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Ungarns Flüchtlingspolitik
"Die Grenzen können mit Blumen und Plüschtierchen nicht geschützt werden"

Ungarn hat seine Flüchtlingspolitik verteidigt. Der Stacheldrahtzaun an den Landesgrenzen sei "leider" notwendig, um die EU-Außengrenzen zu schützen, sagte der Botschafter in Berlin, Peter Györkös, im DLF. Der Plan der Visegrad-Staaten, die sogenannte Balkanroute stärker abzuriegeln, sei nur "Option B".

Peter Györkös im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Migranten drängen sich durch einen Stachdeldrahtzaun.
    Migranten überwinden den Grenzzaun zwischen Serbien und Ungarn bei Röszke - hier ein Bild vom August 2015. (picture-alliance / dpa / Sandor Ujvari)
    "Option A" sei die Sicherung der Außengrenzen der Europäischen Union an der Ägäis, betonte Györkös im Deutschlandfunk, darin seien sich "alle einig". Allerdings gehe es in einigen Staaten "nicht ohne Druck". So sei es wichtig, dass Griechenland seine Pflichten als EU-Mitgliedsstaat wahrnehme.
    Ungarns Botschafter in Deutschland verteidigte sein Land gegen Kritik, es verhalte sich unsolidarisch. Der Bau des Stacheldrahtzauns an der Grenze sei notwendig gewesen, da die Außengrenzen der EU "nicht mit Blumen und Plüschtierchen geschützt werden" könnten. Außerdem zeige Ungarn "in vielen Aspekten" Solidarität. So beteilige man sich finanziell an "allen humanitären Hilfen" und habe in der Vergangenheit Soldaten zu internationalen Einsätzen entsandt. Zudem habe man Menschen aus anderen Ländern aufgenommen, beispielsweise "Zehntausende Wirtschaftsflüchtlinge aus der Ukraine".
    Wenn es um die Frage der Verteilung von Muslimen gehe, "dann haben die Ungarn gewisse Ängste - und nach Köln konkrete", sagte Györkös.
    Der ungarische Botschafter Dr. Péter Györkös und Chefredakteurin Birgit Wentzien (15.2.2016)
    Der ungarische Botschafter Dr. Péter Györkös im Gespräch mit Chefredakteurin Birgit Wentzien (15.2.2016) (Deutschlandradio / Ellen Wilke)

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Verschiebt sich da gerade etwas in der Europäischen Union? Entsteht eine neue Grenze quer durch die EU? Man könnte auf so eine Idee kommen, wenn man sich ansieht, was da gestern in Prag passiert ist. Die Gruppe der sogenannten Visegrád-Staaten hat sich getroffen, das heißt Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei, und sie haben beschlossen: Wenn Griechenland die EU-Außengrenze nicht überwachen kann, dann schaffen wir eine neue EU-Außengrenze, und zwar in Mazedonien und in Bulgarien. - Am Telefon ist jetzt der Botschafter von Ungarn in Deutschland, Peter Györkös. Schönen guten Morgen, Herr Botschafter.
    Peter Györkös: Schönen guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Botschafter, ist das die neue europäische Solidarität, in so einer losen Gruppe einfach mal eben die EU-Außengrenzen neu definieren?
    Györkös: Wie Sie das auch in Ihrer Einführung gesagt haben: Es ist Option B. Was Option A anbelangt, da sind meiner Auffassung nach alle momentan einig, und das ist das größte Ergebnis der Konsultationen der letzten Tage. Das verspricht für mich etwas Positives vor dem Gipfel am Donnerstag.
    Armbrüster: Und Option A ist die Sicherung der Außengrenze in der Ägäis?
    Györkös: Ganz genau.
    Armbrüster: Nun sollen dort die Hotspots entstehen. Die entstehen schon, einige sind bereits fertig, Ende Februar soll das komplette System stehen. Warum müssen Sie denn jetzt vorpreschen mit Ihrer Option B?
