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Unions-Kanzlerkandidat
Laschet: Europäischer Schulterschluss bei internationalen Krisen nötig

Armin Laschet (CDU) dringt auf eine stärkere europäische Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Bei den nächsten EU-Gipfeln müsse etwa erörtert werden, wie man auch dann souverän und handlungsfähig bleibe, wenn die USA sich nicht beteiligten, sagte der Kanzlerkandidat der Union im Dlf.

Armin Laschet im Gespräch mit Stephan Detjen |
Mit Blick auf den internationalen Einsatz in Afghanistan spricht sich Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet dafür aus, Europa zu eigenständigen größeren Missionen zu befähigen. "Wir werden nicht ein ganzes Land wie Afghanistan alleine tragen können. Dazu brauchen wir auch in Zukunft die Nato", sagte der CDU-Vorsitzende im Dlf. Aber Europa solle schon die Ambition haben, einen Flughafen wie den in Kabul sichern zu können, um eigene Staatsbürger und Ortskräfte herauszuholen.
Er plädierte dafür, die Kooperation der europäischen Länder in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die seit mehr als 20 Jahren angestrebt werde, zu verbessern und auszubauen. Damit solle Handlungsfähigkeit auch dann gewährleistet werden, wenn die USA sich nicht beteiligten. Ob die Verteidigungsausgaben im Bundestag dann deutlich steigen müssten, um dieses Ziel zu erreichen, beantwortete der Unionspolitiker nicht.
Armin Laschet, CDU-Kanzlerkandidat, CDU-Bundesvorsitzender und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Markus Söder, CSU-Vorsitzender und Ministerpräsident von Bayern, geben nach der Klausur der Spitzen von CDU und CSU eine Pressekonferenz zum gemeinsamen Wahlprogramm für die Bundestagswahl.
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Laschet plädiert für europäische Gefährderdatei

Auch bei der Zusammenarbeit der Nachrichtendienste brauche es "mehr Europa", erklärte der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Im Kampf gegen den Terror müssten auch die Nachrichtendienste auf eine gemeinsame Kartei von Gefährdern zurückgreifen können. Die Anschläge etwa in Frankreich 2015 zeigten: "Terroristen arbeiten über Grenzen hinweg. Aber wir haben bis zur Minute nicht einmal eine gut funktionierende Gefährderdatei, sodass Frankreich und Deutschland und Belgien die exakt gleichen Namen der Gefährder kennt und untereinander austauscht."
Migrationspolitik der EU
Darüber hinaus gebe es Bedarf an mehr Zusammenarbeit in der Migrationspolitik auf europäischer Ebene, etwa durch Schaffung eines gemeinsamen Erfassungssystems für Asylanträge und im Idealfall auch eine Verteilung Geflüchteter über Europa nach "gerechten Schlüsseln". Ebenso wichtig sei zudem, den Schutz der EU-Außengrenzen wie etwa der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei nicht nur einem Land zu überlassen. Dort müsse Frontex "illegale Migration, Menschenhandel und andere Kriminalität unterbinden und mit den Ländern auf der anderen Seite der Grenze, in diesem Fall der Türkei, auch über Rücknahme verhandeln", sagte der Unionspolitiker.
Aufnahme von Menschen aus Afghanistan
Laschet sprach sich im Interview der Woche außerdem für ein verstärktes Engagement der Bundesländer bei der Aufnahme von gefährdeten Menschen aus Afghanistan aus. Er forderte, mehr Länder sollten die rechtliche Möglichkeit nutzen, Landesaufnahmeprogramme einzurichten. Zuletzt hatte das Bundesinnenministerium die notwendige Zustimmung dazu verweigert. Der Unionspolitiker geht aber davon aus, dass das Bundesinnenministerium dies künftig ermöglichen werde.
