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Uni Greifswald
Ukrainistik soll gekürzt werden

Obwohl die Ukraine die Medienschlagzeilen seit Monaten beherrscht, wird die Ukainistik an der Uni Greiswald eingedampft. Geplant ist die Streichung mindestens einer Professur. Das kommt vor allem bei Studierenden schlecht an, die sich bewusst für den Schwerpunkt an der Uni entschieden haben.

Von Lenore Lötsch |
    Szene einer ukrainischen Sprachschule in Kiew.
    Die Uni Greifswald bietet einen Ukrainistik-Schwerpunkt an - noch. (imago / ITAR-TASS)
    Wer dieser Tage in Greifswald den Blick nach oben richtet, um die barocke Turmspitze des Doms in gut 100 Metern Höhe zu bestaunen, wird mit ziemlich irdischen Problemen konfrontiert: "Bye bye Philosophische Fakultät" steht da auf einem Transparent am Geländer.
    "Man könnte schon sagen, dass es ein bisschen übertrieben ist, so ein Sterbebanner da aufzuhängen, das trifft den Sachverhalt überhaupt nicht".
    Sagt der Dekan der Philosophischen Fakultät, Prof. Thomas Stamm –Kuhlmann.
    "Also es kann sogar sein, dass der Tod schneller als erwartet eintritt".
    Widerspricht der Slawistikprofessor Bernhard Brehmer. Ob die deutsche Ukrainistik überlebensfähig ist, scheint dieser Tage fraglich. Und das ausgerechnet jetzt: Vor dem Hintergrund der Ukrainekrise wurde der Mangel an entsprechenden Experten deutlich. Doch in Greifswald wurde 2006 ein Stellenkonzept für die philosophische Fakultät beschlossen. Wo allerdings Stellen abgebaut werden sollen, das – sagt Brehmer – liegt im Ermessensbereich des Dekanats. Vor allem die Baltistik ist bei dem nun vorliegenden Vorschlag betroffen und die Ukrainistik, ein Schwerpunkt der Slawistik.
    Schwerpunkt Ukrainistik muss Professur abgeben
    "Wie sind die einzige Universität in Deutschland, die ein Slawistikstudium mit Schwerpunkt Ukrainistik anbieten kann. Wir haben im Moment drei Professuren, da sollen wir eine Professur verlieren, was die Ukrainistik treffen wird. Wir sollen außerdem im sogenannten Mittelbaubereich drei Stellen verlieren; das ist ein Drittel der Stellen, die wir überhaupt am Institut haben."
    Mehr als neun Studierende passen nicht in die kleine Kammer, in der der Ukrainischkurs für Anfänger angeboten wird. Vira Makowska, die Sprachlehrerin, muss ihren Freunden in Deutschland immer wieder erklären, dass es einen Unterschied gibt zwischen der russischen Sprache und der ukrainischen. Das flächenmäßig zweitgrößte Land Europas ist für Deutsche häufig noch Terra Incognita, hat sie festgestellt.
    "Das ist natürlich ein dramatisches Schicksal dieses Landes, dieser Kultur, das momentan so instrumentalisiert wird und das sowohl politisch, als jetzt auch in diesem akademischen Leben. Gerade jetzt, wo der Krieg in der Ukraine herrscht, merkt man, vieles wird über die russische Perspektive dargestellt."
    Die Masterstudentin Iryna Mayska ist extra wegen des speziellen Ukrainisch-Angebots nach Greifswald gekommen. In der aktuellen politischen Lage versteht sie es noch viel weniger, dass nun hier über eine Kürzung nachgedacht wird.
    "Ich find es auch sehr wichtig, dass es gerade auf der kulturellen Ebene analysiert wird und nicht nur immer von geopolitischen, strategischen Interessen irgendwie begründet wird. Man müsste auch gerade deswegen dieses kleine Fach unterstützen auch trotz der wenigen Studierendenzahlen, aber wir sind ja auch keine BWLer und können ja auch nicht überall eingesetzt werden, wir sind halt einfach Nischenexperten, die aber auch gebraucht werden."
    Medial wird die ukrainische Perspektive vernachlässigt
    Wie sehr, das hat auch der Sprachwissenschaftler Prof. Bernhard Brehmer bei der Berichterstattung über den Konflikt in der Ukraine, der zum Krieg wurde, immer wieder erfahren.
    "Wenn ich hier Fachleute höre, die behaupten, man könne beispielsweise in der Westukraine kein Russisch reden, weil man dort diskriminiert oder angemacht werden würde. Ich war letzten September mit Studierenden in Lemberg, in Lwiw, in der westukrainischen Metropole. Ich hab so viel Russisch auf der Straße gehört wie noch nie! Da sieht man einfach, wie Sachen dargestellt werden und gerade auch bei der Sprachenfrage, die ja auch mit ein Auslöser für diesen Konflikt war, ist auch sehr viel Unwissenheit da."
    Die Kürzungspläne des Dekanats würden dazu führen, dass ein Wissenschaftler gefunden werden müsste, der Experte für gleich vier Länder ist: Russland, Polen, Tschechien und die Ukraine.
    "Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert, und eine Person, die sich in allen vier Räumen und in allen vier Literaturen und Kulturen gleich gut auskennt, die gibt es nicht."
    "Das in der Tat ein Problem, das erkenne ich auch,"
    sagt der Dekan der Philosophischen Fakultät Thomas Stamm-Kuhlmann und schiebt ein aber hinterher:
    "Wir wären hier die einzige Uni, die es stellvertretend für die ganze Bundesrepublik vorhalten würde, und wenn man uns dabei unterstützt, und das könnte dann ruhig auch der Bund sein, dann würden wir das natürlich gerne entgegennehmen."
    Doch die Pläne sollen bereits am Mittwoch bei der Fakultätssitzung beschlossen. Mediale Aufmerksamkeit und internationale Unterstützung könnten noch zu einem Umdenken führen hofft Prof. Bernhard Brehmer.
    "Leute, schaut über den Greifswalder Tellerrand hinaus, wir haben hier auch ne Verantwortung, die weit über Greifswald und weit über Mecklenburg Vorpommern hinausgeht!"
    Und auch Marta Martuschak aus Polen, die in Greifswald Rechtswissenschaft, Slawistik und Politikwissenschaft studiert, vermisst bei dem aktuellen Blick auf Stellen, Kürzungen und Zahlen die Einsicht, dass die Greifswalder Universität mit der Ukrainistik ein Alleinstellungsmerkmal hat. Noch.
    "Also ich kann mir schon vorstellen, dass man so was mit dem Schwerpunkt Ukrainisch auch bei anderen Studiengängen ansiedeln könnte, um davon zu profitieren, dass wir uns so ein Fach als Universität leisten können."