    "60 Prozent sind einfach nicht berechtigte Asylsuchende"
    Györkös: Hotspots wurden im April entschieden und davon bisher nichts umgesetzt. Das heißt, ohne Druck geht es leider in einigen Mitgliedsstaaten nicht. Andererseits ist Hotspot nur ein Element eines Konzepts. Was viel wichtiger ist, dass diejenigen, die nicht echte Flüchtlinge sind, überhaupt nicht den Weg riskieren. Insofern besteht Option A aus zwei Teilen: Einerseits Zusammenarbeit mit der Türkei, andererseits - und für uns ist das das Wichtigste -, dass Griechenland ihre Pflicht wahrnimmt als Mitgliedsstaat und, wenn notwendig, mit der Hilfe von anderen Mitgliedsstaaten. Das kommt auf den ersten Platz. Dieser Plan A ist für uns und war für uns und bleibt für uns sicherlich Option A, Option eins.
    Armbrüster: Aber wenn Sie die Flüchtlinge tatsächlich so stark zurückhalten wollen, wie Sie das vorschlagen, müssen wir uns dann wieder an mehr Stacheldraht in Europa gewöhnen?
    Györkös: Ich muss Ihnen sagen, leider schon. Die Außengrenzen der Union - das haben die letzten Monate bewiesen - können mit Blumen und Plüschbärchen nicht geschützt werden. Dafür gibt es enorm viele Beweise. Übrigens der ungarische Zaun war der fünfte in der europäischen Integrationsgeschichte.
    Armbrüster: Aber einer der einschneidendsten, weil er in Zeiten einer echten Krise kam, wo Zehntausende, Hunderttausende von Menschen sich auf die Flucht gemacht haben.
    Györkös: Ja, von denen mehr als 60 Prozent nicht aus Syrien kommen. Und der erste Vizepräsident der Kommission sagt auch, mehr als 60 Prozent sind einfach nicht berechtigte Asylsuchende. Und nehmen Sie ein anderes Beispiel, dass man nicht nur immer über Deutschland redet: Schweden hat mehr als 150.000 aufgenommen. Von denen will jetzt Schweden mehr als 80.000 abschieben. Das heißt, da ist etwas äußerst schiefgelaufen.
    Armbrüster: Das heißt aber, Schweden nimmt immer noch 70.000 auf. Bei Ihnen in Ungarn sollen es ja deutlich weniger sein, eigentlich, wenn man mal ehrlich ist, fast überhaupt niemand.
    Der ungarische Botschafter Dr. Péter Györkös im Hintergrundgespräch am 15.2.2016.
    Der ungarische Botschafter Dr. Péter Györkös im Hintergrundgespräch am 15.2.2016. (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    "Zwangsverteilung ist ein total falscher und nicht umsetzbarer Kurs"
    Györkös: Schauen Sie mal: Wir haben enorm viele Flüchtlinge aufgenommen, zum Beispiel in der Periode der Balkan-Kriege. Wir nehmen Zehntausende von Wirtschaftsflüchtlingen aus der Ukraine auf. Was wahr ist, dass dieses Konzept von Zwangsverteilung, das von der Kommission im September auf den Tisch gelegt wurde, da haben wir immer dagegen gehalten. Dafür gibt es Gründe und Erklärungen. Erstens: Die Kommission hat diesen Vorschlag auf den Tisch gelegt, wohl wissend, dass die Chefs, die 28 Regierungschefs, es vereinbart haben, die Zahlen werden freiwillig bestimmt. Punkt zwei: Diese 160.000 steht nur auf dem Papier. Von denen wurden bisher nur 400 verteilt. Das heißt, es ist ein total falscher und nicht umsetzbarer Kurs. Punkt drei - und das ist für mich das Wichtigste: Diese Menschen wollen nicht verteilt werden. Sie haben ein bestimmtes Ziel. Sie wissen nicht nur, in welchem Mitgliedsstaat, sondern in welche Stadt sie wollen, und momentan haben wir noch nicht die Mittel, weder in Europa, noch in Deutschland, das kontrolliert zu schaffen.