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In Bezug auf die Bundestagswahl bekräftigte der Unions-Kanzlerkandidat seine Warnung vor einem Linksbündnis. Er spreche nicht von einem Schreckgespenst, sondern es sei eine reale Möglichkeit, dass eine Regierung aus SPD, Grünen und Linken entsteht. Doch die wäre aus seiner Sicht "ein Schaden für Deutschland, sowohl für die Stabilität als auch für den Wohlstand". Zudem sagte Laschet zur Koalitionsbildung: "Nicht der, der auf Platz 1 liegt, wird automatisch Bundeskanzler. Dennoch habe ich die Absicht, auf Platz 1 zu liegen und Bundeskanzler zu werden."

Das vollständige Interview:

Stephan Detjen: Dieses Wochenende soll die Wende für Ihren Wahlkampf bringen. Bei der CSU gab es gestern langen Applaus. Das Störfeuer aus Bayern scheint - zumindest vorläufig - eingestellt zu sein. Heute Abend müssen Sie vor allem gegen Olaf Scholz im Fernseh-Triell punkten. Die Frage aber ist ja, ob es überhaupt möglich ist, einen so verfestigten Trend, wie wir ihn in den vergangenen Wochen gegen Ihre Partei gesehen haben, auf den letzten Metern eines Wahlkampfes noch mal zu drehen. Fällt Ihnen irgendein Wahlkampf der Vergangenheit ein, in dem das so kurz vor dem Wahltag noch gelungen wäre?
Armin Laschet: Es gibt sehr viele Wahlen. Die letzte Wahl in Sachsen-Anhalt war so, dass alle gesagt haben, es gibt ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen AfD und CDU. Und das absolute Gegenteil war der Fall. Also, ich glaube, viele Menschen haben sich noch nicht entschieden. Es ist eine Richtungsentscheidung, um die es geht. Und deshalb kämpfen wir dafür, dass wir am 26. September eine Mehrheit haben.
Detjen: Das Besondere in Sachsen-Anhalt bei der Landtagswahl im Juni, die Sie jetzt angesprochen haben, war aber natürlich, dass da die Angst vor einem möglichen Wahlsieg der AfD der CDU noch mal Wähler zugetrieben hat. Glauben Sie, dass Sie jetzt mit dem Schreckgespenst eines linken Regierungsbündnisses ähnlich mobilisieren können, obwohl die Skepsis gegenüber einer von Ihnen geführten Regierung - zum Beispiel im Polit-Barometer in der letzten Woche - bei den Wählerinnen und Wählern fast genauso groß ist wie die gegenüber einer linken Regierungsbeteiligung?
Laschet: Sie haben mich gefragt, ob es schon mal einen solchen Fall gab. Der war Sachsen-Anhalt. Natürlich ist der nicht vergleichbar, sondern die Bürger …
Detjen: … aber die Zahlen waren anders. Die Entwicklung, die Dynamiken vorher.
Laschet: Lieber Herr Detjen, wollen wir nicht die Geduld aufbringen, diese 14 Tage jetzt einfach die Bürger sprechen zu lassen. Die stimmen ab. Nicht Klickumfragen oder was auch immer. Und die werden sich ein Bild davon machen: Was steht eigentlich auf dem Spiel? Und das ist kein Schreckgespenst, was ich beschreibe, sondern es ist eine reale Möglichkeit, dass eine Regierung aus SPD, Grünen und Linken entsteht. Und die Programme sind in vielem sehr ähnlich. Die haben die gleichen Systematiken. Steuererhöhungen, neue Belastungen. Bei der Linken außenpolitisches Irrlichtern. Das haben die anderen beiden Wettbewerber nicht in ihren Programmen. Aber eine solche Regierung wäre ein Schaden für Deutschland. Sowohl für die Stabilität als auch für den Wohlstand. Und wir wollen mit unserem Programm Deutschland jetzt modernisieren, aber in den wesentlichen Fragen der deutschen Politik Stabilität einhalten. Und das ist unser Angebot an die Bürger.

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Detjen: Greifen wir mal die außenpolitischen und internationalen Aspekte raus, die Sie jetzt auch gerade angesprochen haben. Sie haben am Freitag ein Grundsatzpapier der CDU vorgestellt, in dem es um Sicherheit geht. "Agenda für ein sicheres Deutschland". Es geht um innere, um äußere Sicherheit. Und weil sich gestern auch die Terroranschläge in den USA von 2001 gejährt haben, will ich vor allem darüber sprechen, über internationale europäische Aspekte. Der gemeinsame NATO-Einsatz nach 9/11 endete bitter. Sie haben im ersten Fernseh-Triell von einem Desaster gesprochen. Welche Lehren ziehen Sie daraus?
