Die Landesinnenminister sollten den Kommunen für solche Fälle Regeln an die Hand geben, sagte Uhl. Hilfreich wäre auch eine Sprachregelung durch die Bundesregierung.
Das Interview in kompletter Länge:
Martin Zagatta: In den Streit um das Auftrittsverbot für türkische Minister in Deutschland hat sich jetzt auch der türkische Präsident Erdogan selbst eingeschaltet, gestern Abend, mit ganz massiven Vorwürfen. Und mitgehört hat der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl, der dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestages angehört. Guten Morgen, Herr Uhl!
Hans-Peter Uhl: Ja, guten Morgen, Herr Zagatta!
Zagatta: Herr Uhl, den Hörern sage ich noch vorneweg, dass Sie auch Justiziar der Unionsfraktion sind. Das kommt uns heute Morgen deshalb zugute, weil ich Sie gleich auch nach den Auftrittsverboten für die türkischen Minister fragen kann. Aber zunächst zu diesen massiven Vorwürfen. Präsident Erdogan bezeichnet den "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel jetzt als deutschen Agenten und Deutschland unterstütze den Terrorismus der verbotenen Kurden-Organisation PKK. Eskaliert dieser Streit zwischen Berlin und Ankara, eskaliert der nun völlig?
Uhl: Ja, er droht zu eskalieren. Dennoch hat das Auswärtige Amt recht mit seiner Bewertung, das sind groteske, absurde Vorwürfe Erdogans gegenüber Deutschland. Aber man muss einfach sehen, auf welchem Weg er sich befindet: Erdogan will die Türkei umbauen in ein autoritär-absolutistisches Sultanat mit ihm als Alleinherrscher. Das sind Vorstellungen, die mit unserer Freiheit, der demokratischen Grundordnung nichts mehr zu tun haben. Er will die Gewaltenteilung aufheben, alle Gewalt soll bei ihm sein, und dazu braucht er natürlich ein Feindbild: Er, Erdogan, der Retter vor diesem Feind. Und er will das türkische Volk retten und dorthin führen, wo er die volle Macht hat.
Zagatta: Aber bei diesem Feindbild oder so, wie wir diesen Auftritt gestern Abend erlebt haben: Wird dieser Streit jetzt auf dem Rücken des inhaftierten Journalisten Deniz Yücel ausgetragen, muss man für den jetzt das Schlimmste fürchten?
Uhl: Nicht nur auf dessen Rücken, aber hier muss sich natürlich die Bundesregierung massiv schützend vor ihn stellen, was aber nicht einfach ist. Denn er hat ja zwei Pässe, er ist auch Türke und darauf wird sich Erdogan berufen. Das wird schwierig. Daran sieht man übrigens auch sehr plastisch, wie kompliziert es ist, mit Doppelstaaten umzugehen. Jeder Staat beruft sich dann auf die Staatsangehörigkeit, die ihm nützlich ist.
Zagatta: Herr Uhl, Erdogan hat Deutschland jetzt auch vorgeworfen, dass der türkische Justizminister nicht hier auftreten durfte. In Deutschland, so sagt er, dürften aber PKK-Terroristen sprechen. Worauf bezieht er sich da? Ist da irgendetwas dran?
Uhl: Das ist eine unwahre, blanke Behauptung. Ich selbst habe als Innensenator in alten Zeiten, in München vor 20 Jahren bereits PKK-Versammlungen strikt verboten. Bei jeder Kundgebung haben wir die Vorsitzenden kommen lassen und ihnen gezeigt, was erlaubt und was verboten ist in Deutschland. Wir haben ja mit Recht eine Regelung, da ist genau zum Nachlesen, Paragraf 47 im Aufenthaltsgesetz, in der drinsteht, dass die politische Betätigung von Ausländern in Deutschland einfacher verboten oder geregelt werden kann als natürlich bei Deutschen. Und da ist hier Ansage: Wir müssen auch den Ministern von Erdogan klarmachen, dass wir diesen Weg, den die Türkei jetzt geht, in Deutschland missbilligen und in keinem Fall unterstützen. Das heißt: Redeverbot für diese Minister.
Zagatta: Die türkische Opposition allerdings ist auch nicht glücklich mit diesen Verboten und auch Bundespräsident Gauck bedauert jetzt, dass man da in Deutschland jetzt nicht der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit Vorrang gibt. Das hören wir uns vielleicht mal kurz an!
O-Ton Joachim Gauck: Sind wir, die demokratische Mitte, so schwach, dass wir die Argumente derer, deren politische Auffassung wir nicht teilen, so fürchten müssen, dass wir ihr öffentliches Wort verhindern müssen? Ich sehe diese Schwäche nicht.
