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Union in der Krise
"Frau Merkel ist nicht mehr so, wie sie früher war"

Einst wurde Angela Merkel als mächtigste Frau der Welt betitelt. Diese Zeiten sind nach Ansicht des Historikers Michael Stürmer vorbei. Die Bundeskanzlerin sei nicht mehr so stark, sagte er im Dlf. Sie müsse nun auf Menschen zugehen, die sie bisher keiner größeren Ansprache für würdig befunden habe.

Michael Stürmer im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer, Bundesinnenminister (CSU), nehmen an der Pressekonferenz nach dem Wohngipfel im Bundeskanzleramt teil.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer, Bundesinnenminister (CSU) (dpa/ picture alliance/ Fabian Sommer)
    Tobias Armbrüster: Für die Unions-Parteien stehen entscheidende Wochen an: am kommenden Sonntag die Wahl in Bayern, zwei Wochen später dann in Hessen. Glaubt man den Umfragen, läuft es auf ein Wahldebakel hinaus für die Unions-Parteien. Über all dem natürlich die Kanzlerin, CDU-Chefin Angela Merkel. Immer lauter werden nun in den vergangenen Tagen die Rufe nach einer Erneuerung in der Partei. Wir haben das gehört unter anderem beim Deutschlandtag der Jungen Union am Wochenende. Auch wenn sich da viele mit ihrer Kritik nicht so richtig aus der Deckung trauen und man etwas zwischen den Zeilen lesen muss – deutlich wird es. Ich habe über diese Entwicklung jetzt gerade während die Nachrichten liefen mit dem Historiker und Publizisten Michael Stürmer gesprochen und ich habe ihn gefragt, wie groß sie eigentlich ist, die Unruhe in der Union.
    Ein diffuser Zustand der Zukunftsangst
    Michael Stürmer: Die geht sehr tief. Natürlich ist man nach außen loyal, aber nach innen doch sehr beunruhigt durch die sinkenden Zustimmungszahlen in den Meinungsumfragen und die Aussicht, in Bayern eine schwierige Koalition zu bilden, die Sonderstellung Bayerns einzubüßen, auch die Ablösung des bisherigen Fraktionsgeschäftsführers durch einen, der weiteren Öffentlichkeit ziemlich unbekannten Mann. Das ist, anekdotisch ausgedrückt, die Unruhe in der Union. Außerdem: Die Größenordnung der Probleme, die wir heute haben, die das Land heute hat, das die Regierungsparteien heute haben, ist so anders als alles, an was man gewöhnt ist. Das beunruhigt auch. Das gibt einen diffusen Zustand der Zukunftsangst.
    Armbrüster: Welche Art von Umbruch erleben wir jetzt in der Union? Was passiert da?
    Stürmer: Zunächst mal muss eine andere Generation herankommen. Die jetzt 60-, 70-Jährigen müssen sich an den Gedanken gewöhnen, dass sie entbehrlich sind. Wer aber ist trainiert? – Da kann man nur sagen: weltpolitisch niemand. Da ist Angela Merkel einsame Klasse. Nur spielt sie es nicht aus. Sie führt nicht, sie gibt auch keine inspirierende Rede. Schon wenn man ihr das vorschlagen würde, würde sie wahrscheinlich kühl abwinken und sagen, damit kann man die Politik nicht machen.
    Man kann sie aber doch machen, denn man darf die Basis nicht vergessen. Man darf nicht vergessen, dass die Populisten dem Volk nach dem Maul reden oder aufs Maul schauen, wie Luther das so schön gesagt hat. Es einfach damit abzutun, dass die große Unzufriedenheit im Lande, die ja dahinter steht, hinter diesem rasanten Aufstieg der AfD, dass die reale Gründe hat, das vermisse ich immer noch und solange das nicht aufgehalten ist und umgekehrt ist, wird es sehr, sehr schwierig für die Union. Die Tradition selber hilft ihr ganz wenig und Union ist ein Name und Name ist Schall und Rauch.
    Armbrüster: Herr Stürmer, ich würde ganz gerne noch mal auf die tatsächliche Lage in der Union zu sprechen kommen. Vielleicht können wir über die AfD gleich noch sprechen.
    Stürmer: Ja.
    "Merkel muss jetzt werben, sie muss auf Leute zugehen"
    Armbrüster: Wie gefährlich ist das alles jetzt tatsächlich für Angela Merkel, vor allen Dingen für ihre Position als Parteichefin und als Kanzlerin? Steckt sie schon mitten drin im Führungswechsel, oder ist so etwas völlig verfrüht zu sagen?
    Stürmer: Das gehört zu den "arcana imperii", den Geheimnissen des Regierens. Wir wissen es nicht. Angela Merkel ist sicherlich für eine Überraschung gut. Sie kam ja auch an die Nummer eins, an die Pool Position durch eine Überraschung, nämlich einen Brief an die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", in dem sie den Ehrenvorsitzenden praktisch aus dem Spiel nahm, um es sehr vornehm auszudrücken.
    Ja, das ist der eigentliche Gegenstand. Aber das Traurige ist: Über den Gegenstand kann nicht gesprochen werden. Sie ist sozusagen ein Hauptdarsteller, der unsichtbar ist. Denn natürlich macht man sich Gedanken, schon aus Job Security Gründen, aus Positionssicherheit. Man will ja bei der nächsten Wahl nicht ins große schwarze Loch fallen. Außerdem gibt es einen Erhaltungsinstinkt politischer Parteien und das ist eine Führungsfrage, und in dieser Führungsfrage ist Frau Merkel nicht mehr so, wie sie früher war: sehr stark. Es hieß, sie ist die mächtigste Frau der Welt. Vor zwei Jahren wurde damit, ich glaube, in der "Financial Times" in London aufgemacht. Das ist vorbei. Sie muss jetzt werben, sie muss auf Leute zugehen, die sie bisher gar nicht einer größeren Ansprache für würdig befunden hat. Für Frau Merkel wird es sehr viel schwieriger. In ihrer Natur liegt ja nicht der große Schwung, das Charisma, eine Portion Churchill, sondern in ihrer Natur liegt das vorsichtige Vortasten. Sie sagt selber, sie fährt auf Sicht, was man bisher eigentlich nicht als Kompliment gemeint hatte. Das Interessante ist: Es ist eine Krise, die sich so nicht nennt, und das ist ein Gegenstand, der so nicht im Mittelpunkt des Geredeten und Gehörten liegt. Insofern hat die CDU erhebliche Probleme.
