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Ungarn vor der Wahl
"Orbán gefällt sich in der Rolle des Provokateurs"

Regierungschef Viktor Orbán sei zwar international umstritten, habe aber starken politischen Rückhalt in Ungarn, sagte der CDU-Politiker Andreas Nick im Dlf. Orbán brauche immer ein Feindbild, gegen das er polarisiere. Im Wahlkampf habe er Ressentiments immer wieder geschickt adressiert.

Andreas Nick mit Christoph Heinemann |
    Der ungarische Premierminister Viktor Orban spricht nach dem gescheiterten Referendum zur Flüchtlingspolitik auf einer Pressekonferenz in Budapest, Ungarn.
    Der ungarische Premierminister Viktor Orban - "eine schillernde Persönlichkeit" und ein "populistisch begabter Nationalkonservativer", findet der CDU-Politiker Andreas Nick (AFP)
    Christoph Heinemann: Vor einer halben Stunde haben wir mit Andreas Nick, CDU, gesprochen. Er ist im Auswärtigen Ausschuss Berichterstatter der Unionsbundestagsfraktion für die Beziehungen zu Ungarn. Guten Tag, Herr Nick!
    Andreas Nick: Guten Tag!
    Heinemann: Warum ist Viktor Orbán so beliebt?
    Nick: Viktor Orbán ist zumindest mal eine schillernde Persönlichkeit, seine Beliebtheit ist jetzt nicht eindimensional. Er hat einen starken politischen Rückhalt in Ungarn, aber ist ja international durchaus auch eine umstrittene politische Persönlichkeit, die auch sehr stark polarisiert. Er hat aber mit seiner Fidesz-Partei in Ungarn wohl nach wie vor einen breiten gesellschaftlichen Rückhalt, wobei der Ausgang der Parlamentswahlen ja durchaus auch nicht ganz so sicher prognostizierbar ist, wie das vielleicht in Ihrer Fragestellung angenommen ist.
    Porträt des Bundestagsabgeordneten der CDU, Dr. Andreas Nick
    Andreas Nick, Bundestagsabgeordneter der CDU ist im Auswärtigen Ausschuss Berichterstatter der Unions-Bundestagsfraktion für die Beziehungen zu Ungarn (Bianca Richter)
    Heinemann: Warum diese Unterstützung nach wie vor in Ungarn für ihn?
    Nick: Man muss dort, glaube ich, sehen, dass es eine… Das hat sicherlich auch was mit der Schwäche der Opposition in Ungarn zu tun, es hat etwas mit einer durchaus erfolgreichen Wirtschaftspolitik zu tun. Ungarn hat einen Großteil der Wirtschafts- und Finanzkrise, die auch dieses Land ja sehr stark betroffen hat, aus eigener Kraft überwunden - das ist auch ein Stück Stolz hier in der ungarischen Gesellschaft -, aber es hat natürlich auch damit zu tun, dass gewisse Ressentiments auch immer wieder geschickt adressiert werden - mit der Furcht vor Migration, mit der Furcht vor ausländischer Einflussnahme. Und das erleben wir ja auch gegenwärtig wieder in dieser Wahlkampagne.
    Auf George Soros zugeschnittene Kampagne
    Heinemann: Wieso, Stichwort, führt Orbán einen antisemitisch gefärbten Wahlkampf?
    Nick: Ich würde mir jetzt die Formulierung antisemitisch nicht vorrangig zu eigen machen wollen …
    Heinemann: Das sagt aber der UN-Menschenrechtsausschuss.
    Nick: Es gibt in der Tat einige Aspekte, und zwar diese sehr auf die Person von George Soros zugeschnittene Kampagne auch mit bestimmten Plakatmotiven, die zumindest mal auch aus einer deutschen Sicht etwas mehr als Stirnrunzeln verursachen, sondern unangenehme Erinnerungen wachrufen. Das haben wir auch immer wieder sehr nachdrücklich kritisiert.
    Ich habe den Eindruck, dass Herr Orbán immer ein Feindbild braucht, gegen das er polarisiert, vor dem er dann angeblich auch die ungarische Gesellschaft schützt in seiner Darstellung, und möglicherweise auch in Ermangelung politischer Gegner im eigenen Land muss dann jemand wie Herr Soros dafür herhalten.
    "Ein populistisch begabter Nationalkonservativer"
    Heinemann: Sie sprachen vom Feindbild - halten Sie Viktor Orbán für einen Populisten?
    Nick: Er ist jedenfalls sicherlich jemand, der populistische Züge in erheblichem Maße trägt. Seine persönliche politische Entwicklung ist ja auch recht schillernd, wenn man die Anfänge bedenkt, in denen er ja noch in der Wende in Ungarn 88/89 eine ganz wichtige Rolle als junger Studentenführer gespielt hat, aber er ist zumindest mal ein populistisch begabter Nationalkonservativer, um das freundlich zu charakterisieren.
