Jürgen Zurheide: Die jüngsten Handelszahlen dürften dem amerikanischen Präsidenten überhaupt nicht gefallen haben. Er wollte ja eigentlich die Exporte ankurbeln und vor allen Dingen auch die Importe bremsen und hat damit so eine Art Zollkrieg entfesselt und dann noch hinzugefügt, das alles ist ja furchtbar leicht zu gewinnen. Im Moment sehen die Zahlen völlig anders aus: Im Oktober stieg das Außenhandelsdefizit auf einen Rekord von 55,5 Milliarden. Das ist ein Zehnjahreshoch, und das dürfte ihm überhaupt nicht gefallen.
Die Frage ist: Ist er damit gescheitert? Oder was heißt das insgesamt für die Ungleichgewichte in der Welt? Da gibt es in dem Moment gerade eine Tagung in Washington beim Internationalen Währungsfonds, dort nimmt auch Peter Bofinger, der Wirtschaftsweise, teil, den ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Bofinger!
Peter Bofinger: Guten Tag, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Bofinger, zahlen die Amerikaner gerade die Zeche für Trumps Handelspolitik, denn das sieht ja so aus, dass zum Beispiel die eigenen Autofirmen nur teurer produzieren können, weil sie eben durch Zölle belastete Importe erst mal in ihre Produkte reinpacken müssen?
Bofinger: Es ist schon so, dass natürlich Zölle ganz unmittelbare Wirkung haben auch auf die heimischen Verbraucher, weil die ganzen Produkte, die man aus dem Ausland bezieht, einfach teurer werden. Ein Zoll ist eigentlich nichts anderes als eine Mehrwertsteuer, die man jetzt gezielt auf ausländische Produkte erhebt, aber natürlich muss diese Mehrwertsteuer auch vom Verbraucher bezahlt werden, und das spüren die Amerikaner.
Es gibt jetzt Studien, die zeigen, dass für den Mittelklassehaushalt schon jetzt die Zollpolitik im Jahr 146 Dollar kostet. Weil viele Produkte, die man so zum normalen Verbrauch benötigt, aus dem Ausland kommen. Und was besonders wichtig ist: Je niedriger die Einkommen sind, desto höher ist die relative Belastung durch diese Zölle.
"Was Trump tut, geht in die falsche Richtung"
Zurheide: Und die Defizite, sehen wir gerade, steigen. Ist damit der Satz schon widerlegt, dass so ein Handelskrieg leicht zu gewinnen ist? Denn die Ungleichgewichte nehmen ja eher zu, auch gegenüber China.
Bofinger: Die Außenhandelsdefizite hängen ja nicht in erster Linie von den Zöllen ab, sondern natürlich auch vom Wirtschaftswachstum. Und was Trump jetzt gemacht hat, ist, dass er durch seine Steuersenkung die amerikanische Wirtschaft unglaublich angekurbelt hat. Und wenn die Wirtschaft wächst und stärker wächst als im Ausland, dann werden natürlich aus dem Ausland deutlich mehr Produkte gekauft, und damit gerät die Leistungsbilanz auch ins Defizit. Es ist also überhaupt nicht überraschend, dass das so passiert.
Zurheide: Was heißt das aber insgesamt für die Amerikaner? Sie haben gerade gesagt: Da wird wieder gekauft, und damit wird konsumiert, wo vielleicht eigentlich auch investiert werden müsste. Wenn ich auch denke an viele dieser Steuerrückzahlungen, die sind bei Unternehmen in Aktienrückkäufe geflossen. Also es wird zu wenig investiert, stimmt diese Diagnose immer noch?
