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Ungewollte Gefühle

Die Antibabypille ist die beliebteste Art der Empfängnisverhütung in Deutschland - in Kauf genommen werden dabei Nebenwirkungen wie Übelkeit, Migräne oder Gewichtszunahme. Diese Liste muss womöglich um einen weiteren Faktor ergänzt werden: Gießener Forscher haben Hinweise gefunden, dass die Pille das Erleben und Verlernen von Angst beeinflussen könnte.

Von Martin Hubert |
    Die Versuchspersonen schauen auf einen Monitor. Dort blinkt mal ein Kreis auf, mal ein Quadrat oder ein Dreieck. Jedes Mal, wenn das Quadrat auftaucht, erhalten die Probanden anschließend einen leichten elektrischen Schlag. Nach einiger Zeit sind sie konditioniert und zucken bereits zusammen, wenn nur das Quadrat zu sehen ist. Psychologen sprechen von "emotionalem Lernen": Jemand hat gelernt, einem völlig harmlosen Reiz ein bedrohliches Gefühl zuzuordnen. Professor Rudolf Stark vom BION-Institut an der Universität Gießen interessiert sich dafür, wie Stress Lernvorgänge beeinflussen kann. Lernt jemand dann stärker, also schneller, oder lernt er schlechter und langsamer, einen Reiz mit einem Gefühl zu verbinden? Um das herauszubekommen, verabreichte ein Gießener Forscherteam den Versuchspersonen während des Lernvorgangs das Stresshormon Cortisol - mit unerwarteten Folgen.

    "Das für uns überraschende Ergebnis war, dass hier ein klarer Unterschied zwischen Männern und Frauen sichtbar wurde: dass bei Männern offensichtlich Cortisol eher dazu geführt hat, dass ein Lernen verschlechtert wurde, während bei Frauen eben hier ein stärkeres Lernen unter Cortisol zu beobachten war. Und das Besondere unserer Untersuchung war aber, dass eben die Frauen, die wir untersucht haben, ausschließlich Frauen waren, die orale Kontrazeptiva zur Empfängnisverhütung benutzen und es stellte sich dann die Frage, ob diese Einnahme der oralen Kontrazeptiva einen besonderen Einfluss hatte."

    Die Pille senkt den Spiegel weiblicher Sexualhormone wie Östrogen und Progesteron, sodass die Frau vorübergehend keinen normalen Menstruationszyklus mehr hat. Offenbar, so schlossen die Gießener Forscher, beeinflusst das auch das emotionale Lernen, zumindest bei starkem Stress. In einem weiteren Versuch gingen sie dann der Frage nach, ob das auch für die sogenannte Extinktion gilt: für das Tilgen bzw. Verlernen der Angst. Sie zeigten den konditionierten Versuchspersonen das Quadrat erneut, ohne dass diesmal der elektrische Reiz darauf folgte. Geschieht das mehrmals, verlieren Menschen normalerweise wieder die Furcht vor dem Quadrat. Der Psychologe Christian J. Merz von Gießener BION-Institut untersuchte dabei per Hinscanner die Hirnaktivität der Probanden:

    "Das haben wir uns dann angeschaut an verschiedenen Gruppen, Männern wieder, wir waren wieder an Frauen, die die Pille nehmen, interessiert. Und hier haben wir Frauen dazu genommen, die in einem ganz normalen Menstruationszyklus waren. Und hier haben wir uns angeschaut, was passiert jetzt mit denen in der Extinktion. Und es ist so, dass die alle ganz schnell irgendwie eine Extinktion zeigen, im Hirn ist es aber ein bisschen anders. Da ist es so, dass sich tatsächlich die Pillefrauen wieder abheben dahin gehend, dass sie eine höhere Aktivierung in verschiedenen furchtrelevanten Strukturen haben."

    Bei den Pillefrauen waren nicht nur Hirnareale stärker aktiv, die mit Angst zu tun haben, sondern auch solche, die Angst unterdücken. Die Gießener Forscher werten dieses Ergebnis als Hinweis, dass es unter dem Einfluss der Pille zu stärkeren Angstzuständen kommt. Im Gehirn ist daher bei diesen Frauen offenbar ein höherer Aufwand nötig, um die Angst wieder zu verlernen. Allerdings ist der Zusammenhang im Detail noch nicht völlig aufgeklärt. Und die Gießener Forscher fordern auch keineswegs, nun auf die Pille zu verzichten. Merz:

    "Letzten Endes sind die ganzen oralen Kontrazeptiva ja auch entworfen worden zu bestimmten Zwecken. Dementsprechend den Zweck sollen sie auch ausüben, nämlich die Empfängnisverhütung. Das Spannende für mich finde ich, wenn man akut ins Hormonsystem eingreift, dass es dann unterschiedliche Effekte haben kann, und das tun Pillefrauen ja praktisch jeden Tag."

    Ob das dann auch Auswirkungen darauf hat, wie gut oder wie schlecht Frauen Angststörungen in Therapien wieder verlernen können, lässt sich aus den bisherigen Kurzzeitexperimenten noch nicht direkt ableiten. Da Frauen aber häufiger und dauerhafter als Männer an Angststörungen leiden, sollte dieser Zusammenhang in Zukunft näher erforscht werden. Eventuell müssten sich Psychologen dann bei der Therapie darauf einstellen.