    Armbrüster: Na ja, das lässt sich ja sicher machen. Aber viele Leute fragen sich ja, warum ist es in einer Europäischen Union mit 500 Millionen Einwohnern nicht möglich, eine gewisse Zahl von Flüchtlingen aufzunehmen und auf die Mitgliedsländer zu verteilen. Es müssen ja nicht 160.000 sein, es können durchaus auch mehr sein. Manche Leute sprechen von zwei Millionen. Sollte bei 500 Millionen Einwohnern doch eigentlich kein Problem sein. Warum hat Ungarn so ein Problem damit?
    Györkös: Warum haben mehr als 20 Mitgliedsstaaten Probleme damit? Ich bin bereit, auf Ihre Frage Antwort zu geben. Nur ich frage mich vor dieser Antwort, wieso immer Ungarn, immer Visegrád, immer die Osteuropäer.
    Armbrüster: Herr Györkös, ich frage gerne auch den französischen Botschafter oder den spanischen, aber ich bin nun mal gerade mit Ihnen zum Interview verabredet. Deshalb interessiert mich die ungarische Haltung.
    Györkös: Okay, gut. Was Sie sagen: Die Ungarn sind solidarisch in vielen Aspekten. Wir schicken unsere Soldaten in Afghanistan, in den Irak, in Mali, um dort Fluchtursachen zu bekämpfen. Wir beteiligen uns an allen Maßnahmen in Slowenien, in Mazedonien. Wir sind bereit, das in Griechenland zu tun. Wir beteiligen uns an allen finanziellen Hilfen. Wir haben viel humanitäre Hilfe angeboten bei der Londoner Syrien-Konferenz und so weiter und so fort. Wenn es zu der Frage der Verteilung von Muslimen - und lassen Sie mich ganz direkt sagen: Ich weiß, dass das ein bisschen grob hier in Deutschland angehört wird -, dann haben die Ungarn gewisse Ängste, und nach Köln, nach den Ereignissen in Köln ganz konkrete Ängste. Das heißt, wir sind bereit, allen Menschen in Not zu helfen, aber was dieses Konzept von Zwangsverteilung in der Kommission anbelangt, da halten wir gegen. Das ist ganz klar.
    Armbrüster: Ist eine generelle Angst vor einer religiösen Gruppe, ist das eine gute Grundlage für Politik?
    Györkös: Ich weiß nicht, wie Sie Grundlagen für Politik bestimmen. Das ist eigentlich in den Händen der Wähler.
    Armbrüster: Na ja. Wenn Sie sagen, wir in Ungarn haben Angst vor Muslimen und wollen deshalb keine muslimischen Flüchtlinge aufnehmen, dann würde ich sagen, ist diese Angst Grundlage für Politik.
    "Es gibt kein erfolgreiches Integrationsmodell"
    Györkös: Dann sicherlich muss die Politik - ich gehe davon aus übrigens überall - die Besorgnisse der Bürger zur Kenntnis nehmen. Es steht nicht in dem EU-Vertrag, dass die EU-Bürger keine Besorgnisse, keine Ängste haben dürfen. Und das muss man ernst nehmen. Die Frage ist, wie man mit dieser Situation umgeht, und da das Problem war eigentlich nicht die Herkunft dieser Menschen, die Art und Weise, wie wir zu dieser Situation gekommen sind, dass einerseits täglich Zehntausende massenweise durch die grüne Grenze ganz aggressiv, ganz strukturiert, ganz organisiert gekommen sind, andererseits, was wir in einigen Mitgliedsstaaten mit Migrations- und Flüchtlingshintergrund sehen, es gibt kein erfolgreiches Integrationsmodell. Und nach den Ereignissen in Köln sehen wir, dass hier auch große Sicherheitsrisiken auftauchen.
