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Unions-Kritik an Merkel
"Von Putsch kann keine Rede sein"

Wollen Politiker der Union Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Fall bringen? Davon könne keine Rede sein, sagte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach im DLF. Allerdings wachse die Zahl der Unions-Politiker, die eine Kurskorrektur in der Flüchtlingspolitik forderten. Bosbach nahm außerdem Finanzminister Wolfgang Schäuble in Schutz.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Peter Kapern |
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach.
    Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach (pa/dpa/Wolf)
    Die Flüchtlingspolitik spaltet die Union. Diesen Eindruck bestätigte Bosbach im DLF. "Wir ringen in der Union um den richtigen Kurs", sagte er. Dabei habe die Partei in den vergangenen Tagen "nicht besonders elegant" ausgesehen. Dass Teile der Union die CDU-Chefin und Kanzlern stürzen wollen, glaubt Bosbach nicht. Auch nicht Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der die Flüchtlingsbewegungen nach Deutschland als eine "Lawine" bezeichnete. Er wundere sich, wie hart "die Sprachpolizei" hier mit Schäuble ins Gericht gehe.
    Auf die Frage, ob man von einem Putsch sprechen könne, antwortete Bosbach: "Davon kann keine Rede sein." Merkel mit ihrer "Wir schaffen das"-Haltung habe aus Sicht Bosbachs weiter viele Befürworter in der Partei. Allerdings wachse die Zahl der Zweifler immer mehr. Bosbach nahm die Kanzlerin teilweise in Schutz. Ihre Entscheidung aus dem Sommer, die Flüchtlinge aus Ungarn ins Land zu lassen, sei nicht der einzige Grund für den starken Zuzug nach Deutschland. Dabei müsse man auch die Fluchtursachen berücksichtigen.
    Andererseits betonte der CDU-Innenpolitiker, dass auch Deutschland bald wieder richtige Grenzkontrollen einführen müsse, wenn sich die Situation nicht bald verändere. Wenn etwa der Schutz der EU-Außengrenzen keine Wirkung zeige, dann bräuchte man "spätestens Ende des Jahres" solche Kontrollen.

    Das Interview mit Wolfgang Bosbach in voller Länge:
    Peter Kapern: Das klingt ja alles nicht schmeichelhaft, was da in den Kreisen der Union hinter vorgehaltener Hand über die Performance der Bundesregierung oder genauer gesagt über den Unionsteil der Bundesregierung zu hören ist. Kollegen, die aufmerksam in Berlin die Ohren spitzen, die hören da Begriffe wie "Kontrollverlust" oder "Rohrkrepierer" und dergleichen mehr. Die Begriffe beziehen sich auf das erstaunliche Schauspiel, das Kanzlerin, Innenminister, Kanzleramtsminister und Finanzminister derzeit im Rahmen der Flüchtlingspolitik bieten. Es ist eine wirklich schwierige Aufgabe, diese Vorstellung dem staunenden Publikum als gelungen zu verkaufen. Mal schauen, ob Wolfgang Bosbach von der Unionsfraktion das schafft. Guten Morgen, Herr Bosbach.
    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Bosbach, wenn Sie sich so umhören in Partei, Regierung und Fraktion, was hören Sie da? Was würden Sie sagen, was ist der Stand des Putsches gegen Angela Merkel?
    "Hohen Respekt vor Merkels politischer Lebensleistung"
    Bosbach: Von Putsch lese ich in den Medien mehr, als ich ihn in der politischen Praxis registrieren kann. Es sind allerdings viele Kolleginnen und Kollegen, die wie ich auch hin- und hergerissen sind: auf der einen Seite hohen Respekt vor der politischen Lebensleistung, vor der Arbeit der Bundeskanzlerin, vor ihrem Fleiß und ihrem Kenntnisreichtum ...
    Kapern: Das klingt ja schon wie ein Nachruf.