"Wir wehren uns gegen Feinde der Demokratie"
Zagatta: So weit Joachim Gauck. Herr Uhl, Sie sind da anderer Meinung?
Uhl: Ja, ich warne jetzt vor einem Denkfehler. Wir haben ja alle gelernt in Deutschland aus der Weimarer Zeit: Wir sind eben eine wehrhafte Demokratie. Wir sind kein Nachtwächterstaat, wir gewähren Versammlungs- und Redefreiheit und Meinungsfreiheit all denen, die sich auf dem Boden dieses Staatsaufbaus bewegen, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Aber wir wehren uns gegenüber den Feinden der Demokratie, denen geben wir eben nicht die Versammlungsfreiheit. Wer diesen Staat in eine Diktatur oder uns führen will, dem wird entgegengehalten: Das ist bei uns nicht möglich! Also Vorsicht vor einer uneingeschränkten Redefreiheit, hat unsere Rechtsordnung nie gekannt.
Zagatta: Das, was Sie jetzt sagen, legen die Niederlande ähnlich aus. Da lesen wir heute Morgen oder hören wir heute Morgen, da hat die niederländische Regierung einen Auftritt der türkischen Regierung in ihrem Land untersagt. Verglichen damit, ist das da nicht so ein bisschen ein Eiertanz, was wir hier in Deutschland erleben? Also, lässt man diese … Kann man solche Entscheidungen Gemeinden wie Gaggenau und Frechen überlassen?
Uhl: Im Prinzip ist dort dann die letzte Verantwortung, das ist schon richtig. Aber ich würde schon empfehlen, dass die Landesinnenminister hier eine Klarstellung unserer Rechtsordnung vornehmen, dass auch die kleinste Gemeinde in Deutschland hier ihre Gedanken geordnet hat in dem Sinne, wie ich es gerade dargestellt habe. Den Feinden der Demokratie geben wir keine Versammlungsfreiheit. Das verbieten wir. Und das ist bei Ausländern umso einfacher doch, weil es gesetzlich geregelt ist. Also, hier bitte nicht einen totalen, eine Libertinage, eine totale Freiheit … einer uneingeschränkten Freiheit das Wort reden. So ist unser Grundgesetz nicht aufgebaut.
Zagatta: Ja, die Frage ist ja, wer dann da diese Auftritte verhindern soll.
Uhl: Ja, noch einmal: Es ist klar geregelt, hilfreich wäre auch eine Sprachregelung durch die Bundesregierung, aber entscheidend sind die Ordnungsämter vor Ort und die wiederum bekommen ihre Hinweise von den Landesinnenministern.
Zagatta: Das sieht man in einigen Ländern zumindest ganz anders. Also, die Regierung von Nordrhein-Westfalen hat die Bundesregierung jetzt aufgerufen, einen möglichen Auftritt von Erdogan und auch anderer Politiker in Nordrhein-Westfalen und sonst wo zu verhindern. Das sei Sache der Bundesregierung und nicht der Kommunen, so sagt uns das zumindest – das hören wir vielleicht auch gleich – die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.
O-Ton Hannelore Kraft: Diejenigen, die da am Zuge sind, ist der Bund, auch in diesem Fall. Denn Versammlungen zu untersagen, gerade auch in geschlossenen Räumlichkeiten, ist nach dem Versammlungsrecht außerordentlich schwer. Aber es kann natürlich auf diplomatischem Wege klargemacht werden: Wir wollen hier einen solchen Wahlkampf nicht. Ich habe auch schon Telefonate natürlich geführt, weil, ich möchte auch nicht, dass das am Ende an den Kommunen hängenbleibt. Das kann auch nicht sein, sondern wir brauchen hier eine klare politische Linie und die muss die Bundesregierung vorgeben.
Zagatta: So Hannelore Kraft im "Interview der Woche" im Deutschlandfunk, das können Sie in ganzer Länge morgen, am Sonntag wieder hören um fünf nach elf. Aber Herr Uhl, Nordrhein-Westfalen kann sich da bei dem, was Hannelore Kraft ja jetzt sagt, auch auf ein Urteil des Oberverwaltungsgericht in Münster berufen, da heißt es nämlich, es sei Sache des Bundes zu entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen sich ausländische Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder in Deutschland politisch durch amtliche Äußerungen betätigen dürfen. Also, die Bundesregierung könnte das untersagen.
