand zu geben.
"Das haben die anderen Nationen auch getan. Wir wollten diese Riesen-Weltmacht demütigen und zeigen, was sie getan hat, im Namen der gefallenen jungen Leute in Ungarn."
Während die ungarischen Sportler in Melbourne um Medaillen kämpften, kämpften zu Hause die Aufständischen um ihr Leben.
Landwirtschaftsminister Nagy wurde verhaftet, später hingerichtet
Landwirtschaftsminister Imre Nagy war Ministerpräsident, als die sowjetischen Truppen einmarschierten. Er hatte zuvor das Ende des Ein-Parteien-Staates sowie den Austritt aus dem Warschauer Pakt erklärt und bei den Vereinten Nationen die Neutralität Ungarns gefordert, mit Moskau verhandelt. Kurz keimte Hoffnung auf, doch dann rollten Anfang November die sowjetischen Panzer in Ungarn ein. Und Nagy hielt im Rundfunk in mehreren Sprachen seine Rede zum Widerstand.
Am Tag der olympischen Eröffnungsfeier wurde Imre Nagy verhaftet, eineinhalb Jahre später hingerichtet.
Brutales Wasserball-Duell gegen den politischen Feind
In dieser aufgeheizten Atmosphäre kam es auf der anderen Hälfte der Erdkugel zum Wasserball-Duell Ungarn gegen die Sowjetunion. Unter Wasser ging es überaus brutal zu, Schläge, Tritte. Zwei Minuten vor Schluss stieg der Ungar Ervin Zádor nach einem Faustschlag seines Gegners ins Gesicht blutend aus dem Wasser. Das Spiel wurde daraufhin abgepfiffen. Die Polizei musste das aufgebrachte Publikum zurückhalten.
"Die so alle möglichen Flaschen zu den russischen Spielern geschmissen haben, die waren alle – nicht alle – geflüchtete Ungarn, sicherlich Einheimische auch, aber viele Ungarn waren auf der Tribüne."
Erzählt Gábor Benedek, der beim 4:0-Halbfinalsieg seiner Teamkollegen ebenfalls als Zuschauer in der Halle war.
Ungarn gewann damals Gold, die Sowjetunion "nur" Bronze. Für die Ungarn hatte dieser Sieg enorme symbolische Kraft: Das kleine, unterdrückte Land stand auf dem Podium über seinen Besatzern.
Viele Ungarn setzten sich ab, Benedek fuhr wieder nach Hause
Viele ungarische Sportler nutzten die Gelegenheit und setzten sich nach den Spielen ab, blieben entweder in Australien oder gingen in die Vereinigten Staaten.
Gábor Benedek fuhr wieder nach Hause zu seiner Frau und seinem Kind, die inzwischen nach einem Panzerdurchschuss in der Wohnung woanders untergekommen waren. Zunächst arbeitete er in einem Stahlwerk, wurde dann aber plötzlich gekündigt. Er galt nunmehr als politisch unzuverlässig.
Benedek wurde ausgegrenzt
Grund war seine Rede in Prag, wo er die Verweigerung des Handschlags vorgeschlagen hatte. Er wurde zudem vom ungarischen Sportverband lebenslang gesperrt und noch einmal bestraft, ausgegrenzt und diffamiert, als er doch an einem unbedeutenden Wettkampf teilgenommen hatte.
"Die Verfolgung nachher saß tief. Das war fürchterlich. Auch die besten Freunde haben nicht gewagt mit diesem 'Faschist' oder was weiß ich in Verbindung zu kommen. Ich wusste schon damals, dass ich ausradiert bin aus dieser Gesellschaft."
Heute hat Benedek den Gegnern von damals verziehen
Gábor Benedek zog 1969 nach Deutschland und wurde hier erster hauptamtlicher Trainer für Modernen Fünfkampf. Seit 1992 ist er in Rente. Die Verunglimpfungen von damals hat er verziehen, sich mit einigen seiner politischen Gegner von einst ausgesöhnt. Inzwischen fährt immer wieder gerne zurück in die Heimat und wünscht sich, dass sein Land in der Welt wieder so positiv wahrgenommen wird wie damals.