Laschet: Also, es war ein Desaster am Ende. Aber wenn wir uns nochmal erinnern und wir haben ja gestern alle noch einmal diese Bilder vom 11. September gesehen, dann war das einer der größten, wenn nicht der größte Terroranschlag auf die westliche Welt mit den dramatisch einstürzenden Türmen des World Trade Centers und fast 3.000 Toten. Und das Ganze ist entstanden in der Planung in Afghanistan, in einem Land, wo ein rechtsfreier Raum entstanden ist, von dem Terroristen aus weltweit agieren konnten. Und das war der Grund, weshalb dann die NATO den Bündnisfall ausgerufen hat und diese terroristischen Quellen bekämpft hat. Dieser Teil ist gelungen.
Taliban-Kämpfer in der afghanischen Stadt Kandahar am 13. August 2021 
Diese Strategie verfolgen die Taliban
In Afghanistan haben die Taliban die Macht übernommen. Ihre überraschend schnellen militärischen Erfolge sind auch auf Fehler des Westens zurückzuführen. Wie organisieren sich die Taliban und was kommt nun auf die afghanische Bevölkerung zu?
Es gibt heute Al-Kaida und Osama bin Laden und die gesamte Organisationsstruktur in Afghanistan nicht mehr. Und das, worauf es jetzt ankommt – und das ist ja Ihre Frage – ist, dass nicht wieder so etwas entsteht. Dass man der neuen Taliban-Führung deutlich macht, dass wir nicht akzeptieren werden, dass wieder ein Raum entsteht, von dem Terrorismus gegen die gesamte Welt ausgeht. Und diese Gefahr ist überall auf der Welt latent vorhanden. Wir wussten, als der IS große Teile Syriens beherrschte, dass von der dort Terroranschläge in Europa geplant wurden. Wir kennen die instabile Lage im Irak. Und wir sind mit der Bundeswehr derzeit in Mali, um zu verhindern, dass dort ebenfalls Terroristen die Mehrheit südlich der Sahara in einem Entwicklungsland gewinnen. Das muss immer der Blick sein. Äußere Sicherheit garantieren, um auch bei der inneren Sicherheit Schutz zu haben vor internationalem Terrorismus.

Laschet zu Mali: "Rückzug ist keine Option"

Detjen: Sie sprechen Mali an. Das ist interessant, weil Sie in der hinter uns liegenden Woche ja auch in Paris waren, dort mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron gesprochen haben. Wahrscheinlich war das auch ein Thema. Macron hat ja den französischen Kampfeinsatz, die Operation Barkhane, schon abgebrochen bzw. das Ende eingeleitet. Was ist Ihre Konsequenz aus den Lehren nach Afghanistan für den jetzt größten Bundeswehreinsatz im Ausland, für die Mali-Mission? Verstärktes, dauerhafteres Engagement? Oder rechtzeitiger Abbruch und Rückzug?
Laschet: Also, Rückzug ist keine Option, weil die beiden Einsätze nicht vergleichbar sind und es in unserem Interesse ist, dass südlich der Sahara nicht ein instabiler Zustand entsteht, in dem islamistische Terroristen ein Aktionsfeld finden. Und in der Tat war das auch Bestandteil der Gespräche mit Präsident Macron. Man muss gemeinsam mit Frankreich jetzt die nächsten Schritte überlegen. Es gibt ja zwei Missionen in Mali. Eine, die die Regierung vorbereitet auf eigene Verteidigung und sie unterstützt. Und das andere ist ein Mandat der Vereinten Nationen. Und dies weiterzuentwickeln, wird die Aufgabe einer nächsten Regierung sein. Nur eines ist klar: Wir müssen Frankreich signalisieren, wir werden das zusammen machen. Und die Vorstellung, Deutschland geht jetzt nach Afghanistan auch aus diesem Einsatz heraus, ist keine, die die Welt sicherer macht.
