Probe in der Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis. Rapper Samy Deluxe - schwarze knielange Pluderhose, Wollmütze, schwarz gerandete Brille – diskutiert mit Countertenor Valer Sabadus und Produzentin Danya Segal Einsätze für den Wechsel zwischen Barockmusik und Rap. Dass sich die Spezialistin für Alte Musik gerade fürs Rappen entschieden hat, um Leibniz' in die Gegenwart zu übersetzen, kommt nicht von ungefähr.
"Ich habe überlegt, was finde ich für ein Thema und das waren tatsächlich seine Briefe. Weil, es sind auf jeden Fall 15.000 Briefe von ihm archiviert. Und da habe ich überlegt: Es schreibt leider kein Mensch mehr Briefe – natürlich schreiben viele Leute Mails – aber wie teilen die Leute sich in 2016 wirklich mit? Und da muss man einfach sagen, dass diese ganze Hiphop-Rap-Szene und Poetry-Slams, das, habe ich einfach überlegt, das könnte das so sein."
Rappen über die Vernunft
Ihre Wahl fiel auf Samy Deluxe, auch bekannt als Herr Sorge, einen der bekanntesten Rapper Deutschlands und wichtige Frontfigur des Deutschrap.
Er textete neu zu drei Themen, die vor 300 Jahren auch schon den Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz beschäftigten, unter anderem geht es um die Vernunft.
"Der erste Satz ist: Erfahrung machen ist oft teuer, die Vernunft hingegen günstig, doch die Vernunft schien mir zu vernünftig. Und dann singe ich den Refrain: Ich hab' viele gute Tipps bekommen, nie auch nur einen angenommen, die Erfahrungen hatten Priorität, die Vernunft hat nie gewonnen. Und eigentlich geht es so in der Hauptperspektive, aus der ich erzähle, darum, dass ich nie diese Vernunft wahrgenommen habe, einfach nur aus meiner Perspektive: Ich bin aufgewachsen und hab mir einen Job gesucht, den es nicht gab."
Bei Valer Sabadus war das etwas anders. Schon seine Eltern machten Musik. Inzwischen ist der 30-Jährige mehrfacher Echo-Klassik-Preisträger und auf den Bühnen für Alte Musik weltweit zu Hause. Scheinbar mühelos erklimmt die Stimme des Countertenors in den Händelarien die hohen Tonlagen - geerdet vom durchlaufenden Basso Continuo des renommierten Barockensembles Musica Alta Ripa aus Hannover.
"Wir haben uns einfach mit dem auseinander gesetzt, wie kann man Leibniz auf das Hier und Jetzt übertragen, mit der Musik als Brücke. Und natürlich war Leibniz einer der großen Aufklärer und Vordenker seiner Zeit, der auch versucht hat, das Universelle mit dem Konkreten zu verbinden, aber ich würde das jetzt nicht zu verkopft darstellen."
Ausgefeiltes Klangdesign
Dafür sorgen schon die vorproduzierten Elektrosounds, die die Musik von Händel und den Rap verbinden. Gesampelte Tonschnipsel, Basedrum, Orgelsphären, sagt Musikproduzent Jan van der Toorn, der schon für Musiker wie Nena, Die Prinzen und die Backstreet-Boys am Klangdesign gebastelt hat. Beim Continuum-Projekt bestand die Herausforderung darin, den langen Nachhall der Kirchenräume einzubeziehen, sagt Jan van der Toorn.
"Wenn man flächige Musik spielt, oder Musik so wie mit Geigen, was ja ganz hohe Frequenzen sind, das bewegt sich einfach schneller. Aber alles, was tief ist, das bewegt sich langsamer. Deshalb bleibt es auch länger hängen. Und bei rhythmischen Instrumenten, vor allem bei so elektronischen oder Hip-Hopp – ganz viel geht über die Bässe. Und das war schon so ein kleines Zaubern, aber das passt ja zum Leibniz-Thema. Ein bisschen Mathe muss sein."
Leibniz taucht also immer wieder auf, über die Brücke der Musik und über die Themen Tod, Vernunft und Vollendung – sowohl bei Händel wie bei Deluxe. Die Rechnung könnte somit aufgehen, dass mit dem ungewöhnlichen Ansatz sowohl Freunde des Rap wie Barockfans in die Kirche kommen. Doch bis dahin muss alles zusammen passen. Und auf live gespielte Barockmusik zu rappen, das ist leichter gesagt als getan.