Um peinliche Gesten war dieser Regent nie verlegen. Im Sommer 1902 zum Beispiel, während eines russisch-deutschen Flottenmanövers bei Reval, dem heutigen Tallin, stellte Wilhelm der Zweite wieder einmal klar, wie er sich das künftig vorstellte mit der Rolle Deutschlands in der Welt. Eine kleine Episode, die viel über das Wesen seiner Majestät verrät, so der britische Historiker John Röhl.
"Zunächst kommt er mit dem Zaren Arm in Arm auf Bülow zu und sagt: Weißt Du, Bülow, wie wir uns jetzt nennen? Das ist der Admiral of the Pacific. Und ich nenne mich fortan der Admiral of the Atlantic. Das ist für die Atlantikmächte - die Vereinigten Staaten, England und Frankreich - zunächst einmal eine große Herausforderung. Aber die andere Seite, die da mitspielt ist, dass sich der Zar abwenden soll von Europa und seine Mission im Osten erblicken sollte - als Hüter der europäischen Christenheit gegen die Heiden."
So eine weltpolitische Überlegung des selbst ernannten Admirals des Atlantik, der gerne auch über die - Zitat - "gelbe Gefahr" für die europäische Rasse schwadronierte. Wie John Röhl in seiner großen Biographie zeigt, verfolgte Wilhelm der Zweite mit solchen obskuren Bekundungen ein festes politisches Kalkül. Wenn Russland seine Flotte aus Europa abziehen würde, so der Gedanke, hätte das Deutsche Reich freie Hand für einen Krieg gegen Frankreich und gegen England. Die Vorherrschaft des Deutschen Kaiserreiches in Europa war Wilhelms erklärtes Ziel. Etliche diplomatische Katastrophen hat er selbst provoziert. Dazu gehören die beiden Marokkokrisen wie auch der Eklat, den die Veröffentlichung eines Interviews im britischen "Daily Telegraph" auslöste. 1908 diktierte Wilhelm einem englischen Oberst in den Schreibblock, die deutsche Flotte werde nur für den Kampf gegen die gelbe Gefahr gebaut. Horrender Blödsinn, urteilt John Röhl.
"Das Interview war eigentlich gedacht für den englischen Konsumenten. Es sollte eigentlich gar nicht in Deutschland bekannt werden. Es war wieder einmal einer der vielen Versuche Wilhelms II. durch List die Engländer zu beruhigen, sie von der deutschen Flottengefahr abzulenken, indem er sagte, ja gut, mein Volk ist vielleicht antienglisch eingestellt. Aber ich alleine leite doch die Politik und ich bin englandfreundlich. So ungefähr sollte das wirken. Und dann ist das Interview in Deutschland sofort veröffentlicht worden."
Und führte, neben den europäischen Verstimmungen, auch zum innenpolitischen Konflikt. Drei Tage lang debattierte der Reichstag erbittert über den Monarchen, der sich wie ein Regent aus dem 18. Jahrhundert benahm, nicht wie der einer modernen Industrienation.
"Einstimmig hat sich der Reichstag gegen den Kaiser gestellt. Das Interessante aber und das Tragische ist, dass es nicht zu einem konkreten Beschluss gekommen ist. Der Kaiser sollte dann und hat auch in einer etwas wagen Erklärung in der Allgemeinen Norddeutschen Zeitung gesagt, ja, ich werde mehr dafür sorgen, dass die Politik stetig bleibt und mich weniger damit befassen. Punkt. Er hat sich zwar zunächst in einen Nervenzusammenbruch zurück gezogen, aber in kurzer Zeit, nach vier, fünf Wochen war er wieder in der Außenpolitik und in der Rüstungspolitik voll dabei."