Der neue starke Mann in Mali, Oberst Assimi Goita, spricht in Mikrophone.
Können internationale Missionen Mali stabilisieren?
Der neuerliche Militärputsch und die anhaltende politische Instabilität im Land werfen allerdings erneut die Frage auf: Bringen Ausbildungs- und Stabilisierungseinsätze wie EUTM und MINUSMA wirklich etwas?
Detjen: "Weiterentwickeln", diesen Einsatz, haben Sie gesagt. Schließt das die Bereitschaft ein, auch das deutsche Engagement mit der Entsendung von Soldaten noch mal zu verstärken? Und ich schließe da noch eine zweite Frage gleich an: Sie haben ja sozusagen einen Maßstab, eine Messlatte formuliert für das, was auch europäisches Engagement, Verteidigungsfähigkeit in der Zukunft bedeuten muss. Sie haben gesagt: Europa muss zukünftig in der Lage sein, so einen Flughafen wie Kabul auch ohne die Amerikaner zu sichern. Was heißt das konkret? Welche Kapazitäten braucht man dafür?
Laschet: Ja, das Letzte kann man klar beantworten. Wir haben während der Balkankriege in den 90er-Jahren erlebt, dass es Massenvergewaltigungen, Vertreibungen gab. Es gab das schreckliche Massaker von Srebrenica. Und Europa hat zugeschaut. Es war vor unserer Haustür. Und wir konnten nichts machen, um dieses Treiben von Milosevic und seiner Armee damals zu stoppen. Und erst die Amerikaner haben dann zusammen mit uns diesen Einsatz beendet. Und ein friedliches Bosnien-Herzegowina zum Beispiel möglich gemacht. Und dann hat Europa gesagt, jetzt brauchen wir eine europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die hat man dann 1999 beschlossen. Und das ist 20 Jahre her. Und wenn wir heute sehen, wie weit wir da sind, dann gibt es zwar eine verstärkte Kooperation. Aber wir sind noch nicht in der Lage, wirklich größere Missionen, auch für den Fall, dass die Amerikaner sich einmal nicht beteiligen, durchzuführen. Und da habe ich als Beispiel den Flughafen von Kabul genannt. Wir werden nicht ein ganzes Land wie Afghanistan alleine tragen können. Dazu brauchen wir auch in Zukunft die NATO. Aber die Ambition zu haben, einen Flughafen zu sichern, um eigene Staatsbürger, europäische Staatsbürger, Ortskräfte, die mit uns zusammengearbeitet haben, herauszuholen, die sollte Europa schon haben. Und deshalb ist das ein Thema, das auf den nächsten europäischen Gipfeln erörtert werden muss. Wie können wir handlungsfähig werden? Wie können wir souverän werden, auch für den Fall, dass die USA sich nicht beteiligt?

"Kräfte in Europa bündeln"

Detjen: Aber, wenn man mit Militärs spricht in diesen Tagen, auch nach der Erfahrung von Kabul, dann wird ja sehr deutlich, was das bedeutet. Da geht es um Lufttransportkapazitäten. Da geht es um schnelle, mobil einsetzbare Kampftruppen. Da geht es um Überwachung, um Intelligence, also um nachrichtendienstliche Fähigkeiten. Wenn man sich das anschaut: Reichen die jetzt projektierten Verteidigungsausgaben auch in der Bundesregierung dafür aus? Oder ist schon absehbar, dass eine nächste, dann vielleicht von Ihnen geführte Bundesregierung diese Ausgaben noch mal deutlich erhöhen muss, um ein solches Ziel zu erreichen?
