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UNICEF-Studie zu Syrien
Leiden der Kinder wird immer schlimmer

2016 war für syrische Kinder das bisher brutalste Jahr des Krieges. Zu dieser Konklusion kommt ein Bericht des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF. Schwere Menschenrechtsverletzungen gegen sie haben im fünften Bürgerkriegsjahr einen "traurigen Höchststand" erreicht.

Von Kai Clement |
    Kinder spielen in Aleppo vor zerstörten Gebäuden
    Kinder in Aleppo (picture alliance / Str/EPA/dpa)
    Wunder habe man nicht erwartet - und Wunder gebe es auch nicht. Donnerstag vergangener Woche. Der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura ist gerade aus dem Sicherheitsrat gekommen. Er hat über die Syrien-Friedensgespräche in Genf informiert. Und nein: Wunder gab es keine. Stattdessen - wieder einmal - eine Vertagung. Für den 23. März haben die Vereinten Nationen zur dann schon fünften Runde der Gespräche eingeladen.
    Was das für Syriens Kinder bedeutet, berichtet das Kinderhilfswerk UNICEF in seiner Studie: "Hitting Rock Bottom" - also: Am Tiefpunkt angekommen. Das vergangene Jahr sei das schlimmste für Syriens Kinder gewesen.
    "Der Konflikt hat sich ausgeweitet, intensiviert. Er ist so brutal geworden. Es geht nicht mehr nur darum, dass Kinder von der Gewalt eingeholt werden, sondern dass sie tatsächlich selbst zum Ziel werden."
    Schon siebenmal hat Russland sein Veto eingelegt
    Für UNICEF-Sprecher Simon Ingram wären es vom Hauptgebäude des Kinderhilfswerks nur wenige Gehminuten bis zum Tagungsraum dieses seit Jahren blockierten Sicherheitsrates. Schon siebenmal hat Russland dort sein Veto eingelegt. Das jüngste kam im Februar. Es verhinderte neue Sanktionen gegen Russlands Verbündeten, die syrische Regierung also, die erwiesenermaßen Chemiewaffen gegen ihre eigene Bevölkerung einsetzt.
    "Angriffe auf Schulen, auf Spielplätze, auf Wohnhäuser - das sind gezielte Strategien. Im Wesentlichen, so muss man annehmen, geht es darum, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren."
    Terror, Belagerung und Chemiewaffen statt Frieden - das ist der Alltag auch für Kinder in Syrien. Den neuen Zahlen zufolge starb vergangenes Jahr mit 652 Kindern ein Fünftel mehr als noch im Vorjahr. Viele davon tötete der Krieg in der Nähe ihrer Schulen. Laut UNICEF-Berechnungen haben die Kriegsparteien in 2016 mehr als 850 Minderjährige als Kindersoldaten missbraucht. Das sei eine Verdoppelung im Vergleich zum Vorjahr. 647 Kinder verletzt - eine Zunahme um ein Viertel. 280.000 Kinder leben demnach in belagerten Städten - das entspricht fast der gesamten Bevölkerung einer Stadt wie Münster.
    Die Familien stehen unter Druck, Geld dazu zu verdienen
    Die Zahlen gäben nur einen ersten Hinweis - sie dürften tatsächlich viel höher liegen, sagt Simon Ingram. Aber man wollen nur solchen Zahlen arbeiten, die man über mehrere Quellen glaubhaft belegen könne.
    1,75 Millionen hätten keine Chance mehr, zur Schule zu gehen. Damit ist nicht nur das Leben der Kinder bedroht, sondern auch ihre Lebensperspektive. Manche Kinder seien schon zum siebten Mal in ihrem jungen Leben geflohen. Und auch die Ankunft in den Haupt-Fluchtländern wie Türkei oder Libanon bedeute nicht die Rettung der Kindheit.
    "Die Familien stehen unter enormen Druck, dazu zu verdienen. Und manchmal glauben sie, keine andere Wahl zu haben, als ihre Kinder zur Arbeit zu schicken. In die Gemüsefelder, um Gurken oder Auberginen zu ernten. Das sehen wir vielfach im Libanon. In der Türkei werden viele Kinder gedrängt, in Restaurants zu arbeiten."
    UNICEF beobachtet auch Kinderehen - schon von Elfjährigen. Einzige Hoffnung: eine politische Lösung, eine Beschwörung der Konfliktparteien, endlich zu Sinnen zu kommen.
    Mahnen, Bitten, Appellieren - so auch der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura vor dem Sicherheitsrat. Ohne einen funktionierenden Waffenstillstand, so sagte er, stünden auch die kommenden Friedensgespräche auf der Kippe.