    Armbrüster: Nun würden Ihnen viele Bürgermeister in Deutschland sicher sagen, bei uns funktioniert Integration, wir sind gute Beispiele dafür, dass es möglich ist, Menschen auch mit muslimischem Hintergrund zu integrieren. In Deutschland gibt es Millionen von Arbeitnehmern, die Steuern zahlen, mit muslimischem Hintergrund, die sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Hilft das wirklich weiter, wenn man immer wieder blickt auf ein paar Verrückte, die zu einer Silvesternacht auf der Domplatte Verbrechen begangen haben?
    Györkös: Herr Armbrüster, ich bin unterwegs in Deutschland. Ich rede auch mit vielen Bürgermeistern. Und es gibt viele positive Beispiele und meinen Hut ziehe ich vor dieser Leistung, nicht nur der Bürgermeister, sondern der deutschen Bürger. Aber ich höre auch ganz andere Töne. Ich sehe auch ganz andere Ereignisse, ganz andere Bilder. Ich höre auch ganz andere Geschichten. Aber das ist eine Angelegenheit für die deutschen Wähler, für die deutschen Bürger, für die deutschen Bürgermeister und die Bundesregierung. Ich möchte mich nicht einmischen. Meine Aufgabe ist - und ich bedanke mich für Ihre Frage -, zu versuchen zu erklären, wie wir in Ungarn ticken.
    Armbrüster: Ihr Land steht nun im Fokus, weil Sie als erstes in der Flüchtlingskrise im vergangenen September die Grenze auf der Balkan-Route dichtgemacht haben. War das die Blaupause auch für die Türkei, die jetzt auch niemanden mehr reinlassen will?
    "Der Haupteingang muss geschlossen werden"
    Györkös: Ungarn war das erste Land, das die Außengrenze geschützt hat. Diejenigen Mitgliedsstaaten, die uns folgen, dem bösen ungarischen Beispiel folgen, Schweden, Dänemark, Österreich, die folgen nicht unserem Beispiel. Die riegeln die Binnengrenze ab, und das war absolut nicht unsere Absicht. Unsere Absicht ist, um unser Lebens- und Wirtschaftsmodell innerhalb des Binnenmarktes zu schützen. Deswegen muss die Außengrenze unter Kontrolle gestellt werden.
    Armbrüster: Aber das Signal dieser Grenze ist ja: Flüchtlinge, ihr bleibt draußen.
    Györkös: Nein, das galt nicht für die Flüchtlinge; für diese Menschenmenge. Weil ich möchte immer zu diesem Begriff zurückkommen. Mehr als 60 Prozent sind überhaupt nicht Flüchtlinge. Aber was die Türkei anbelangt: Sicherlich muss die Türkei dabei eine äußerst wichtige Rolle spielen. Aber was wir sagen: Wenn der Haupteingang zur Europäischen Union offen ist - und in Griechenland ist noch dieser Haupteingang offen -, muss erst intern mit den Anstrengungen der 28 Mitgliedsstaaten alles getan werden, um diesen Haupteingang von innen zu schließen, und dann die Türkei um Beistand und Hilfe zu bitten. Damit, dass wir die Türkei an erster Stelle angesprochen haben, entstand eine Situation, wo die Türkei vielleicht ein bisschen mehr von uns fordern kann, wie sie das vielleicht früher getan hat. Aber wir sind, wo wir sind. Ich war noch nie so optimistisch, dass wir an dem wichtigsten Punkt in dieser Woche auf der Ebene der Chefs zu einer Vereinbarung kommen, dass der Haupteingang geschlossen werden muss.
    Armbrüster: ... sagt live hier bei uns im Deutschlandfunk Peter Györkös, der ungarische Botschafter in Deutschland. Vielen Dank, Herr Botschafter, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Györkös: Ich bedanke mich, alles Gute. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.