Archiv

Unionsstreit
"Die CSU will unter allen Umständen die Kanzlerin stürzen"

Merkel ja oder nein? Der Asylstreit zwischen der CDU und CSU laufe auf diese Machtfrage hinaus, sagte der ehemalige SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler im Dlf. Die SPD finde in dieser Koalition überhaupt nicht mehr statt. Er schließe Neuwahlen nicht aus.

Rudolf Dreßler im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Der SPD-Politiker Rudolf Dreßler am 14.02.2018 im Berliner Studio der Sendung "Maischberger"
    Der SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler (imago / Eibner / Uwe Koch)
    Stefan Heinlein: Wenn die Mehrheit der Bundesbürger es sich nach der Tagesschau im Fernsehsessel bequem macht und den Feierabend genießt, geht es für manche Spitzenpolitiker erst ans Eingemachte. Gestern, 20:30 Uhr in Berlin: Auftakt für den Koalitionsausschuss. Er tagt immer dann, wenn die großen Themen im kleinen Kreis beredet werden müssen. Teilnehmer am Treffen im Kanzleramt waren nur die Partei- und Fraktionschefs und wenige Minister. Es ging natürlich um den Streit um die Asyl- und Flüchtlingspolitik vor dem wohl entscheidenden EU-Gipfel Ende der Woche.