Laschet: Also, Sie haben da zwei Beispiele angesprochen. Das eine sind die Lufttransportkapazitäten. Dazu gibt es eine deutsch-französische Lufttransportstaffel, wo sowohl Piloten als auch Mechaniker eng zusammenarbeiten. Und meine Auffassung ist, wenn wir unsere Kräfte in Europa bündeln, wenn wir nicht jeder für sich seine eigenen Systeme entwickeln, sondern Kapazitäten wirklich zusammenführen, können wir mehr erreichen als wir heute erreichen als wir heute erreichen. Und deshalb ist diese Luftstaffel, Lufttransportstaffel ein ganz wichtiges Element. Und das Zweite, Sie haben die Nachrichtendienste angesprochen, auch da brauchen wir mehr Europa. Bei meinem Besuch bei Präsident Macron an diesem Tag hat in Frankreich der Prozess gegen die Bataclan-Attentäter begonnen. An diesem Terroranschlag auf Paris kann man sehr klar erkennen: Die Täter lebten in Brüssel, waren zuvor durch Deutschland gereist und haben den Anschlag in Paris verübt. Das heißt, Terroristen arbeiten über Grenzen hinweg. Aber wir haben bis zur Minute nicht einmal eine gut funktionierende Gefährder-Datei, sodass Frankreich und Deutschland und Belgien die exakt gleichen Namen der Gefährder kennen und untereinander austauschen. Und deshalb werden auch die Nachrichtendienste und die Sicherheitsbehörden hier enger zusammenarbeiten müssen. Und für das Inland habe ich gesagt, wir brauchen einen nationalen Sicherheitsrat im Kanzleramt, wo die Informationen der Ministerien, der Botschaften, der Sicherheitsdienste, aber auch der Sicherheitsdienste der Länder zusammenlaufen und wo dann entschieden wird. Dieser Fall, dass über Wochen nach der Abzugsankündigung der Amerikaner im April einzelne Bundesministerien hin und her prüfen und argumentieren, aber am Ende viel zu spät entschieden wird, die Ortskräfte aus dem Land zu bringen, das darf sich nicht wiederholen.
Detjen: Wir sprechen über Europa, Herr Laschet. Europa definiert sich, zeigt sich auch an seinen Außengrenzen. Auch das ist Thema in Ihrem Sicherheitspapier. Sie fordern einen Ausbau der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Wenn wir etwa in Litauen, in Bulgarien, in Ungarn, in Griechenland an die Außengrenzen schauen, dann sehen wir da – wir haben auch im Deutschlandfunk immer wieder darüber berichtet – wie dort Flüchtlinge, Schutzsuchende, auch unter Mitwirkung von Frontex oder dem Zuschauen von Frontex, mit Polizeigewalt zurückgedrängt werden. Das nennt man rechtswidrige Push-Backs. Wie stellen Sie sich Grenzschutz an den EU-Außengrenzen konkret vor?
Laschet: Also, ich habe ja selbst die Insel Lesbos besucht. Und auf Lesbos können Sie beides feststellen. Sie haben zum einen Flüchtlinge, die den Boden Europas erreicht haben. Und meine Grundauffassung ist: Wir dürfen nicht sagen, sie sind in Griechenland, sie haben griechischen Boden betreten, sondern sie haben europäischen Boden betreten. Und deshalb muss auch ganz Europa diese Aufgabe mitschultern. Man muss die Griechen dabei unterstützen, die Menschen menschenwürdig unterzubringen. Man braucht ein gemeinsames Erfassungssystem, wo sie ihre Asylanträge stellen können. Und man braucht im Idealfall, das ist bisher noch nicht gelungen, auch eine Verteilung über Europa nach gerechten Schlüsseln. Das kann man nun einem Land, wenn es sich partout weigert, nicht aufdrängen. Aber an mehr Solidarität zu arbeiten in Europa, ist eine wichtige Frage. Und der zweite Teil, den Sie dort auch sehen können, die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei sind zwölf Kilometer. Man kann quasi das andere Ufer sehen. Und das ist eine EU-Außengrenze. Und die zu schützen, kann nicht alleine Aufgabe der griechischen Küstenwache sein. Es ist eine europäische Grenze. Und deshalb muss Frontex illegale Migration, Menschenhandel und andere Kriminalität unterbinden und mit den Ländern auf der anderen Seite der Grenze, in diesem Fall der Türkei, auch über Rücknahme verhandeln. Das kann man nicht einem Mitgliedsstaat alleine überlassen.