    Bosbach: ..., auf der anderen Seite Zweifel daran, dass wir das, was wir schaffen müssten, auch tatsächlich schaffen können, wenn die Zahlen so bleiben, wie sie in den letzten Monaten waren, und es gibt ja im Moment keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Zugangszahlen deutlich zurückgehen werden. Es gibt immer mehr, die eine Kurskorrektur für notwendig erachten.
    Kapern: Was haben Sie denn gegen den Begriff Putsch einzuwenden?
    Bosbach: Weil Putsch das heißt, dass sich ja ein Teil oder ein großer Teil, eine Mehrheit der Fraktion zusammenrottet, um die Kanzlerin aus ihrem Amt zu entfernen, und davon kann nun wirklich keine Rede sein.
    Kapern: Aber wenn der Bundesfinanzminister in aller Öffentlichkeit sich hinstellt und die Kanzlerin ja eigentlich wenig verhohlen als unvorsichtige Skifahrerin an den Hängen des Kanzleramts bezeichnet, wie soll man das dann interpretieren?
    "Wundere mich über die Sprachpolizei"
    Bosbach: Ich wundere mich schon, wie hart jetzt die Sprachpolizei mit Wolfgang Schäuble umgeht. Im Übrigen ist der Begriff Skifahrer, Skifahrerin gar nicht im Zusammenhang mit Kanzlerin gefallen. Ich gehe davon aus, dass er den Begriff der Lawine deshalb gewählt hat, weil es typisch ist für Lawinen, dass sie einen sich selbst verstärkenden Effekt haben. Und angewandt auf das Thema Zuzug von Flüchtlingen: Je mehr nach Deutschland kommen und Deutschland ist seit Monaten das Hauptzielland, desto mehr werden auch den Wunsch haben, weiter ganz gezielt nach Deutschland einzureisen, weil sich dort schon ihre Landsleute, Nachbarn und Verwandten befinden. Je mehr hier sind, desto mehr werden wohl kommen wollen.
    Im Übrigen, ich sage jetzt mal folgendes ganz ernst gemeint: Es ist offensichtlich ein ganz großer Unterschied, ob jemand aus der Abteilung Die Grünen ein Sprachbild benutzt oder jemand aus der Union. Als Claudia Roth von der "Verwertung von Flüchtlingen" sprach, war das völlig egal. Wenn Wolfgang Schäuble von einer Lawine spricht, ist es ein Skandal.
    Kapern: Nun habe ich ja gar nicht diesen Aspekt des Schäuble-Statements thematisiert. Sie haben da gewissermaßen von dem, was mir da akustisch aufgefallen ist als Beobachter, recht elegant abgelenkt. Ich würde gerne noch mal bei dem Bild der Skifahrerin bleiben. Wir haben in den letzten Wochen erlebt, wie Viktor Orbán und Horst Seehofer mit dem Finger auf Angela Merkel gezeigt haben und gesagt haben, die ist es gewesen, die hat die ganze Sache ausgelöst. Insofern ist es doch nicht verwunderlich, dass jetzt, wenn Wolfgang Schäuble von der Verursacherin oder dem Verursacher einer Lawine spricht, dass dann alle natürlich an die Kanzlerin denken.
    "Ein ganzes Bündel von Ursachen"
    Bosbach: Ja alle nicht. Ich gehöre nicht dazu. Aber es gibt auch nicht nur den einen Grund für diesen enormen Zuzug nach Deutschland, der ja auch viele Kommunen nicht nur herausfordert, sondern teilweise schon jetzt überfordert. Es gibt ein ganzes Bündel von Ursachen. Viele sagen ja, die Einreise der Flüchtlinge aus Ungarn Anfang September sei die eigentliche Ursache für den hohen Zuzug gewesen. Das war sicherlich ein Grund, weil Deutschland dadurch das Signal ausgesendet hat, auch wir, wie viele andere leider auch, setzen das Verfahren von Dublin außer Kraft und wir verzichten auf Grenzkontrollen, die diesen Namen tatsächlich verdienen. Aber die Fluchtursachen sind auch ganz andere und nicht nur diese Entscheidung.