    [Berliner Gespräch: Nach der Sitzung des Koalitionsausschusses - Zum Gespräch mit Katharina Hamberger ]
    Mitgehört hat der SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler, 20 Jahre lang für die Sozialdemokraten im Bundestag. Guten Morgen, Herr Dreßler.
    Rudolf Dreßler: Guten Morgen!
    "Es geht darum, ob Europa scheitert oder nicht"
    Heinlein: Herr Dreßler, "Nein zur Groko!" Das war Ihre klare Ansage nach der Wahl. Wie schön ist es, am Ende recht zu behalten?
    Dreßler: Überhaupt nicht schön, weil es jetzt gar nicht mehr darum geht, leider nicht mehr darum geht, ob diese Koalition zusammengeflickt bleibt. Es geht einfach darum, ob Europa scheitert oder nicht. Die Dimension dessen, was der Seehofer dort in Richtung Frau Merkel auf den Weg gebracht hat, ist in ihrer Konsequenz überhaupt nicht durchdacht und keiner kann auch wissen, was dann läuft. Aber wenn es wirklich dazu käme, dass ein Erpressungs-, ein Nötigungsversuch des Innenministers gegenüber dem Regierungschef dazu führt, dass Europa zerbricht, dann wäre dieses in seiner Unverantwortlichkeit überhaupt nicht mehr zu übertreffen.
    Heinlein: Welche Motive vermuten Sie denn hinter dem Verhalten der CSU, von Markus Söder, Horst Seehofer und Alexander Dobrindt? Geht es ihnen allein um Bayern, um die Landtagswahl, und Europa ist der CSU letztendlich egal?
    Dreßler: Wenn es so wäre, dass es ihnen nur um Bayern geht und dass ihnen alles andere egal ist, dann wären sie für ein Regierungsamt nicht mehr tauglich. Wir haben uns natürlich oft die Frage gestellt in den letzten Tagen: Was treibt die CSU, dieses zu machen. Und ich sehe im Augenblick nur eine, wenn auch sehr dimensionale Lösung, dass es ihnen nur darum geht, die Regierungschefin zu stürzen, egal um welchen Preis. Eine andere Lösung oder ein anderes Ansinnen kann ich mir gar nicht vorstellen, was das sonst noch soll. Wenn dabei dann plötzlich der Innenminister selber kippt, weil die CSU ihn ganz zum Schluss fallen lässt, dann ist das der Preis, den er bereit ist, zahlen zu müssen, nach dem, was er da alles auf den Weg gebracht hat.
    "Die SPD findet in dieser Koalition überhaupt nicht mehr statt"
    Heinlein: Die CSU - Herr Dreßler, verstehe ich Sie richtig - kann mit dieser Frau nicht mehr arbeiten. Kann denn die SPD noch mit Frau Merkel arbeiten? Ist die SPD letztendlich der größte Unterstützer der christdemokratischen Kanzlerin?
    Dreßler: Wenn man das ganze Spiel betrachtet, was da abläuft, dann kommt man sehr wohl zum Schluss dazu zu glauben, dass die SPD die einzige Kraft ist, die die CDU-Chefin noch in ihrem Regierungsamt hält. Die SPD findet ja als Partei, als ein Faktor in dieser Koalition überhaupt nicht mehr statt. Sie ist ja gar nicht gefragt worden, was sie denn in der Sache selbst zu offenbaren hat. Eine Partei, die sich dermaßen als überflüssig in dieser Auseinandersetzung der Öffentlichkeit darstellt, die darf sich nicht wundern, wenn sie in diesem Streit selber auch noch verliert.
    "Es läuft auf die Machtfrage hinaus: Merkel ja oder nein"
    Heinlein: Nun prügeln Sie sehr stark, Herr Dreßler, auf die CSU. Sie sagen, es geht der CSU letztendlich um die Kanzlerin. Aber die CSU sagt, es geht ihr auch um die Inhalte, und sagt, eine europäische Lösung in der Flüchtlingspolitik, das sei eine Illusion. Man habe es jahrelang probiert, es nicht hinbekommen. Es brauche jetzt nationale Lösungen zum Schutz der eigenen Interessen.
    Dreßler: Das, was jahrelang angeblich nicht funktioniert hat, muss jetzt innerhalb von 24 oder 36 Stunden auf den Weg gebracht werden, damit die CSU wieder ruhig schlafen kann. Das grenzt ja schon an Lächerlichkeit. Wenn die Abläufe in der europäischen Politik die CSU genau kennt, die das de facto gar nicht ermöglichen können, bei der Gefechtslage, in der wir uns befinden, dann ist dieses Argument der CSU aus meiner Sicht sehr löcherbar. Man kann es durchschauen. Ich komme immer zum Schluss zu dem Ergebnis: Der CSU ist es egal. Sie will unter allen Umständen die Kanzlerin stürzen.
    Heinlein: Was spricht denn aus Ihrer Sicht noch für einen geordneten Multilateralismus, den Markus Söder ja bereits verabschiedet hat?
    Dreßler: Wenn die Kanzlerin jetzt umfällt, das heißt der CSU nachgäbe, nachdem sie ihre Position auch europäisch völlig klar zum Ausdruck gebracht hat, dann ist sie, wenn man so will, eine "Lame Duck" in diesem Konzert der europäischen Regierungschefs. Sie kann das gar nicht machen. Das weiß die CSU ganz genau. Deshalb läuft es zum Schluss auf diese Machtfrage hinaus: Merkel ja oder nein.
    Europa "zur Disposition gestellt"
    Heinlein: Was wären denn die Folgen für Europa, wenn die CSU, wenn Horst Seehofer sich letztendlich durchsetzen sollte?
    Dreßler: Wenn das so käme, wie die Kanzlerin ja auch befürchtet, dass die Europäer einen Knacks bekommen und dieses, was im Augenblick ja noch funktioniert, zerbrechen sollte, dann werden wir vor einem Scherbenhaufen stehen. Das gilt für die europäische Sicherheitspolitik, für die Währungspolitik, ja für die Gesellschaftspolitik in Europa. Das Ganze, was in diesen Jahren jetzt auf den Weg gebracht wurde und was alle im Grundsatz bewundern, würde dann zur Disposition gestellt, weil sich in der CSU und der CDU, also in einer Parteiengemeinschaft für diese Asylpolitik keine Lösung finden lässt. Dieses kann keiner ernsthaft unterstützend glauben.
    Heinlein: Angela Merkel, die Kanzlerin kann das nicht machen, diesen nationalen Alleingang – aus europäischem Interesse, Herr Dreßler, sagen Sie. Lassen Sie uns deswegen noch ein wenig spekulieren. Wenn Horst Seehofer von der Kanzlerin den Stuhl vor die Tür gesetzt bekommt, weil er diese nationale Lösung versucht, im Alleingang durchzusetzen, zerbricht dann die Fraktionsgemeinschaft der Union und könnten Sie sich dann vielleicht vorstellen, dass es weitergehen könnte ohne Neuwahlen, vielleicht mit den Grünen, vielleicht sogar mit der FDP?
    Dreßler: Die Kanzlerin muss das dann letztlich ausloten, ob das möglich ist, bevor sie Neuwahlen ausruft. Eine Rolle spielt ja dann zum Schluss auch der Bundespräsident. Wir dürfen das nicht unterschätzen. Noch ist das nicht gegessen, dass es Neuwahlen gibt. Erst wird der Versuch mit Sicherheit zu machen sein, eine andere Koalition auf den Weg zu bringen.
    Wähler könnte "solches Verhalten zum Schluss abstrafen"
    Heinlein: Frage an Sie, an einen erfahrenen Politiker, der ja in der Vergangenheit, in Ihren 20 Jahren im Bundestag sehr, sehr viele Krisen erlebt hat. Welche Folgen hätte denn so ein rasches Aus für die Regierung nach kaum 100 Tagen für unser Land, auch vielleicht für unser politisches System?
    Dreßler: Das ist die berühmte Frage: Wird dann rechts weiterhin gestärkt? Und diese Befürchtung, die ist ja nicht von der Hand zu weisen. Wenn es so käme, dass der Streit der CDU/CSU das rechte Lager in Deutschland prozentual noch weiter stärkt, dann wäre das aus meiner Sicht jedenfalls der größte anzunehmende Unfall.
    Heinlein: Aber wäre eine bundesweite CSU, Herr Dreßler, vielleicht sogar eine Bereicherung für den Wähler, eine bayerische Alternative für Deutschland?
    Dreßler: Zu glauben, dass diese dann insgesamt geschwächt würde, die Union als dann zwei Parteien auf dem Weg zu einer gemeinsamen Politik, der muss sich nur die letzten Umfragen ansehen, die dahingehend gemacht worden sind, und das bedeutet, dass die SPD dadurch jedenfalls nicht gestärkt wird. Die ganzen Oppositionsparteien werden nicht gestärkt, sondern es wird eine Stärkung von CDU und CSU nach diesen Umfragen als möglich erachtet.
    Heinlein: Wenn wir auch da, Herr Dreßler, auf Europa blicken. Dort ist überall, fast in allen Ländern das politische Koordinatensystem in Bewegung und die Suche nach Mehrheiten, nach stabilen Mehrheiten, auch nach linken Mehrheiten wird zunehmend schwieriger. Ist Deutschland nun einfach dabei, diesen gesamteuropäischen Trend mitzumachen, nachzuvollziehen?
    Dreßler: Dieser Streit in der CDU und CSU deutet darauf hin, dass Deutschland offensichtlich auch bereit ist, diesen Weg zu gehen. Es hängt aber davon ab, ob die CSU und die CDU dieses in der Tat in Kauf nehmen wollen, oder ob sie sich einer Verantwortung in Deutschland selber bewusst sind. Die Sache ist noch nicht ausgemacht, dass auch der Wähler ein solches Verhalten zum Schluss nicht doch abstrafen könnte.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler. Herr Dreßler, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören. Alles Gute!
    Dreßler: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.