"Wenn jemand auf sicherem Boden ist, muss man dort helfen"

Detjen: Ja, Herr Ministerpräsident, die Frage ist, wie das konkret geschieht. Und das war ja auch 2015 auch in Deutschland dann der Streitfall. Mit Polizeigewalt, mit Knüppeln, mit Wasserwerfern notfalls? Oder anderes Beispiel: Die Nachrichtenagentur dpa hat kürzlich aufgeschlüsselt, etwa die Hälfte der EU-Staaten baut zurzeit Zäune und Mauern an den EU-Außengrenzen. Österreich selbst an der Schengen-Grenze zu Slowenien. Angela Merkel hat 2015 gesagt: Zäune helfen nicht. Ist das - also Zäune, Grenzbefestigungen - ist das ein Problem in Europa oder die Lösung der Probleme für Europa?
Laschet: Also, das Erste ist: 2015 war ja die Situation, dass die Menschen bereits aus Syrien geflohen waren und auf sicherem Boden in der Türkei waren, dort der hohe Kommissar für Flüchtlinge und UNICEF sich um die Menschen gekümmert haben, aber dann die internationale Gemeinschaft die Essensrationen für die Menschen dort gekürzt hat und dann alle in Verzweiflung quasi aufs Meer gegangen sind in sehr großer Zahl. Und das ist das, was man präventive Politik nennt. Wenn jemand auf sicherem Boden ist, muss man dort helfen. Das tun wir derzeit auch in Afghanistan, in den Nachbarländern, also nicht in Afghanistan, sondern in Pakistan, im Iran, in der Türkei, also in den Nachbarländern, wo Menschen gelandet sind. Und dann braucht man ein reguläres Migrationssystem, wo man deutlich machen kann, dass man politisch verfolgt ist und dann in die Europäische Union einreist. Wer nicht verfolgt ist, muss dann auch wieder zurückgeführt werden. Das ist die Idee des EU-Türkei-Abkommens und das funktioniert.
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Die Migrationsexpertin Petra Bendel plädiert für einen arbeitsteiligen Ansatz bei der Aufnahme von aus Seenot geretteten Flüchtlingen in Europa. Die EU selbst habe keine Befugnis, Seenotrettung zu betreiben, könne aber die Programme der Mitgliedsstaaten koordinieren, sagte sie im Dlf.
Detjen: Bloß, Ihre Vorstellung wirklich wie es an den EU-Außengrenzen aussehen soll, auch mit Blick, was da geschieht, ist mir noch nicht ganz klar geworden. Aber nehmen wir mal das Thema reguläre oder geregelte Migration auf. Auch da nach Afghanistan ein aktueller Diskussionspunkt. Sie haben nach dem Abzug der NATO-Truppen spontan sehr schnell angekündigt, 1.000 Frauen, bedrohte Frauen aus Afghanistan, Bürgerrechtlerinnen, Rechtsanwältinnen in Ihrem Land, in Nordrhein-Westfalen, aufzunehmen. Auch andere Bundesländer haben Landesaufnahmeprogramme angekündigt, etwa das CDU-geführte Schleswig-Holstein. Sollten mehr Bundesländer jetzt wieder auf diesem rechtlich möglichen Weg humanitäre Zeichen setzen?
Laschet: Ich denke ja. Aber unser Hauptziel muss im Moment sein, dass überhaupt diese bedrohten Personen das Land verlassen können. Wir haben ja immer noch Ortskräfte, die eine Berechtigung haben, nach Deutschland zu kommen, wo wir ebenfalls die Aufnahme zugesagt haben. Das muss ja auch alles in den Kommunen vorbereitet werden, wenn Ortskräfte mit ihren Familien eintreffen. Derzeit ist die Ausreise aber sehr erschwert möglich. Es gibt jetzt immer wieder mal einzelne Fälle auf dem Luftweg. Wir erwarten, dass auch die Taliban auf dem Landweg freies Geleit für die geben, denen in Deutschland ein Aufenthaltsrecht zusteht. Und die Gruppe der Frauen, der Journalistinnen, der Bloggerinnen, die sich politisch engagiert haben und jetzt besonders bedroht sind, das ist eine Erweiterung dieses Kreises. Und das Hauptziel muss auch hier sein, von der talibanischen Regierung zu erwarten, dass sie hier Ausreisen ermöglichen. Und dann müssen wir bereit sein. Und dann, bin ich sicher, werden auch mehrere Länder hier Hilfe leisten.