Uhl: So ist es. Wir müssen unterscheiden zwischen der Person Erdogan als Staatsoberhaupt der Türkei, das ist Außenpolitik, der Umgang mit diesem Staatsoberhaupt, da hat Frau Kraft recht. Aber wenn er als Privatperson zu einer Veranstaltung kommt, ist er der Ausländer Erdogan und nicht das Staatsoberhaupt. Und da ist es dann Aufgabe der Versammlungsbehörde in Nordrhein-Westfalen, da muss Frau Kraft schon mit ihrem Innenminister Jäger selbst ans Werk gehen und da kein Schwarzer-Peter-Spiel spielen und das alles nach Berlin schicken.
"Wir sollen einen Auftritt von Herrn Erdogan verbieten"
Zagatta: Ist es denn für Sie jetzt vorstellbar nach diesen heftigen Angriffen, nach diesen Äußerungen da von gestern Abend, dass Erdogan jetzt im Wahlkampf tatsächlich noch nach Deutschland kommt?
Uhl: Das ist durchaus vorstellbar, aber wir sollten einen Auftritt, eine politische Betätigung von Herrn Erdogan, sei es als Staatspräsident durch die Bundesregierung, sei es als privater Ausländer durch die Ordnungsbehörde verbieten, weil, das, was er macht – und da wissen wir, worum es geht, als Deutsche –, ist nichts anderes als eine Art Ermächtigungsgesetz für die Türkei. Und da darf Deutschland keinen Beitrag leisten.
Zagatta: Wenn Sie das so drastisch sehen, und nach diesen heftigen Angriffen gestern auf Deutschland, kann man unter diesen Umständen überhaupt noch aus deutscher Sicht EU-Beitrittsgespräche mit Ankara weiterführen?
Uhl: Das war ja von Anfang an eine Lebenslüge zu glauben, die Türkei könnte Vollmitglied der Europäischen Union werden. Und dennoch bleibt die geografische Lage der Türkei vor unserer Haustür, das heißt, wir müssen mit diesem Staat und diesem Volk eine Art privilegierte Partnerschaft eingehen. Nur, mit diesem Herrn Erdogan wird es unendlich schwierig und ich fürchte, dass die guten Beziehungen zur Türkei, zwischen der Union und der Türkei erst nach Erdogan ausgebaut werden können.
"Türkisches Volk muss sich von Erdogans Machtgelüsten selbst befreien"
Zagatta: Es stellt sich auch die Frage, Herr Uhl: Die EU überweist Milliardenhilfen, die sogenannten Heranführungshilfen an die EU nach Ankara. Kann man die noch weiterzahlen, müssen die eingefroren werden? Diese Forderungen liegen ja jetzt auch auf dem Tisch.
Uhl: Da wird es noch sehr viel mehr Forderungen geben, die alle auf dasselbe hinauslaufen. Wir werden sehen, wie abhängig die Türkei von der Europäischen Union ist. Erdogan ist gerade dabei, die Wirtschaft der Türkei zu ruinieren, nehmen Sie den Tourismus, nehmen Sie den Export, nehmen Sie die Kapitalflucht, nehmen Sie die Flucht – der Braindrain – der klügsten Köpfe, die die Türkei verlassen, nehmen Sie die Inflation, nehmen Sie die Staatsverschuldung. Wo immer Sie hinschauen, er ruiniert die Türkei, die Türkei ist abhängig von der Europäischen Union, viel mehr als umgekehrt. Das ist ein Prozess, der zutiefst zu bedauern ist, aber von Erdogan und von seinen Machtgelüsten muss sich das türkische Volk schon selbst befreien.
Zagatta: Und wenn wir noch ganz kurz auf unseren Ausgangspunkt zurückkommen: Der türkische Justizminister, dem der Auftritt ja in Gaggenau verweigert wurde, sagte jetzt bei allen Vorwürfen gegen Deutschland, jeder deutsche Politiker könne überall in der Türkei sprechen, die könnten kommen. Sollte man die beim Wort nehmen? Sollte eine Bundesdelegation vielleicht mal nach Istanbul fahren und dort für die Freilassung von Yücel aufrufen?
Uhl: Ja, das würde ich nicht raten, denn was dann passieren würde, wäre vorhersehbar. Diese Gruppe würde von Erdogan diffamiert als eine Unterstützergruppe für terroristische Aktivitäten, sie würden festgenommen werden. Das sind alles Dinge, die wir missbilligen müssen von Deutschland aus, wo man nicht tatenlos und diplomatisch-zurückhaltend schweigen sollte. Nein, wir müssen klar und deutlich sagen, was wir unter einer freiheitlichen Demokratie mit Gewaltenteilung verstehen, und das ist das Gegenteil von dem, was Erdogan plant.
Zagatta: Heute Morgen im Deutschlandfunk der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl, der auch Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages ist. Herr Uhl, ich bedanke mich für das Gespräch!
Uhl: Ja, bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.