Auf dem Online-Portal 24.hu ist immer noch das Handy-Video zu sehen: Index-Chefredakteur Szabolcs Dull berichtet, mit den Tränen kämpfend, wie ihm Schweigegeld angeboten und er gefeuert wurde. Die Redaktion – fast 100 Redakteure – trat geschlossen zurück, etwas Neues soll kommen, haben sie auf Facebook angekündigt. Was? Keiner weiß es. Mit bis zwei Millionen Nutzern war Index das reichweitenstärkste Online-Medium Ungarns und Regierungschef Viktor Orbán ein Dorn im Auge.
Einer Fake-News-Fabrik gebe er keine Interviews, sagte der Premier dem Index-Reporter. Das ist normal in Ungarn und eines der Probleme, mit denen unabhängige Medien zu kämpfen haben, berichtet Gergely Márton vom Wochenmagazin HVG.
"Wir haben große Probleme, Interviews zu kriegen, wir haben große Probleme, Antworten auf unsere Fragen zu bekommen. Das gehört zur asymmetrischen Kriegsführung. Wir wissen, dass wir beide Seiten einer Geschichte zeigen sollen. Wir versuchen, das auch zu liefern. Sie geben uns keine Antwort. Bringen wir die Geschichte trotzdem, wird gesagt, dass wir sie nicht gefragt haben."
700 Euro netto im Monat
Informanten und Gesprächspartner würden auch immer vorsichtiger, zumal während der Corona-Pandemie der Fake-News-Paragraph verschärft wurde, erzählt Csaba Lukács, Blatt-Chef der Wochenzeitung "Magyar Hang", gegründet von ehemaligen Redakteuren einer konservativen Tageszeitung, die 2017 auf Regierungslinie gebracht worden war. Magyar Hang liefert viele Reportagen aus der Provinz, gedruckt werden die 20.000 Exemplare in Bratislava. Das Blatt halten vor allem die Leser am Leben.
"Den Anzeigenmarkt kontrolliert zu mindestens 60 Prozent der Staat. Und die Wirtschaftstreibenden überlegen es sich hundertmal, ob sie Anzeigen in unabhängigen Medien schalten, weil sie Angst haben, dass die Regierung sie dafür bestraft. Ich habe z.B. mit einem deutschen Autobauer verhandelt. Der sagte: Seine Produkte passten perfekt zu unseren Lesern. Aber da die Regierung den Neubau einer neuen Fabrik fördert, wolle man nichts riskieren. Also man sieht bei den Wirtschaftsleuten eine Art Selbstzensur oder einen klaren Geschäftssinn."
Mit diesen Problemen kämpfen alle unabhängigen Medien in Ungarn. Lukács vergleicht deshalb die Arbeitsbedingungen der Redakteure mit der Holzklasse im Billigflieger. Seine 30 Redakteure verdienen gerade mal 700 Euro netto.
Von "Index" bleibt nur noch eine Hülle
Mit dem Rücktritt der Redaktion des reichweitenstarken Index-Portals verlieren sie auch einen Verstärker für ihre eigenen Recherchen, sagt der Magyar-Hang-Gründer. "Index war gut dafür, einer Million Menschen die Ergebnisse der Recherchen von kleinen Investigativ-Einheiten zu zeigen." Etwa von "Direkt 36" und "Átlátszó", die unter anderem seit Jahren die Geschäfte von Orbán-Günstlingen und seiner Familie untersuchen.
Index gibt es zwar noch, die Redaktion erfüllt noch bis Ende August ihre Verträge. Danach gibt es nur noch eine Index-Hülle. Ähnlich, wie es mit der konservativen Zeitung Magyar Nemzet 2017 geschah.
Der Name ist der gleich, der Inhalt nicht
Nach Index gibt es noch einige unabhängige Medien in Ungarn, aber ihr Radius schrumpft. Kein Wunder, meint Zsolt Kerner, Redakteur des Online-Portals 24.hu. Die Regierung teile in Freund und Feind ein.
"Ganz einfach: Sie begreifen nicht, dass jemand einfach nur seinen Job als Journalist machen will und unter keinem politischen Einfluss steht. Deshalb glauben sie, dass der Kampf gegen unabhängige Medien so legitim ist wie der gegen politische Parteien."
Das ist schlecht für die Pressefreiheit in Ungarn: Die Medienvielfalt nimmt ab, die Pressefreiheit auch. Im Index von Reporter ohne Grenzen sackte Ungarn in den letzten zehn Jahren von Platz 23 auf 89.