Detjen: 2013 haben das mit Blick auf syrische Flüchtlinge und deren Angehörige auch alle Bundesländer schon gemacht, mit Ausnahme von Bayern. Das Problem ist: Das Bundesinnenministerium muss zustimmen und hat jetzt jedenfalls verschiedenen Bundesländern diese Zustimmung nicht gegeben. Sollte Seehofer, sollte das Bundesinnenministerium da offener sein, solche Programme der Länder ermöglichen?
Laschet: Ich glaube, wenn der Fall eintritt, wird auch das Bundesinnenministerium das ermöglichen. Im Moment haben wir noch keine große Zahl, sodass man darüber entscheiden könnte. Es gab auch das Programm, das Baden-Württemberg damals gemacht hat zu Gunsten von Jesidinnen, die nun besonders unter dem IS gelitten haben. Also, wenn die Möglichkeit da ist, bedrohten Frauen zu helfen, bin ich sicher, finden wir auch auf der Bundesebene die Zustimmung.

Laschet zu Hambacher Forst und Klimapolitik

Detjen: Herr Ministerpräsident, noch einmal ein Themenwechsel. Das Verwaltungsgericht Köln hat in dieser Woche die von Ihrer Regierung angeordnete Räumung des Hambacher Forstes 2018 für rechtswidrig erklärt. Und das Gericht sagt, die von der Regierung vorgetragenen Argumente seien nur vorgeschoben gewesen. Sie haben damals auch, auf einem Video dokumentiert, gesagt, man habe nur einen Vorwand gebraucht, um die Demonstranten aus dem Wald zu bringen. Haben Sie damals einen Fehler gemacht?
Laschet: Also, mich wundert, dass das Gericht – und deshalb wird man das auch noch mal überprüfen müssen, es ist ja noch nicht rechtskräftig, das Urteil – das Thema Brandschutz so bewertet, wie es das bewertet. Wir haben erst vor einem Dreivierteljahr einen Fall gehabt, dass es in einem der Baumhäuser gebrannt hat, ein Mensch schwer verletzt war, die Rettungskräfte kaum in den Wald hineinkonnten, über all die Barrikaden, die da waren und der dann mit Mühe und Not in das Universitätsklinikum nach Aachen gebracht werden konnte, um sein Leben zu retten. Jedem normalen Menschen ist doch eigentlich offenkundig, wenn sie mitten in einem Wald Häuser errichten und dort Öfen haben und elektrischen Strom haben, dass es da eine Brandschutzgefahr gibt. Das gilt ja für jeden Privatmann, der plötzlich ein Haus in einem Wald bauen würde. Und deshalb werden wir da noch einmal die ganze Sache rechtlich prüfen lassen. Wenn Gerichte entscheiden, dann ist es so. Aber mir erscheint da die Entscheidung der Bauministerin, die Kommunen anzuweisen für Brandschutz zu sorgen, berechtigt.
Detjen: Proteste gibt es ja nach wie vor. Wenn ich jetzt im Augenblick hier aus unserem Hauptstadtstudio auf die Wiese zwischen uns und dem Kanzleramt, in das sie einziehen wollen, schaue, sehe ich da auch wieder ein Protestlager, Zelte von Klimademonstranten. Wenn Sie Kanzler wären, könnten Sie da rausgehen und denen guten Gewissens sagen: 'Baut eure Zelte ab? Mit den Vorstellungen, die wir haben, mit den Vorstellungen, die ich auch mit meiner Partei, der CDU entwickelt habe, können wir die Klimaziele des Pariser Abkommens einhalten. Wir schaffen das'‘?
Laschet: Ja, das kann ich sicher sagen. Denn es gibt keinen Streit mehr über die Frage, ob wir bis 2045 Klimaneutralität gemäß des Pariser Abkommens erreichen wollen. Das sagen alle Parteien. Das sagt die amtierende Bundesregierung. Und wir müssen alles tun, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Das müssen wir schneller und früher erreichen.