Bofinger: Ja, sie stimmt. Das kann man ja in den USA fast mit Händen greifen, in welch schlechtem Zustand die Infrastruktur ist. Da wäre deutlich mehr zu tun. Was Trump ja macht, ist ja eigentlich eine Art rückwärts gerichtete Strategie: Er versucht, alle Industrien - Kohle, Stahl - wieder zu beleben. Und was das Land ja braucht, sind innovative, neue Industrien, neue Dienstleistungen. Und dann wäre natürlich auch sehr viel zu tun in den Vereinigten Staaten, gerade was die Bildungsausgaben angeht. Also das, was er tut, geht ganz klar in die falsche Richtung.
"USA geben Weltwirtschaft starke Impulse"
Zurheide: Und wenn wir jetzt noch mal auf Ihre Tagung kommen, Ungleichgewichte abbauen, was ist denn die wesentliche Handreichung? Wir können ja vielleicht beginnen: Was müsste die USA tun? Und nachher schauen wir mal, was in Deutschland passieren müsste? Was sollte, was müsste in den Vereinigten Staaten passieren?
Bofinger: Man muss die Dinge jetzt natürlich unter einer globalen Perspektive sehen, und was die Amerikaner derzeit tun mit ihren hohen Defiziten, ist natürlich, dass sie starke Impulse der Weltwirtschaft geben. Weil die amerikanische Wirtschaft gut läuft, weil dann auch von den USA aus viele Güter in der ganzen Welt gekauft werden. Deswegen kann man das mit einer positiven, aber auch mit einer negativen Perspektive sehen. Für die Weltwirtschaft ist das zunächst mal positiv, weil die Wachstumseffekte deutlich stärker sind als die negative Effekte der Zölle.
Zurheide: Allerdings geht das alles auch zulasten der Verschuldung. Die Frage ist, wie lange geht so was gut?
Bofinger: Das ist eine gute Frage. Natürlich ist die Situation in den USA anders als in anderen Ländern, weil der amerikanische Dollar nach wie vor die Rolle einer internationalen Reservewährung hat. Das heißt, wenn die Amerikaner sich verschulden, dann tun sie das vor allem auch in amerikanischen Staatsanleihen. Und diese amerikanischen Staatsanleihen werden eben weltweit doch relativ gerne gehalten, weil sie nach wie vor als eine sehr sichere Anlage gelten. Das heißt, die Verschuldungsspielräume für die Vereinigten Staaten sind deutlich höher als für die meisten anderen Länder.
"Anderen Länder drängen Deutschland, mehr zu investieren"
Zurheide: Dann kommen wir jetzt zu Deutschland als anderes, wo eben das Gegenteil passiert. Wir haben Überschüsse, allerdings im Inland wird auch immer noch, obwohl es ein bisschen mehr ist inzwischen, zu wenig investiert. Was gibt es für Empfehlungen für Deutschland?
Bofinger: Deutschland steht natürlich im Mittelpunkt der Diskussion, gerade beim Internationalen Währungsfonds, weil wir ja einen sehr, sehr hohen Überschuss in unserer Leistungsbilanz aufweisen. Und damit entziehen wir letztlich der Weltwirtschaft Kaufkraft, also das Gegenstück von dem, was die USA tun. Natürlich drängen die anderen Ländern Deutschland, doch mehr zu investieren, mehr auszugeben, um auf die Art und Weise auch Impulse für die Weltwirtschaft zu setzen. Es ist für die meisten Beobachter nicht so ganz verständlich, wie so ein Land wie Deutschland, das solche Möglichkeiten hätte, jetzt mehr auszugeben, gerade für Investitionen, gerade auch für Bildung, wie so ein Land diese Möglichkeiten nicht nutzt. Nur deshalb, weil wir uns ganz eng an diese Ideologie dieser schwarzen Null klammern.
Europa braucht "Zukunftsinvestitionsinitiative"
Zurheide: Und wenn ich jetzt auf Europa insgesamt blicke und vielleicht auch Deutschland hinzuziehe und man die Sorge haben kann, dass das, was in Frankreich passiert, auch auf andere Länder überschwappt, kommt man doch immer wieder zu der Frage: Irgendwas in der Verteilung stimmt nicht, also in der Einkommens- und Vermögensverteilung, weil ein Teil der arbeitenden Bevölkerung im unteren Drittel festhängt. Wie wird das gesehen, was müsste, was könnte man da ändern?