    "Die Leute wollen einbezogen werden"
    Armbrüster: Was ist denn Ihre Meinung oder Ihre Ansicht zu dem, was die Führungsriege in der CDU zu diesem Führungsstil von Angela Merkel sagt? Haben die den Stil von Merkel inzwischen satt und können wir uns dann darauf einstellen, wenn sie abtritt, dass dann ein völlig neuer Typus von CDU-Chef an ihre Stelle tritt?
    Stürmer: So mit dem "völlig neu" hat die CDU es nicht. Aber die Leute wollen einbezogen werden. Es ist sehr selten, dass Frau Merkel mal eine Fraktionssitzung einberuft zu wesentlichen Dingen. Man muss aber nicht nur die Fraktion mitnehmen; man muss auch die Partei mitnehmen. Und man muss letzten Endes versuchen, einen möglichst großen Teil des Volkes mitzunehmen. Ohne das Volk geht es nun mal nicht in der Demokratie. Das sind alles Sorgen, ob da der bisherige Stil von Frau Merkel – und das ist wesenhaft bei ihr: Das kann sie nicht einfach ändern, indem sie eine Nachhilfestunde in Populismus nimmt. Das geht nicht. Das darf man auch nicht erwarten und verlangen, sondern sie ist sie und wird es bleiben und wird damit stehen oder untergehen, und früher oder später gehen sie alle unter.
    Armbrüster: Aber muss man nicht auch sagen, sie ist nach wie vor, wenn man sich die Umfragen ansieht, eine sehr beliebte, auch in der Bevölkerung beliebte Politikerin?
    Stürmer: Ja, das ist richtig. Aber so beliebt nun auch nicht. Unter ihrer Führung oder Nichtführung ist die CDU von etwas über 40 auf etwas über 30 abgerutscht. Das ging erst langsam über Jahre und in den letzten zwei Jahren seit 2015 ist es sehr schnell gegangen. Insofern ist sie auch die Einzige, von der man sich vorstellen kann in der Partei, dass sie weiter führt. Wenn es da so einen strahlenden Kronprinzen gäbe, der jetzt auf allen Marktplätzen steht und den Leuten die Welt erklärt und die Zukunft und ihnen versichert, dass es nicht schlechter wird, sondern dass alles noch viel besser wird, dann wäre das nicht der Fall, aber den gibt es ja nicht.
    "Schäuble, der beste Kanzler, den wir nie hatten"
    Armbrüster: Sie kennen sich ja nun etwas aus mit der Partei, haben sie jahrzehntelang beobachtet. Vielleicht kann ich Sie trotzdem mal fragen: Was ist denn Ihr Tipp? Wer steht ganz oben auf dem Ticket?
    Stürmer: Oh, da kann man sich schwer vertun, und es wäre zu früh. Wer auf die Bühne tritt, der zieht zu viele Pfeile auf sich, nicht nur die Blicke, sondern auch die Pfeile auf sich. Deshalb ist das sehr schwierig vorherzusagen.
    Natürlich: Schäuble war der beste oder ist der beste Kanzler, den wir nie hatten, aber es gibt keinen zweiten Schäuble.
    Armbrüster: Jens Spahn?
    Stürmer: Zu jung, zu eindimensional oder anderthalbdimensional, wenig bekannt jenseits der Partei, und Gesundheit als Ressort ist auch nicht das, womit man Ruhm erwerben kann.
    Kramp-Karrenbauer: "eine Art Klon von Frau Merkel selber"
    Armbrüster: Annegret Kramp-Karrenbauer?
    Stürmer: Zu sehr eine Art Klon von Frau Merkel selber. Das, glaube ich, wird schwierig. Für welche Themen steht Annegret Kramp-Karrenbauer? Für welche Themen steht sie? Sie war im Saargebiet eine erfolgreiche Ministerpräsidentin. Sie hat auch Fähigkeiten der Organisationsführung, der Menschenführung. Aber das alles strahlt nicht aus. Sehen Sie, wir sind in einer schweren Doppelkrise unserer Politik. Wir haben den Zusammenbruch oder das Zerbrechen unseres äußeren Handlungsrahmens, und es wird weitergehen. Was wir bisher an Völkerwanderung gesehen haben, ist ja nur der Anfang. Und wir haben im Innern eine schwere Krise, weil das ganze Parteiengefüge sich radikal verändert und niemand weiß, wohin es wirklich geht.
    Armbrüster: Bis wann werden wir dann sehen, dass es bei der CDU eine Veränderung an der Spitze gibt?
    Stürmer: Ich würde mal sagen, bis Weihnachten wird es schon deutlich sein müssen, denn dann kommen Wahlen und man kann nicht aus dem Stand einen so schweren Dampfer umdrehen. Ich bitte um Verzeihung für die falschen Metaphern. Man kann diesen Dampfer nicht so schnell umsteuern. Da braucht man unter anderem auch Zeit, aber man braucht vor allem Überzeugungskraft und man braucht dieses Fluidum, was man nennt Charisma.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.