    Heinemann: Wenn man sich diesen Werdegang anschaut, den Sie gerade erwähnt haben, er hatte ja immerhin den Mut, die Abschaffung der kommunistischen Diktatur zu fordern, als das noch durchaus gefährlich war. Wie erklären Sie sich seinen weiteren Werdegang?
    Nick: Ich glaube, das ist eine sehr komplexe Frage. Er ist ja nach seiner ersten Ministerpräsidentschaft auch mal abgewählt worden. Ich hab schon den Eindruck, dass auch bei vielen seiner Weggefährten, die aus dieser sehr aktiven antikommunistischen Bewegung kamen, eine Wahrnehmung der Welt sich herausgebildet hat, wo man sich überwiegend von Feinden umgeben fühlt. Die ganze Frage ausländischer Einflussnahme - er hat ja auch sehr stark mit antikapitalistischen Ressentiments gerade auch gegen amerikanische und andere ausländische Investoren gearbeitet.
    Und das adressiert glaube ich, auch ein bisschen ein Grundgefühl, was auch aus historischen Erfahrungen in der ungarischen Gesellschaft vorhanden ist. Insofern macht er sich da bestimmte Stimmungslagen einfach auch sehr geschickt zunutze und hat es geschafft und verstanden, dort ein System zu etablieren, das offensichtlich relativ robust an dieser Stelle ist.
    Hoffen auf Entspannung in der ungarischen Gesellschaft
    Heinemann: Herr Nick, wo liegen für Sie die Grenzen von Orbáns sogenannter illiberaler Demokratie?
    Nick: Der Begriff ist natürlich für uns ein absolutes Reizwort, da kann man sich auch irgendwann nicht mehr hinter angeblichen Übersetzungsproblemen verschanzen. Ich glaube, wir müssen differenzieren: Da, wo es um unterschiedliche Auffassungen in einzelnen Politikfeldern geht - das betrifft sicherlich auch ein weites Stück den Bereich der Flüchtlings- und Migrationspolitik -, müssen sie auch innerhalb der Europäischen Union gewisse Spannungsfelder aushalten.
    Wo es nicht mehr akzeptabel ist, ist dann, wenn die innere Verfasstheit einer Gesellschaft beginnt, sich von demokratischen Strukturen abzuwenden. Ich bin ja auch Delegationsleiter in der parlamentarischen Versammlung des Europarates, wir haben jetzt auch die Venedig-Kommission beauftragt, den neuen Entwurf des NGO-Gesetzes innerkritisch zu beleuchten. Bisher hat Ungarn sich immer sehr bemüht, am Ende den Anforderungen auch der Venedig-Kommission, die auch für die EU ein wichtiger Maßstab ist, gerecht zu werden.
    Ich hoffe persönlich, dass es nach der Wahl unter Ende der Polarisierung auch zu einer Entspannung in der ungarischen Gesellschaft kommt. Ob das da eintreten wird, ist alles andere als gewiss, aber wir werden diese Fragen, soweit es dann um Regelverstöße gegen Regeln der Europäischen Union und des Europarats geht, auch sehr kritisch in den Blick nehmen müssen.
    "Ungarn profitiert von der wirtschaftlichen Integration"
    Heinemann: Glauben Sie, dass Orbán diesen Begriff illiberal bewusst wählt, um Brüssel auf die Palme zu bringen?
    Nick: Der Ursprung ist, glaube ich mal, dass es doch sehr stark - das wird jedenfalls immer von ungarischen Gesprächspartnern so dargestellt - um eine antikapitalistische Betrachtungsweise ging. Ob das wirklich so gemeint war, wage ich dabei noch ein bisschen infrage zu stellen. Er gefällt sich natürlich ein Stück weit in der Rolle des Provokateurs, auch im Zusammenspiel mit den anderen Visegrád-Staaten. Die meines Erachtens für Ungarn auch in Zukunft schwierige Frage oder entscheidende Frage wird sein, ob man an diesem selektiven Mitwirken in Europa festhält.
    Ich glaube mal, Ungarn profitiert in ungeheurer Weise von der wirtschaftlichen Integration. Ungarn möchte auch im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik intensiver mitarbeiten, aber es wird Grenzen dessen gaben, wenn es in anderen Bereichen von Rechten der Zivilgesellschaft, von demokratischen Strukturen, von Pluralismus und Meinungsfreiheit Entwicklungen gibt, die mit europäischen Vorstellungen nicht mehr zu vereinbaren sind.
    Heinemann: Der CDU-Außenpolitiker Andreas Nick, das Gespräch haben wir gegen zehn vor zwölf aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.