Bofinger: Ich denke, was man jetzt relativ noch am einfachsten umsetzen könnte, wäre einfach eine große Zukunftsinvestitionsinitiative für die ganze europäische Währungsunion. Dass man sich fragt: Was sind große Projekte, die wir gemeinsam durchführen können? Die wir auch gemeinsam finanzieren könnten, um auf die Art und Weise Impulse zu setzen für das Wachstum im Euroraum und auch um den Menschen zu zeigen, dass da eine Politik ist, die auch die Bedürfnisse und Interessen der Bürger sieht.
Das heißt, beispielsweise könnte eine solche Investitionsstrategie darin bestehen, dass man sich fragt, wie kann man den Regionalverkehr verbessern, dass wir die ganzen Verkehrsprobleme unserer Städte besser in den Griff bekommen? Man könnte sich aber auch überlegen, kann man nicht eine gemeinsame Strategie im Bereich von Alzheimer machen, dass man sehr viele Mittel in die Hand nimmt, um eine solche große Zivilisationskrankheit erfolgreich zu bekämpfen?
Das heißt, man braucht eigentlich große Projekte, die die Menschen auch direkt tangieren, wo die Menschen auch sehen, die Politik hat auch eure Interessen im Blick. Und das einfach zum Anfassen zu machen, dass man eben nicht einfach nur über Europa philosophiert, sondern klare Projekte macht, die das Leben der Menschen verbessern.
Spielraum für höheren Mindestlohn in Deutschland ist da
Zurheide: Was halten Sie davon, zum Beispiel die Mindestlöhne durchaus deutlicher zu erhöhen, nicht in den kleinen Schritten, wie das bisher passiert? Ich weiß, da kommt immer das Gegenargument, dann fallen die Arbeitsplätze weg, aber das wäre ja auch ein Zeichen an Menschen, die gerade so im Dienstleistungssektor im unteren Drittel festhängen und kaum Perspektiven haben. Das sind ja die, die in Frankreich auf die Straße gehen. Also da mal einen drastischen Schritt. Oder zu sagen: Wer 42 Jahre arbeitet, hat eine sichere Mindestrente und muss nicht zum Sozialamt. Wären das nicht auch Schritte, die man mal gehen müsste, auch gegen manche Argumente, die immer wieder leicht kommen?
Bofinger: Ich glaube, das muss man natürlich von Land zu Land sehr differenziert angehen. Bei uns in Deutschland, denke ich, ist ganz klar ein Spielraum da, den Mindestlohn stärker zu erhöhen, als das bis jetzt gemacht wurde. Wir haben jetzt beim Mindestlohn in Deutschland zweimal eine Erhöhung, jeweils zwei Prozent bis 2020, und das ist gerade mal die Inflationsrate, das ist deutlich zu wenig. Aber man muss das natürlich behutsam handhaben. In Ländern, wo die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist, auch die Jugendarbeitslosigkeit sehr hoch ist, ist es gefährlich, wenn man jetzt da große Anhebungen macht und damit die Problematik eher noch verschlechtert.
Zurheide: Aber in Deutschland wäre es durchaus möglich, zumal wir Überschüsse haben, und viele sagen, sind immer noch zu preiswert.
Bofinger: Nein, keine Frage, in Deutschland hätten wir den Mindestlohn deutlich stärker anheben können, einfach um auch insgesamt bei uns das Lohnwachstum noch stärker voranzubringen. Da ist einfach mehr Luft drin, und da wäre auch mehr Luft drin für mehr privaten Verbrauch. Was ja in Deutschland jetzt seit Längerem zu beobachten ist, ist, dass der private Verbrauch der Haushalte weniger stark wächst als die Wirtschaft insgesamt, und da ist sicher noch sehr viel mehr Spielraum da.
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