Aus der Sicht von John Röhl war der letzte deutsche Kaiser kein schwacher Regent, auf dessen Rücken die angeblich starken Reichskanzler ihre eigenen politischen Vorstellungen durchsetzten. Im Gegenteil. Die Reichskanzler der Vorkriegszeit, Hohenlohe, Bülow und Bethmann-Hollweg, waren seiner Majestät bedingungslos ergeben. Sie stützten eine Regentschaft, die John Röhl als "persönliche Monarchie" beschreibt. Der Monarch umgeben von lauter Opportunisten. Niemand widersprach, als Wilhelm etwa nach der bosnischen Annexionskrise von 1908/09 die Nibelungentreue zu Österreich verkündete. Auch nicht, als er im November 1912, zusammen mit Reichskanzler Bethmann-Hollweg und Generalstabschef Moltke, die Weichen in Richtung Krieg stellte.
"Noch im November 1912 hat Wilhelm seinen Bruder Heinrich zu George dem Fünften nach England geschickt, als es darum ging: Lösen wir jetzt den Krieg aus oder nicht. Und Heinrich hat George ganz offen gefragt: Was macht ihr, wenn in Europa ein Krieg ausbricht. Und Georg hat gesagt: Ja, wir könnten dann schon nicht neutral bleiben. Unter gewissen Umständen würden wir eingreifen."
Erst nach einer Richtigstellung des deutschen Botschafters in London ruderte der Kaiser zurück. Im Juli 1914 schickte er den Prinzen Heinrich noch einmal auf die Reise. Wieder sollte er sich nach der britischen Neutralität erkundigen. George gewährte dem Gast ein paar Minuten vor dem Kirchgang, Heinrich vermeldete danach per Telegramm, England würde im Falle eines Krieges wahrscheinlich neutral bleiben. Eine fatale Fehldeutung. Im Glauben an die britische Neutralität erklärte Deutschland Russland den Krieg, der deutsche Generalstab bereitete den Feldzug gegen Frankreich vor. Zwar behielt Wilhelm der Zweite formell auch während des Krieges die Macht. Seine Autorität ging dennoch rasch verloren, so John Röhl.
"Sobald der Krieg ausgerufen wird, legt sich Wilhelm ins Bett, wieder einmal, möchte ich sagen, in einer Art Nervenzusammenbruch. Und dann hat er eigentlich nichts mehr zu sagen."
Der Niederlage Deutschlands im Krieg folgten Revolution, Abdankung und schließlich der Weg ins Exil, ins niederländische Doorn. Der abgedankte Monarch machte abwechselnd Jesuiten, Katholiken und Juden für die Niederlage verantwortlich. Er schwadronierte darüber, erfüllt von einem abgrundtiefen Antisemitismus, dass man die Juden vernichten solle. Und er setzte seine große Hoffnung in eine Restitution der Hohenzollern durch die Nazis. Ausdruck einer profunden Realitätsferne als Schlusspunkt seiner Biographie. John Röhl schildert das Leben des letzten deutschen Kaisers auf eine beeindruckende Weise. Er zitiert ausführlich aus den vielen historischen Dokumenten und hat eine wissenschaftliche Darstellung geschrieben, die sich bisweilen wie ein spannender Roman liest. Genauer hat kein Historiker zuvor das Leben Wilhelms des Zweiten rekonstruiert. Insofern ist diese Biographie ein konkurrenzloses Standardwerk - auch wenn man darin viel über den Hohenzollern und seine Politik, ansonsten aber wenig über andere Aspekte seiner Zeit, etwa die Kultur, erfährt. John Röhl kann überzeugend dokumentieren, dass der letzte deutsche Kaiser keine Schattenfigur gewesen ist, als die man ihn so oft beschrieben hat. Er war eine der zentralen historischen Personen im 20. Jahrhundert. Seine permanente Großmannssucht und seine fatale Politik haben entschieden dazu beigetragen, dass dieses Jahrhundert das Zeitalter der Extreme wurde.