    Kapern: Noch mal ganz kurz zurück, Herr Bosbach, zu dieser Formulierung von der Verursachung einer Lawine. Das wäre ja vielleicht gar nicht so bemerkenswert, jedenfalls für Journalisten, die ja da immer ganz hellhörig sind, wenn derselbe Finanzminister nicht wenige Tage vorher darüber Auskunft gegeben hat, dass Konrad Adenauer, als er das erste Mal Kanzler geworden ist, genauso alt gewesen sei wie Schäuble jetzt. Da kann man doch eins und eins zusammenzählen, oder?
    "Schäuble an Loyalität gegenüber der Bundeskanzlerin nicht zu überbieten"
    Bosbach: Ich gehe mal davon aus, dass das historisch richtig ist, und ich gehe ebenfalls davon aus, dass Wolfgang Schäuble nicht im Traum daran denkt, dazu beizutragen oder gar alleine zu bewirken, dass die Kanzlerin stürzt. Er ist an Loyalität gegenüber der Bundeskanzlerin nicht zu überbieten. Aber er weiß auch um die Verantwortung für das Land. Und vielleicht liegt es auch an folgendem: Wolfgang Schäuble war zweimal Innenminister. Er ist ja beim zweiten Mal sozusagen sein eigener Nachfolger geworden, und das ist noch nicht lange her. Er weiß genau um die Probleme, die wir im Moment haben, so wie Thomas de Maizière auch. Und es ist richtig: Wir ringen in der Union um den richtigen Kurs. Auf der einen Seite die Kanzlerin und viele Kolleginnen und Kollegen - das sollte man nicht unterschätzen -, die sagen, weiter so, wir schaffen das, und auf der anderen Seite - und dazu zähle ich jetzt mal, ich habe sie nicht gefragt, aber Thomas de Maizière, Wolfgang Schäuble, ich selber würde das übrigens auch so sagen -, wenn das so weitergeht, werden wir es leider nicht schaffen können, was wir eigentlich schaffen müssten.
    Die Kanzlerin setzt ganz auf Bekämpfung von Fluchtursachen, Hotspots, Verteilung der Flüchtlinge, sichere EU-Außengrenzen, und andere sagen, alles richtig, aber wann zeigen diese Maßnahmen endlich Wirkung und in welchem Umfange. Und wenn diese Maßnahmen nicht in absehbarer Zeit die erhoffte Wirkung zeigen, dann werden wir das geltende Recht konsequent anwenden müssen. Wir haben im Moment sozusagen die Registrierung oder Organisation der irregulären Zuwanderung. Dann werden wir zu echten Grenzkontrollen zurückkehren müssen, die diesen Namen auch tatsächlich verdienen, und zwar spätestens Ende des Jahres.
    Kapern: Das ist also das Ultimatum, das Sie der Kanzlerin stellen?
    "Es geht doch nicht um ein Ultimatum"
    Bosbach: Nein! Werfen Sie doch einmal einen Blick in die Kommunen unseres Landes, Es geht doch nicht um ein Ultimatum, sondern es geht darum, dass unser Asylrecht keine Obergrenzen kennt. Das stimmt. Aber das heißt doch nicht im Umkehrschluss, dass unser Land eine völlig grenzenlose, schrankenlose Kapazität hat bei der Aufnahme in die Gesellschaft, bei der Integration auf den Arbeitsmarkt. Wir brauchen schnelle Verfahren. Wir brauchen angemessene winterfeste Unterkünfte. Wie wollen wir das, was ich gerade als Notwendigkeit erkannt habe, alles schaffen, wenn acht, neun, zehntausend Flüchtlinge pro Tag kommen und wir im Moment in einem Monat wesentlich mehr Flüchtlinge aufnehmen als im gesamten Jahr 2014? Das kann doch nicht ohne Ende so weitergehen.
    Kapern: Zum Jahresende stellt sich die Frage, ob Deutschland die Grenzen dicht machen muss und Grenzkontrollen einführen muss. Wann stellt sich denn die Frage, ob die Regierung Merkel die Flüchtlingskrise überlebt?
