Tausende Exemplare der ungarischen Wochenzeitung "Magyar Hang" laufen über die Förderbänder. Die Druckerei ist in Bratislava, der slowakischen Hauptstadt. In Ungarn wollte keiner das Blatt drucken, erzählt Blattchef Csaba Lukács. Jetzt droht neues Ungemach. "Wir waren sehr erschrocken, als wir hörten, dass die ungarische Post ab Sommer keine Tageszeitungen mehr zustellt. Erst einmal betrifft uns das nicht, wir sind eine Wochenzeitung. Aber was wird der nächste Schritt sein? Es kann gut sein, dass die Post dann ankündigt, dass sie auch die Wochenzeitungen nicht mehr vertreibt. Dann haben wir ein Problem. Wir haben noch keine Alternative."
Alleine 5000 Abonnenten hat das Budapester Blatt, das in der Provinz eine Marktlücke sucht - bei Themen wie Lesern. Weitere knapp 7000 Exemplare werden am Kiosk verkauft. Jetzt werden in der Redaktion B, C und D-Pläne gewälzt, sagt Lukács. "Es gibt die Idee, die Zeitung per Brief zu verschicken, das würde drei-, viermal soviel kosten wie jetzt. Aber zur Not geht das, dass wir jeden Donnerstag 5000 Briefumschläge aufgeben. Wenn die Post wirklich auch den Vertrieb der Wochenzeitungen einstellt, dann können wir die Zeitung noch am Kiosk oder im Supermarkt verkaufen. Als kleiner Verlag können wir keinen eigenen landesweiten Vertrieb aufbauen. Vielleicht wird das die Lösung, dass alle unabhängigen Zeitungen sich dafür zusammen tun - aber dafür haben wir weder Geld noch Logistik."
Die Fidesz-Medienholding könnte einspringen
Der Zeitungsvertrieb ist ein Verlustgeschäft, so begründet die ungarische Post den Rückzug aus der Zustellung. Miklós Hargitai ist Redakteur bei der letzten regierungskritischen Tageszeitung "Népszava" und Vorsitzender des ungarischen Journalistenverbandes MUOSZ. "Das ist ein Verlustgeschäft, egal ob es die Post oder ein anderer macht, sagt er. Auch wenn es sehr wenige Zeitungen gibt, muss man trotzdem ein Vertriebsnetz vorhalten. Die Zusteller bekommen einen Teil des Verkaufspreises. Es ist nicht egal, ob man in einem Bezirk 1000 Zeitungen verteilt oder zehn. Die Verlage können aber nicht aufhören, ihren Abonnenten Zeitungen zu liefern."
Seine Zeitung hat ihren 17.000 Lesern versprochen, dass sie das Blatt auch weiter bekommen. Die Vertriebslücke könnte künftig die Fidesz-Medienholding Mediaworks füllen. Dem Unternehmen gehören die ungarischen Regionalblätter, deshalb hat Mediaworks einen eigenen Vertrieb. Das Unternehmen macht zwar auch Verlust, wird aber von der Regierung üppig mit Anzeigen ausgestattet. Es gehörte einst einem Freund des Ministerpräsidenten und ist Teil einer Stiftung mit fast 500 regierungsnahen Medien.
"Kritische Stimmen systematisch fertiggemacht"
Der Pécser Medienrechtler Gábor Polyák hält den Ausstieg des Staatsunternehmens Post für einen Schachzug der Regierung Orbán: "Der Ausstieg der Post aus dem Zeitungsvertrieb fügt sich sehr gut in das Arsenal der sehr klugen Medienpolitik der Regierungspartei Fidesz. Die konzentriert sich nicht nur auf die Anbieter von Inhalten - Radio, TV-Sender, Zeitungen, Online-Portale - sondern auch auf das Umfeld - vom Content über den Vertrieb bis hin zum Werbemarkt. Wer auf dem Zeitungsmarkt noch eine Rolle spielt, werde Mediaworks ausgeliefert, glaubt der Gründer des Medien-Watchdogs Mérték."
Orbán wolle vor allem die Parlamentswahl im nächsten Jahr gewinnen, glauben alle drei. Für die unabhängigen Zeitungen, die ohnehin kaum Anzeigenerlöse haben, könnte der Vertrieb künftig auch noch teurer werden, und sie wären abhängig von einem Regierungsunternehmen, befürchten sie. Der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund sieht eine klare Strategie dahinter. "Die Fidesz-Regierung will die absolute Kontrolle darüber, was die Bürger lesen, hören und sehen. Kritische Stimmen werden systematisch fertiggemacht." Dabei behauptet die Regierung regelmäßig, keinen Einfluss auf das Mediensystem zu nehmen.
Journalist: Ausstieg ist auch Drohung
Népszava-Journalist Hargitai interpretiert den Ausstieg der ungarischen Post aus dem Zeitungsvertrieb auch als Drohung: "Als die Post in einer Pressemitteilung ankündigte, sich aus dem Vertrieb zurückzuziehen, hieß es in einem Nebensatz, auch die Wochenzeitungen könnten noch an die Reihe kommen. Es gibt einen großen Verlag, der auch ein Online-Portal betreibt, 24.hu, und eine auflagenstarke Wochenzeitung. Es ist eine mögliche Lesart, dass sie auf den Verlag dort Druck machen wollen."
Diesem Verlag, der Central-Mediengruppe, gehört unter anderem die Frauenzeitschrift "Nök Lapja" - mit rund 170.000 Auflage ein Schwergewicht auf dem ungarischen Medienmarkt. Orbans Oligarchen sollen interessiert am Verlag sein.