John Röhl hat seine große Biographie Wilhelms des Zweiten vollendet - Niels Beintker las für uns den abschließenden Dritten Band mit dem Titel: der Weg in den Abgrund. 1900 bis 1941. Er umfasst 1700 Seiten, ist im C.H. Beck Verlag, München, erschienen und kostet Euro 49,90.
"Zunächst kommt er mit dem Zaren Arm in Arm auf Bülow zu und sagt: Weißt Du, Bülow, wie wir uns jetzt nennen? Das ist der Admiral of the Pacific. Und ich nenne mich fortan der Admiral of the Atlantic. Das ist für die Atlantikmächte - die Vereinigten Staaten, England und Frankreich - zunächst einmal eine große Herausforderung. Aber die andere Seite, die da mitspielt ist, dass sich der Zar abwenden soll von Europa und seine Mission im Osten erblicken sollte - als Hüter der europäischen Christenheit gegen die Heiden."
So eine weltpolitische Überlegung des selbst ernannten Admirals des Atlantik, der gerne auch über die - Zitat - "gelbe Gefahr" für die europäische Rasse schwadronierte. Wie John Röhl in seiner großen Biographie zeigt, verfolgte Wilhelm der Zweite mit solchen obskuren Bekundungen ein festes politisches Kalkül. Wenn Russland seine Flotte aus Europa abziehen würde, so der Gedanke, hätte das Deutsche Reich freie Hand für einen Krieg gegen Frankreich und gegen England. Die Vorherrschaft des Deutschen Kaiserreiches in Europa war Wilhelms erklärtes Ziel. Etliche diplomatische Katastrophen hat er selbst provoziert. Dazu gehören die beiden Marokkokrisen wie auch der Eklat, den die Veröffentlichung eines Interviews im britischen "Daily Telegraph" auslöste. 1908 diktierte Wilhelm einem englischen Oberst in den Schreibblock, die deutsche Flotte werde nur für den Kampf gegen die gelbe Gefahr gebaut. Horrender Blödsinn, urteilt John Röhl.
"Das Interview war eigentlich gedacht für den englischen Konsumenten. Es sollte eigentlich gar nicht in Deutschland bekannt werden. Es war wieder einmal einer der vielen Versuche Wilhelms II. durch List die Engländer zu beruhigen, sie von der deutschen Flottengefahr abzulenken, indem er sagte, ja gut, mein Volk ist vielleicht antienglisch eingestellt. Aber ich alleine leite doch die Politik und ich bin englandfreundlich. So ungefähr sollte das wirken. Und dann ist das Interview in Deutschland sofort veröffentlicht worden."
Und führte, neben den europäischen Verstimmungen, auch zum innenpolitischen Konflikt. Drei Tage lang debattierte der Reichstag erbittert über den Monarchen, der sich wie ein Regent aus dem 18. Jahrhundert benahm, nicht wie der einer modernen Industrienation.
"Einstimmig hat sich der Reichstag gegen den Kaiser gestellt. Das Interessante aber und das Tragische ist, dass es nicht zu einem konkreten Beschluss gekommen ist. Der Kaiser sollte dann und hat auch in einer etwas wagen Erklärung in der Allgemeinen Norddeutschen Zeitung gesagt, ja, ich werde mehr dafür sorgen, dass die Politik stetig bleibt und mich weniger damit befassen. Punkt. Er hat sich zwar zunächst in einen Nervenzusammenbruch zurück gezogen, aber in kurzer Zeit, nach vier, fünf Wochen war er wieder in der Außenpolitik und in der Rüstungspolitik voll dabei."