    Bosbach: Ich habe daran keinen Zweifel, wenn wir die richtigen Entscheidungen treffen und wenn wir vor allen Dingen nach außen hin den Eindruck verstärken, dass wir gemeinsam an einer Lösung arbeiten, gemeinsam an einem Strang ziehen, und zwar in dieselbe Richtung. Und ich gebe Ihnen völlig zu - das haben Sie am Anfang des Gespräches leider richtigerweise erwähnt ...
    Kapern: ... tut mir leid!
    "Bundesinnenminister ist nicht der Leiter der Abteilung Innenpolitik im Kanzleramt"
    Bosbach: ... das, was wir in den letzten Tagen geboten haben, sah nicht besonders elegant aus. Aber die Wiedereinführung, hätte ich fast gesagt, das praktische Anwenden des Verfahrens von Dublin, Regelungen, Familiennachzug, subsidiärer Schutz, das sind doch alles Maßnahmen, die der Bundesinnenminister in eigener Ressortverantwortung getroffen hat, weil er doch sieht, dass es so wie zuletzt nicht ohne Ende weitergehen kann. Und der Bundesinnenminister ist nicht der Leiter der Abteilung Innenpolitik im Kanzleramt, sondern das ist der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland, der seine eigene Ressortverantwortung hat, und die nimmt er wahr.
    Kapern: Jetzt haben Sie uns ja erläutert, Herr Bosbach, gleich in mehreren Antworten, wie zerrissen die Union eigentlich ist in dieser Frage. Da gibt es die einen, die ein starkes Signal, ein starkes Umsteuern, eine völlig andere Flüchtlingspolitik, deutliche Signale nach außen fordern. Und da gibt es dann die anderen, die die Linie der Kanzlerin vertreten. Diese zweite Linie, die ich da gerade genannt habe, besteht die noch aus mehr Personen als nur Angela Merkel und Peter Altmaier?
    "Ohne Ehrenamt wäre der Staat längst kollabiert"
    Bosbach: Die besteht sogar aus wesentlich mehr Personen. Es stimmt, dass wir in der Fraktion um den richtigen Kurs ringen. Ich habe am Dienstag nicht gezählt, wer wie oft sich da zu Wort gemeldet hat mit welchem Inhalt der Wortmeldung, aber man spricht doch mit vielen Kolleginnen und Kollegen und es gibt eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die sagen, wir werden das schaffen. Ich füge immer hinzu, mit Verlaub, wenn wir dieses zehntausendfache ehrenamtliche Engagement in unserem Land nicht hätten, dann wären doch die staatlichen Möglichkeiten längst kollabiert. Wir setzen doch mittlerweile auf das ehrenamtliche Engagement, weil der Staat mit seinen Möglichkeiten längst überfordert wird.
    Aber ich sage Ihnen auch und da verrate ich kein Betriebsgeheimnis: Es gibt immer mehr Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion, die sagen, ich fürchte, wir werden es nicht schaffen, jedenfalls nicht das, was wir schaffen müssen - nicht weil es an Mitleid fehlt, an Empathie mit den Flüchtlingen, an Verständnis für die Fluchtbewegungen, sondern weil wir keine unendlichen Möglichkeiten haben. Jetzt macht auch noch Schweden dicht oder zumindest kehrt zu einer sehr restriktiven Politik bei der Zuwanderung zurück. Bis jetzt sind ja mehrere hundert Flüchtlinge jeden Tag nach Schweden ausgereist. Jetzt gibt es noch einen Rückstau oben im Norden von Deutschland und der Zuwanderungsdruck von Süden hält an. Das kann doch nicht ohne jede Auswirkung auf die politische Praxis in Deutschland bleiben.
    Kapern: ... sagt Wolfgang Bosbach von der Unions-Bundestagsfraktion heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Bosbach, danke für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
    Bosbach: Ich danke Ihnen. Danke!
    Kapern: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.