Detjen: Und schon jetzt verfehlt Deutschland absehbar auch die selbst in Deutschland mit dem Klimaschutzgesetz gesteckten Ziele wieder. Experten sagen voraus, in drei Sektoren werden 2021 die Ziele nicht erreicht. Das heißt dann auch für die nächste Bundesregierung, kostspielige Sofortprogramme aufzusetzen.
Laschet: Ja, das heißt zunächst mal für die nächste Bundesregierung, dass sie sich konzentriert auf das, was jetzt erforderlich ist. Dazu haben wir ja ebenfalls Vorschläge vorgelegt, wie wir bei den regenerativen Energien weiterkommen können. Aber wir diskutieren vieles in diesem Wahlkampf an so Einzelpunkten, ob Tempo 130 oder nicht 130. Das kann man so oder so herum diskutieren. Nur, das wird diese riesige Aufgabe, vor der wir stehen, ja nicht lösen. Und die riesige Aufgabe wird sein, unsere Volkswirtschaft, unser Industrieland klimaneutral zu machen und trotzdem die Arbeitsplätze zu erhalten. Das ist die eigentliche Ambition. Also, Stahlindustrie beispielsweise. Nicht mehr durch Kohle und Eisenerz den Stahl zu produzieren, sondern Wasserstoff zu nutzen und neue Technologien einzusetzen. Das wird ein paar Jahre dauern. Wenn uns das gelingt, sind wir Vorbild in der ganzen Welt, haben die Wertschöpfungskette in Deutschland gehalten. Wenn wir es falsch machen, wenn man jetzt einfach CO2-Werte hochsetzt, wird die Stahlindustrie in Salzgitter, im Ruhrgebiet, im Saarland nicht mehr möglich sein. Dann wird Stahl produziert in Indien und China mit 10.000 Kilometern über die Weltmeere CO2-schädlich herbeigefahren. Und am Ende ist dem Weltklima nicht gedient. Also, man muss ja jede Maßnahme auch so machen, dass sie wirklich einen Effekt auf das Klima hat. Und deshalb, ein so großes Industrieland wie Deutschland zu transformieren und zur Klimaneutralität zu bringen, das ist das, was ich als Bundeskanzler mir vornehme. Transformation kenne ich aus Nordrhein-Westfalen. Wir haben hier die Steinkohle beendet. Wir beenden jetzt die Braunkohle. Und diese Erfahrung braucht man jetzt für ganz Deutschland.
Detjen: Lassen Sie mich, Herr Ministerpräsident, ganz am Ende des Interviews noch mal einen Blick auf den Tag nach der Wahl werfen. Christian Lindner hat am Dienstag in der Bundestagsdebatte in seiner Rede an das Jahr 1976 erinnert, in dem Helmut Kohl die Bundestagswahl gewonnen hat. CDU/CSU wurden die stärkste Fraktion, aber die FDP hat dann doch wieder den Ausschlag gegeben und Helmut Schmidt blieb Bundeskanzler, auch als Zweitstärkster. Ist das ein Modell? War das ein Wink mit dem Zaunpfahl? Würden Sie auch dann Gespräche über eine Regierungsbildung aufnehmen, wenn Olaf Scholz am Ende vor Ihnen liegt?
Laschet: Na ja, das müssen Sie jetzt Christian Lindner fragen. Ich meine, das ist eine ganz normale Beschreibung der Nachkriegsgeschichte.
Detjen: Die Frage an Sie ist, ob Sie auch als Zweiter Bundeskanzler werden wollen, wenn Sie es rechnerisch könnten?
Laschet: Passen Sie mal auf. Wir wählen bei der Bundestagswahl Parteien. Und Parteien bilden danach Koalitionen. Und diese Koalitionen müssen zusammenpassen. Und insofern ist das eine normale, banale Beschreibung, die Christian Lindner vorgegeben hat. Nicht der, der auf Platz 1 liegt, wird automatisch Bundeskanzler. Dennoch habe ich die Absicht, auf Platz 1 zu liegen und Bundeskanzler zu werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.