Aus der Sicht von John Röhl war der letzte deutsche Kaiser kein schwacher Regent, auf dessen Rücken die angeblich starken Reichskanzler ihre eigenen politischen Vorstellungen durchsetzten. Im Gegenteil. Die Reichskanzler der Vorkriegszeit, Hohenlohe, Bülow und Bethmann-Hollweg, waren seiner Majestät bedingungslos ergeben. Sie stützten eine Regentschaft, die John Röhl als "persönliche Monarchie" beschreibt. Der Monarch umgeben von lauter Opportunisten. Niemand widersprach, als Wilhelm etwa nach der bosnischen Annexionskrise von 1908/09 die Nibelungentreue zu Österreich verkündete. Auch nicht, als er im November 1912, zusammen mit Reichskanzler Bethmann-Hollweg und Generalstabschef Moltke, die Weichen in Richtung Krieg stellte.
"Noch im November 1912 hat Wilhelm seinen Bruder Heinrich zu George dem Fünften nach England geschickt, als es darum ging: Lösen wir jetzt den Krieg aus oder nicht. Und Heinrich hat George ganz offen gefragt: Was macht ihr, wenn in Europa ein Krieg ausbricht. Und Georg hat gesagt: Ja, wir könnten dann schon nicht neutral bleiben. Unter gewissen Umständen würden wir eingreifen."
Erst nach einer Richtigstellung des deutschen Botschafters in London ruderte der Kaiser zurück. Im Juli 1914 schickte er den Prinzen Heinrich noch einmal auf die Reise. Wieder sollte er sich nach der britischen Neutralität erkundigen. George gewährte dem Gast ein paar Minuten vor dem Kirchgang, Heinrich vermeldete danach per Telegramm, England würde im Falle eines Krieges wahrscheinlich neutral bleiben. Eine fatale Fehldeutung. Im Glauben an die britische Neutralität erklärte Deutschland Russland den Krieg, der deutsche Generalstab bereitete den Feldzug gegen Frankreich vor. Zwar behielt Wilhelm der Zweite formell auch während des Krieges die Macht. Seine Autorität ging dennoch rasch verloren, so John Röhl.
"Sobald der Krieg ausgerufen wird, legt sich Wilhelm ins Bett, wieder einmal, möchte ich sagen, in einer Art Nervenzusammenbruch. Und dann hat er eigentlich nichts mehr zu sagen."
Der Niederlage Deutschlands im Krieg folgten Revolution, Abdankung und schließlich der Weg ins Exil, ins niederländische Doorn. Der abgedankte Monarch machte abwechselnd Jesuiten, Katholiken und Juden für die Niederlage verantwortlich. Er schwadronierte darüber, erfüllt von einem abgrundtiefen Antisemitismus, dass man die Juden vernichten solle. Und er setzte seine große Hoffnung in eine Restitution der Hohenzollern durch die Nazis. Ausdruck einer profunden Realitätsferne als Schlusspunkt seiner Biographie. John Röhl schildert das Leben des letzten deutschen Kaisers auf eine beeindruckende Weise. Er zitiert ausführlich aus den vielen historischen Dokumenten und hat eine wissenschaftliche Darstellung geschrieben, die sich bisweilen wie ein spannender Roman liest. Genauer hat kein Historiker zuvor das Leben Wilhelms des Zweiten rekonstruiert. Insofern ist diese Biographie ein konkurrenzloses Standardwerk - auch wenn man darin viel über den Hohenzollern und seine Politik, ansonsten aber wenig über andere Aspekte seiner Zeit, etwa die Kultur, erfährt. John Röhl kann überzeugend dokumentieren, dass der letzte deutsche Kaiser keine Schattenfigur gewesen ist, als die man ihn so oft beschrieben hat. Er war eine der zentralen historischen Personen im 20. Jahrhundert. Seine permanente Großmannssucht und seine fatale Politik haben entschieden dazu beigetragen, dass dieses Jahrhundert das Zeitalter der Extreme wurde.
John Röhl hat seine große Biographie Wilhelms des Zweiten vollendet - Niels Beintker las für uns den abschließenden Dritten Band mit dem Titel: der Weg in den Abgrund. 1900 bis 1941. Er umfasst 1700 Seiten, ist im C.H. Beck Verlag, München, erschienen und kostet Euro 49,90.