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Ungeliebte Konkurrenz

Sie wollen keine Lehrer werden, gehen aber trotzdem für zwei Jahre in Schulen, meist in Problemvierteln. Die gemeinnützige Bildungsinitiative "Teach First" bringt junge Spitzenakademiker in Klassenzimmer.

Von Marianne Allweiss |
    Stefan Döring steht vor der Winkelried-Realschule im Berliner Stadtteil Wedding. Sofort wird der 28-Jährige aus Stuttgart von einer Gruppe Jungs mit Base-Caps, Kapuzenpullis und Turnschuhen umringt.

    "Herr Döring!"

    "Tarek, seid Ihr jetzt eigentlich fertig mit der Schule?"

    "Wir sind rausgeschmissen worden. Herr Döring, es ist ja so, dass wir nur noch diese Woche absitzen müssen."

    "Jungs, dann macht doch noch eine Sache, und zieht die letzten Tage noch halbwegs anständig durch."

    In zwei Wochen beginnen die Sommerferien. Die ersten für Döring als Lehrkraft. Auf Lehramt hat er nämlich nicht studiert, sondern seinen Magister in Politik und VWL gemacht. Doch durch das Nebenfach Pädagogik und einen Nebenjob als Schwimmtrainer hat er seine Leidenschaft für die Jugendarbeit entdeckt. Seit fast einem Jahr arbeitet er nun an der Realschule als einer von 27 Fellows im ersten Jahrgang der Initiative Teach First.

    "Ich bin jeweils zur Hälfte einmal vormittags im unterrichtlichen Bereich eingesetzt. Das heißt, ich bin immer zusammen mit einem zweiten Lehrer, unterrichte hier Geschichte und Sozialkunde mehrheitlich. Und der zweite Teil meiner Tätigkeit sind Projekte, AGs, Sportangebote am Nachmittag, was beispielsweise in Filmprojekten endet oder Coaching-Gruppen, um das Projekt "Abi 2014" zu forcieren. Das heißt, jetzige Neuntklässler wollen ihre Gymnasialempfehlung. Da sind Schüler selber auf mich zugekommen."

    Rund 300 Schüler gehen auf die Winkelried-Schule. Laut Schulleitung haben mehr als 90 Prozent einen Migrationshintergrund. AGs oder andere freiwillige Angebote am Nachmittag gab es hier vorher nicht. Dazu hatten die Lehrer keine Zeit. Für seinen Vollzeitjob bekommt Döring 1700 Euro brutto im Monat, sein Gehalt zahlt das Land Berlin – aus Mitteln der Personalkostenbudgetierung, die Schulen sonst ausgeben können für Vertretungslehrer oder Honorarkräfte wie etwa Theaterpädagogen. Das missfiel einigen Personalräten. In vier Schulen ließen die Lehrervertreter die jungen Hochschulabsolventen gar nicht erst rein. Die fürchten die Konkurrenz von außen, sagt die Vorsitzende der Berliner Bildungsgewerkschaft, Rose-Marie Seggelke.

    "In der Realität sieht das so aus, dass diese Fellows Unterricht erteilen und zwar auch eigenständigen Unterricht, ohne dass da jemand in der Klasse steht und da sagen wir, das geht nicht. Die werden gerade auch an sozialen Brennpunkten eingesetzt und da braucht man schon pädagogische Ausbildung, um da den Schülern Lernstoffe zu vermitteln. Das andere finden wir gut. Wir finden es immer gut, dass Leute von außen an die Schulen kommen, aber dass man dafür die Mittel der Senatsbildungsverwaltung verwendet, das finden wir nicht gut."

    Auch Stefan Döring ist schon als Vertretungslehrer eingesprungen. Ein paar Mal im letzten Halbjahr. Caspar von Schoeler, Berliner Regionalmanager von "Teach First" hält es für normal, dass seine Fellows wie andere Mitglieder des Kollegiums auch für kranke Kollegen einspringen.

    "Ich glaube, die Fragen, die jetzt im Raum stehen, das sind prozessuale Fragen. Die Frage, wie werden die Fellows eingegliedert, nicht ob der Einsatz der Fellows an den Schulen sinnvoll ist. Ganz im Gegenteil, wir haben von einigen Personalräten gehört, dass sie ganz explizit das Engagement der Fellows an den Schulen gut finden und loben."

    Derzeit läuft ein Verfahren vor der Einigungsstelle für den Berliner Öffentlichen Dienst. Eine Entscheidung soll es nach der Sommerpause geben, doch der Vorsitzende Richter hat beiden Seiten bereits Hausaufgaben mitgegeben. Die Personalräte dürfen "Teach First" nicht blockieren. Ob die Schulen ihre Gelder für Fellows ausgeben wollen, die nicht voll einsetzbar sind, wie Vertretungslehrer, können sie selbst entscheiden. Dafür müssen der Senat und "Teach First" dafür sorgen, dass die Ergänzungslehrer tatsächlich keinen Vertretungsunterricht geben oder regulär Stunden halten. In Berlin kann es also einen zweiten Jahrgang geben. Das wollen die beteiligten Schulen aber auch der Senat, betont von Schoeler von "Teach First". Allerdings wird es wohl nur noch deutlich weniger Fellows geben.

    Für sein zweites Schuljahr hat Stefan Döring große Erwartungen. In seinen Unterrichtsstunden haben viele Jugendliche ihre Noten schon verbessert. Aber wirklich etwas erreicht hätte er, wenn seine zehn Schüler in der AG "Abitur 2014" nächstes Jahr eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen.

    "Ganz tolle Wirksamkeit entfalten, darum geht’s jetzt im zweiten Jahr. Im ersten Jahr hat man schon viel gemacht, aber man hat vor allem den Nährboden gesetzt und im zweiten Jahr ist dann Durchstarten angesagt."